Nähe zum NS-Regime alltäglich
Nur langsam stellen sich die deutschen Firmen ihrer Vergangenheit. Neben Hugo Boss, Porsche und der Industriellenfamilie Quandt, Großaktionär von BMW, musste sich nach langem Zögern auch der Oetker-Konzern mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen.
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Eine Studiengruppe der Universität Augsburg untersuchte die NS-Zeit des Unternehmens unter der Leitung von Andreas Wirsching, dem Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München. Der Großteil der Ergebnisse liegt laut der „Süddeutschen Zeitung“ vor. Konzernsprecher Jörg Schillinger bestätigte den Bericht. Der Forschungsauftrag laufe bereits seit 2009. Die Veröffentlichung der Ergebnisse ist im kommenden Jahr geplant.
Schillinger erwartet keine spektakulären Enthüllungen. Schließlich sei Dr. Oetker ein Nahrungsmittelunternehmen und für den Krieg nicht wichtig gewesen. Auch seien kaum Zwangsarbeiter beschäftigt worden. Wirsching kündigte keine großen Enthüllungen an, immerhin sei Pudding und keine Panzer produziert worden. Dennoch ist die Aufarbeitung der Oetker-Vergangenheit ein weiteres Indiz, wie sehr die Unternehmen in die NS-Wirtschaft verstrickt waren und wie alltäglich die Regimenähe der Wirtschaft war. Dr. Oetker „bewegte sich im Mainstream dessen, was Unternehmen im NS-Staat getan haben“, erklärte Wirsching.
Großspenden an Himmler
Eine entscheidende Rolle spielte Richard Kaselowsky, Ehemann von Firmengründer August Oetkers Tochter Ida und Stiefvater des 1916 geborenen Rudolf August, der das Unternehmen als Firmenpatriarch bis weit in die 90er Jahre prägte. Kaselowsky hatte das Unternehmen 1918 nach dem Tod des Firmengründers August übernommen. Der für die Nachfolge vorgesehene Sohn Oetkers war im Ersten Weltkrieg gefallen.

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Werbeanzeige für Dr. Oetker’s Bauernfleiß-Puddingpulver, 1934
Der eingeheiratete Geschäftsführer Kaselowsky war überzeugter Nazi, seit 1933 NSDAP-Mitglied und Mitglied des „Freundeskreises Reichsführer SS“. Großspenden an Reichsführer SS Heinrich Himmler bekräftigten seine Nähe zu den Nationalsozialisten.
Grundstein für Oetker-Brauereien in NS-Zeit
Unter seiner Führung soll Dr. Oetker auch den Grundstein für den Bierbrauereibereich gelegt haben - auf Basis von „arisiertem“ Besitz, wie Recherchen der „Financial Times Deutschland“ schon 2009 zeigten. Demnach erhielt Dr. Oetker über Umwege die Aktienpakete der von dem Juden Ignatz Nacher aufgebauten und später arisierten Brauereien, darunter die profitable Brauerei Groterjan.
Dass Kaselowsky nicht wusste, was er kaufte, hält der Historiker Dieter Ziegler „für ausgeschlossen“. Ziegler war durch Zufall auf diesen Fall gestoßen. Auf Anfrage der „FTD“ wusste der Oetker-Konzern im August 2009 nichts von Groterjan. Eine zusätzliche Darstellung hielt man für entbehrlich, da die Firmengeschichte bereits seit den 60er Jahren aufgearbeitet worden sei.
Rudolf-August SS-Mitglied?
Kaselowsky starb 1944 bei einem US-Luftangriff. Sein Stiefsohn Rudolf-August Oetker übernahm die Führung des Unternehmens, bis er 1981 an seinen Sohn August die Geschäfte übergab. Kaselowsky war für Rudolf-August wie ein Vater. Das erklärt auch seine Abneigung, die NS-Zeit aufzuarbeiten. Zeit seines Lebens stand er hinter Kaselowsky. Das zeigt ein Beispiel, Jahrzehnte nach der NS-Zeit.
Obwohl Rudolf-August in Bielefeld, dem Standort des Familienunternehmens, Ehrenbürger war, scheute er sich nicht, Leihgaben für die von Oetker mitfinanzierte Kunsthalle 1998 wieder zurückziehen, als sich die Stadt geweigert hatte, die Halle nach Kaselowsky zu benennen. Laut dem „Zeit“-Journalisten Rüdiger Jungbluth soll Rudolf-August selbst SS-Mitglied gewesen sein.
„Unterstützung kommt nicht infrage“
Mitte der 2000er Jahre schien das Interesse der Familie Oetker an einer Aufarbeitung der Geschichte des Unternehmens enden wollend zu sein. „Die Familie Oetker hat kein Interesse an einer Sammelbiografie, so, wie Sie sie planen. Eine Unterstützung durch Gespräche oder Interviews kommt daher nicht infrage. Auch das Unternehmensarchiv steht Ihnen nicht zur Verfügung“, antwortete ein Anwalt des Unternehmens noch vor wenigen Jahren auf die Frage Jungbluths für eine Sammelbiografie. Jungbluths Buch „Die Oetkers“ erschien 2006 trotzdem.
2007 starb Rudolf-August, zwei Jahre später wurde die Historikergruppe mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beauftragt. Für Wirsching laut „Süddeutscher Zeitung“ ein „Paradigmenwechsel“. Auch der Zugang zu den Archiven war mittlerweile kein Problem mehr.
Homepage schweigt zu NS-Verwicklung
Noch haben die neuen Erkenntnisse und der Auftrag, die Vergangenheit aufzuarbeiten, aber zumindest nach außen keine Auswirkungen gezeigt. Auf der Homepage wird im geschichtlichen Überblick der 40er Jahre Dr. Oetker auch in der Not als „Ideenlieferant beim Backen und Kochen“ bezeichnet. Von den Verwicklungen des früheren Geschäftsführers Kaselowsky mit dem Nazi-Regime ist auch in der Zeitleiste der Jahre zuvor nichts zu lesen. Stattdessen betont das Unternehmen, dass Kaselowsky den „Erfolg des Gründers“ fortsetzte.
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