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Stummfilm in Schwarz-Weiß

Ein Produzent zeigt Mut - und liegt damit gut im Oscar-Rennen: Thomas Langmann investierte zehn Millionen Euro in „The Artist“ - einen neuen Schwarz-Weiß-Stummfilm. Wer sich traut, erlebt großes Kino alter Schule: ein humorvolles Gefühlsdrama mit John Goodman als Kinokapitalist.

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Goodman spielt eine Nebenrolle als Produzent im Hollywood der 20er Jahre. Dessen ganz großer Star ist in „The Artist“ George Valentin - mit zurückgegelten Haaren und einem dünnen Schnurrbart, unbeirrbar selbstbewusst, immer mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen. Jean Dujardin, der für den Regisseur des Films, Michel Hazanavicius, bereits bei zwei Agentenparodien vor der Kamera gestanden war, erhielt für seine Darstellung des Hollywood-Dandys beim Filmfestival in Cannes zu Recht den Preis als bester Darsteller.

Kinostart im Jänner

„The Artist“ läuft in heimischen Kinos am 27. Jänner an.

Die junge Peppy Miller stolpert George Valentin vor die Füße - und er verschafft ihr eine erste Statistenrolle. Kurz darauf breiten sich „Talkies“ wie ein Lauffeuer aus - also Tonfilme, in denen die Darsteller sprechen. Valentin weigert sich mitzumachen und versinkt rasch in der Bedeutungslosigkeit. Zugleich verliert er bei einem Börsencrash sein ganzes Vermögen und schließlich läuft ihm auch noch seine Frau davon. Peppy Miller hingegen wird zum ersten großen Star der Tonfilmära.

Ausschnitt aus "The Artist"

Viennale

Irgendwann spendet auch das Ansehen der eigenen alten Filme keinen Trost mehr

Liebe, Drama, laute Lacher

Aber Peppy erinnert sich auf dem Zenit ihres Ruhmes daran, was George dereinst für sie getan hat und will ihm helfen. Wird er bis zuletzt auf seinen Stolz beharren oder sich unter die Arme greifen lassen? Kommen die beiden am Ende zusammen? Wechselt George doch noch zum Tonfilm? Die Handlung lässt viel Raum für Dramatik - aber auch für Humor. Hazanavicius gelingt das Kunststück, den Zuseher - zumindest innerlich - in einer Szene laut auflachen und in der nächsten still aufschluchzen zu lassen - ohne Ton, ohne Farbe.

Michel Hazanavicius

Wurde 1967 geboren. Nach zahlreichen Werbespots dreht er 1993 den TV-Film „La Classe Americaine“, nach dem er auch seine Produktionsfirma benennt. Im Jahr 2000 entsteht sein erster Kinofilm, „Mes Amis“, in dem sein Bruder Serge die Hauptrolle spielt. 2007 bzw. 2009 dreht er die beiden Agentenfilmparodien „OSS 117: Cairo, Nest of Spies“ und „OSS 117 - Lost in Rio“.

Sein Werk ist voll von Anspielungen auf Filmklassiker der 20er und 30er Jahre. Dennoch hat Hazanavicius den Stil der Stummfilme von damals nicht einfach kopiert. Die schnellen Bewegungen (oft resultieren sie nur aus der falschen Abspielgeschwindigkeit der alten Filme) ließ er weg. Und die Mimik ist stärker als bei Tonfilmen, aber nicht so übertrieben wie früher. Das würde die Sehgewohnheiten zu sehr durchbrechen und wäre unnötig, sagt Hazanavicius in einem Interview mit der „New York Times“. Die Schauspieler müssen also mit reduzierten Mitteln auskommen. Der Trailer gibt einen guten Eindruck davon.

Peppy als Star mit gutem Herzen

Anstelle von Dialogen wird nur mit Mimik, Gestik und sparsam eingesetzten Texttafeln gearbeitet. Man merkt dem Film in keinem Moment an, wie schwer es sein muss, eine komplexe Handlung ohne Worte zu erzählen. In jeder Szene ist vollkommen klar, worum es geht: Der Produzent feuert schließlich George, der wiederum zu stolz ist, um Konzessionen einzugehen. Peppy geht ihren Weg, ohne zu zaudern, hat aber ein gutes Herz. Jeder Charakter hat seinen fixen Platz, wird aber nicht in überstilisierte Typologisierungen gedrängt.

Ausschnitt aus "The Artist"

La Petite Reine/ARP Selection

John Goodman als Hollywood-Produzent in „The Artist“

Hazanavicius geht bei seinem ehrgeizigen Unterfangen nicht gänzlich puristisch vor. Er erlaubt sich einen Kunstgriff: George hat einen Traum und plötzlich hört man nach und nach alle Menschen sprechen - außer ihn selbst. Er versucht es, doch kein einziger Ton will seinen Lippen entweichen. Der große George Valentin ist eingeschlossen in seinem Stummsein wie ein Fisch bei einem Kaffeekränzchen. Nichts könnte die Situation eines Stummfilmstars in der beginnenden Tonfilmära besser symbolisieren.

Anwärter auf den Oscar

„The Artist“ gilt nicht erst seit den „Golden Globes“ als Anwärter auf den Oscar für den besten Film. Es wäre der erste Stummfilm seit 83 Jahren, der die Trophäe einheimst. Allein der Showdown ist jedenfalls Oscar-reif. George sitzt mit einer Waffe in der Hand in einem Sessel und will sich erschießen. Peppy, die eigentlich gar nicht Autofahren kann, rast in einem brandgefährlichen Slalom quer über die Straßen zu ihm. Dann wird ein Textschild eingeblendet: „Bang.“ Ein paar bange Sekunden lang weiß man nicht: Hat er sich selbst getötet? Hat Peppy einen Unfall verursacht? Oder ist doch etwas ganz anderes passiert?

Kein „Arty-farty-Hirngespinst“

Trotz Golden Globes und Oscar-Anwartschaft war das Wagnis des Produzenten kein geringes. Etwas so Unzeitgemäßes wie ein Schwarz-Weiß-Stummfilm hat es naturgemäß schwer, ein großes Publikum zu finden. Wer „The Artist“ sah, hätte am liebsten auf jedes einzelne Filmplakat geschrieben: „Das ist kein Arty-farty-Hirngespinst. Dieser Film wird auch dir gefallen.“

Simon Hadler, ORF.at

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