Tragisches Ende eines Genies
Die Arbeit des britischen Mathematikers Alan Mathison Turing zählt zu den Grundlagen der Informatik. Er baute Maschinen, die die Codes des deutschen Militärs im Zweiten Weltkrieg entschlüsselten und trug damit entscheidend zum Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg bei. Geheimhaltungsmaßnahmen und Vorurteile gegen Homosexuelle setzten ihn gegen Ende seines Lebens unter unerträglich hohen Druck.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Am Abend des 7. Juni 1954 biss Alan Turing in einen Apfel, den er zuvor in Zyanid getaucht hatte. Als seine Haushälterin ihm am nächsten Morgen sein Frühstück bringen wollte, fand sie seinen toten Körper. Turing wurde nur 41 Jahre alt.
Da Turing keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat, kann es keine endgültige Gewissheit darüber geben, warum er den Freitod gewählt hat. Für Andrew Hodges, der die wichtigste Biografie über den Mathematiker geschrieben hat, war Turing bis zuletzt ein Rätsel: „Sein innerer Code blieb verschlüsselt“, schrieb er.
Gesetz macht erpressbar
Sicher ist dagegen, dass Turing gegen Ende seines Lebens unter unerträglich hohen Druck seitens der Behörden geriet. Im Jänner 1952 musste er feststellen, dass in sein Haus in Manchester eingebrochen worden war. Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei dem Täter um einen Bekannten von Turings Freund Arnold Murray handelte, der um die Homosexualität des Wissenschaftlers wusste.
Im Großbritannien des Jahres 1952 war sexueller Kontakt zwischen Männern auf Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 1885 streng verboten und konnte mit Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren geahndet werden. Der Einbrecher rechnete also damit, dass Turing nicht zur Polizei gehen würde. Der Mathematiker meldete den Vorfall aber doch und der Einbrecher plauderte aus, dass Turing homosexuell war - was dieser bei einer Befragung durch die Polizei auch zugab.
Hormonbehandlung und Gesichtsverlust
Turings Geständnis setzte eine für ihn verhängnisvolle Mechanik in Gang. Während der Einbrecher schnell wieder freikam, stand sein Opfer nun selbst wegen seiner Beziehung zu Murray vor Gericht, seine sexuelle Neigung wurde öffentlich und aktenkundig. Das Gericht verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung - unter der Voraussetzung, dass Turing sich während dieser Zeit einer Hormontherapie unterzieht, die ihn für die Dauer der Behandlung impotent machen sollte. Turing unterwarf sich dieser demütigenden Prozedur.
Als Homosexueller konnte Turing auch nicht weiter an Geheimprojekten der Regierung arbeiten. Ein harter Schlag für einen Mann, dessen Arbeit bereits damals als kriegsentscheidend gegolten hat. Während des Zweiten Weltkriegs hatte Turing sein mathematisches Genie in den Dienst der Landesverteidigung gestellt. Auf dem Landsitz Bletchley Park in Buckinghamshire hatte der britische Geheimdienst die Government Code and Cypher School eingerichtet, die sich mit der Entschlüsselung des Nachrichtenverkehrs des deutschen Militärs befasste.
Triumphe im Krieg
Durch die Vorarbeit des polnischen Geheimdienstes, der sich schon vor dem Krieg mit dem deutschen Verschlüsselungsgerät Enigma befasst hatte, gelang es Turing, elektromechanische Rechenautomaten zu bauen, die „Bombes“, die den Prozess der Entschlüsselung automatisierten und beschleunigten. Turing half auch dabei, den Code der Lorenz-Schlüsselmaschine zu knacken, mit der die obersten Stellen des deutschen Militärs ihre Kommunikation codierten, eine Unternehmung, die zum Bau der elektronischen Rechenmaschine „Colossus“ führte. Diese Arbeiten unterlagen lange der Geheimhaltungspflicht, erst ab Mitte der 1970er Jahre gelangten Details darüber an die breite Öffentlichkeit.
In Bletchley Park konnte Turing auch auf seine Grundlagenarbeit in mathematischer Logik zurückgreifen, die er vor dem Krieg in Cambridge und Princeton geleistet hatte. 1936 hatte er seinen berühmten Aufsatz „On Computable Numbers“ veröffentlicht, in dem er das Konzept des frei programmierbaren Computers formalisierte. Schon früh dachte Turing auch über Maschinen nach, die ihr Programm selbst verändern können. 1950 schrieb er den Artikel „Computing Machinery and Intelligence“, in dem er die Frage stellte, ob man einer Maschine Intelligenz zuschreiben könne, wenn ein Beobachter ihre Antworten nicht von denen eines Menschen zu unterscheiden vermag.
Einsamkeit des Langstreckenläufers
Schon in seiner Schulzeit an der renommierten Sherborne School galt Turing eher als Einzelgänger, so verachtete er Mannschaftssportarten und entwickelte eine Vorliebe für den Langstreckenlauf, der er zeitlebens treu bleiben sollte. An der Sherborne School lernte er auch Christopher Morcom kennen, seine erste große Liebe. 1930, kurz vor seinem Wechsel an die Universität Cambridge, starb Morcom an den Folgen einer Tuberkulose, die er sich schon als Kind zugezogen hatte - ein Schock, von dem sich Alan Turing nur langsam wieder erholen sollte.
In der sehr klassenbewussten britischen Gesellschaft stand Turing zunächst auch wegen seiner Herkunft aus der Mittelschicht - sein Vater war Beamter der britischen Kolonialbehörden in Indien - am Rande. Andererseits fand er nach seiner Schulzeit am King’s College in Cambridge eine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich liberale Umgebung vor, in der er sein außergewöhnliches Talent in Mathematik entfalten konnte und in der auch seine Homosexualität in einem gewissen Rahmen toleriert wurde.
Diese Freiheit wiederum war die Voraussetzung dafür, dass Turing mit seinen einzigartigen Fähigkeiten sein Land vor dem Schlimmsten bewahren konnte. Öffentlich rehabilitiert wurde Turing von der britischen Regierung erst 2009, 55 Jahre nach seinem Tod.
Günter Hack, ORF.at
Links: