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Anschlagswelle von Islamisten

Noch vor kurzer Zeit war Nigeria ein Hoffnungsland Afrikas, durch den Ölreichtum wurden viele ausländische Investoren angezogen. Doch der Aufschwung blieb für die Bevölkerung aus. Seit Monaten befindet sich das Land in einer Spirale aus Chaos und Gewalt, die nun einen neuen Höhepunkt erreicht hat.

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Gleich zwei Entwicklungen sind dafür verantwortlich: Seit Montag legt ein Generalstreik das Land lahm. Millionen Nigerianer protestieren seit Tagen gegen die Erhöhung der Benzinpreise. Gleichzeitig hat in den vergangenen Wochen die radikal-islamische Sekte Boko Haram eine Angriffswelle gestartet und seit den Weihnachtstagen Dutzende Menschen getötet.

Fast unlösbare Herausforderungen

Präsident Goodluck Jonathan steht vor fast unlösbaren Herausforderungen: Mit Jahresbeginn hatte er die Treibstoffsubventionen abgeschafft, was zu einer Verdoppelung der Preise führte. Viele Nigerianer befürchten, sich nicht einmal mehr den Bus zur Arbeit oder die häufig verwendeten benzinbetriebenen Generatoren leisten zu können.

Die Treibstoffsubventionen waren jahrelang eine der wenigen Hilfen, die die Regierung der Bevölkerung zugestand. Nigeria ist der größte Ölproduzent Afrikas, kann es sich aber nicht leisten, den Rohstoff selbst weiterzuverarbeiten. Der Großteil der täglich geförderten 2,5 Millionen Barrel Rohöl wird exportiert.

Ölförderung vor Stillstand

Am Mittwoch drohte die größte Gewerkschaft der Ölarbeiter, man bereite sich auf die völlige Einstellung der Ölförderung vor. An dem Ausstand beteiligen sich nicht nur Angestellte der Ölindustrie, sondern auch Mitarbeiter zahlreicher anderer Branchen. Die meisten Geschäfte und Fabriken sind seit drei Tagen geschlossen. Die Behörden, die den Streik als illegal betrachten, drohten nun, den Streikenden die Gehälter zu entziehen, wenn sie ihre Verträge nicht einhalten.

Die teilweise gewalttätigen Proteste offenbarten die tief sitzende Unzufriedenheit der Bürger. Denn in dem an Bodenschätzen und fruchtbaren Böden enorm reichen Land leidet die Mehrheit der 150 Millionen Bürger nach wie vor unter bitterer Armut. 90 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei Dollar (1,60 Euro) am Tag.

Bevölkerung profitiert nicht von Wachstum

Vor allem Korruption und Misswirtschaft verhindern seit Jahrzehnten eine wirtschaftliche Blüte des Landes. Die von Weltbank und Internationalem Währungsfonds bejubelten Wachstumsraten der Wirtschaft kamen vor allem einer kleinen Minderheit im Land zu Gute. Jonathan wollte mit seinem Sparkurs Mittel für längst überfällige Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur freibekommen - die Bürger allerdings sehen vor allem Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen.

Auch die Kürzung der Gehälter aller Politiker in Staatsämtern und aller Spitzenbeamten um 25 Prozent, die Jonathan zur Besänftigung versprach, brachte nichts. Dabei war es schon früher zu Generalstreiks gekommen in Nigeria, als über die Abschaffung der Benzinsubventionierung diskutiert wurde.

Radikal-Islamisten fordern Regierung heraus

Auch der religiöse Konflikt, der vor allem im islamisch geprägten Norden des Landes tobt, hat teilweise ökonomische Hintergründe. Die Boko Haram terrorisiert seit Monaten die Christen in der Region. Die islamistische Sekte nutzt den Unmut der Menschen über den Staat und das Gefühl der Benachteiligung gegenüber dem reicheren, christlich geprägten Süden Nigerias aus, um gegen Christen zu hetzen.

Inzwischen nimmt der blutige Feldzug der Islamisten immer bedrohlichere Formen für die Zentralregierung an. Präsident Jonathan ist mittlerweile überzeugt, dass Sympathisanten der Sekte seine Regierung und die Justiz des Landes infiltriert haben. „Einige sind auch in der Armee, bei der Polizei und in anderen Sicherheitsdiensten“, erklärte Jonathan. Er kündigte an, dass die derzeit 300.000 Mann starken Polizeikräfte aufgestockt werden sollen. Sie reichten bei weitem nicht aus, um den derzeitigen Herausforderungen gewachsen zu sein.

In einem auf YouTube veröffentlichten Video verteidigte der Anführer der Sekte, Abubakar Shekau, die Angriffe auf Christen und erklärte, es handle sich um Rache für Anschläge auf Muslime. Shekau trägt in dem Video eine schusssichere Weste. Im Hintergrund sind Maschinengewehre zu sehen. Er warnte Präsident Goodluck Jonathan, dass die nigerianischen Sicherheitskräfte die Gruppe nicht besiegen würden.

Warnungen vor Bürgerkrieg

Angesichts der Zuspitzung der Lage werden die Warnungen vor einem Bürgerkrieg immer lauter: So meinte Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka gegenüber der BBC, der Staat als solcher sei bedroht. Wenn ein paar Leute zu einem religiösen Ort gehen und durch die Fenster schießen könnten, dann sei ein „bedrückender Wendepunkt im Leben einer Nation erreicht“, fügte der Schriftsteller hinzu. In bestimmten Teilen des Landes seien Menschen an der Macht, die außer ihrer eigenen Religion keine andere ertragen könnten und sie sogar hassten.

Auch Der Präsident der Dachorganisation der christlichen Kirchen Nigerias, Pastor Ayo Oritsejafor, warnte laut einem Bericht des „Guardian“ vor einem Bürgerkrieg. Das Muster der Anschläge deute auf „eine systematische ethnische und religiöse Säuberung hin“, sagte Oritsejafor.

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