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Der nackte Kampf ums Überleben

Die Zahlen sind schwer zu fassen: 222.000 Menschen haben durch das schwere Erdbeben am 12. Jänner 2010 in Haiti ihr Leben verloren. Mehr als 300.000 wurden verletzt. Die Schäden wurden auf mehr als sechs Milliarden Euro geschätzt. Schon vor der Katastrophe lebten acht von zehn Haitianern in Armut. Zwei Jahre später hat sich die Situation nicht entspannt: Viele Menschen kämpfen ums nackte Überleben.

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Auch jetzt lebt noch immer eine halbe Million Haitianer in Zeltstädten - unter zum Teil katastrophalen Bedingungen. „Ich habe keine Hoffnung auf einen Wandel“, sagte die 28-jährige Valerie Loiseau, die während des Bebens ihr gesamtes Hab und Gut verloren hatte. Loiseau lebt seither mit ihren Kindern und mehr als 2.500 weiteren Menschen auf einem früheren Kinderspielplatz in einem Vorort der Stadt.

Menschen vor Zeltlandschaft in Haiti

Reuters/Jorge Silva

Eine halbe Million Menschen lebt noch immer in notdürftigen Behausungen. Nicht nur Hygiene, auch Gewalt ist dort ein Problem.

15 Prozent dieser notdürftigen Behausungen hatten internationalen Organisationen zufolge nie eine Organisationsstruktur. In vielen Camps sei zudem Gewalt gegen Frauen und Kinder ein Problem, auch Kriminelle würden sich dort verstecken. „Der Alltag in Haiti ist geprägt vom täglichen Überlebenskampf“, so die Hilfsorganisationen. Von Normaliät könne keine Rede sein. Haiti steht weiterhin vor großen Herausforderungen beim Wiederaufbau.

Mehr als sechs Milliarden Euro Schäden

Mehr als sechs Milliarden Euro Schäden verursachte das Erdbeben, das mit einer Stärke von 7,3 auf der Richterskala den Inselstaat verwüstete. Von den bis zu 20 Millionen Kubikmetern Trümmern und Schutt sind laut Schätzungen der UNO erst die Hälfte beseitigt, vor einem Jahr waren es fünf Prozent. Die oft dicht bebauten Viertel sind für Räumungsmaschinen schwer zugänglich - die Beseitigung von Schutt und Trümmern in den engen Gassen daher sehr mühsam.

Frau auf Trümmern beim Wäschewaschen

Reuters/Kena Betancur

Trümmer und Schutt sind auf Haiti allgegenwärtig - erst die Hälfte wurde seit dem Erdbeben beseitigt

Der Wiederaufbau wurde zudem durch die politische Instabilität während der Präsidentschaftswahlen verzögert. Seit die neue Regierung im Oktober ihre Arbeit aufgenommen hat, herrscht laut Hilfsorganisationen aber eine „deutliche Aufbruchstimmung“. Regierungsprogramme sehen nun vor, die Menschen aus den Camps so schnell wie möglich in neue Häuser umzusiedeln.

Auch die Schwerpunkttätigkeit der Helfer hatte sich erst im vergangenen Jahr von der Nothilfe auf den Wiederaufbau verlagert. Die Hilfsorganisation Care baute nach eigenen Angaben bisher mehr als 2.500 Übergangshäuser für insgesamt 13.400 Menschen in Haiti.

UNICEF sieht kleine Fortschritte

Trotz der Probleme beim Wiederaufbau sieht das UN-Kinderhilfswerk UNICEF aber kleine Fortschritte bei der Versorgung von Kindern. Laut einem neuen UNICEF-Bericht können inzwischen wieder mehr als 750.000 Kinder zur Schule gehen. Wichtige Fortschritte gebe es auch beim Kinderschutz, obwohl die Lage vieler Kinder in Heimen und Krippen weiter besorgniserregend sei, betonte UNICEF.

„Vor dem Erdbeben war den Behörden und der Regierung nicht einmal bekannt, wie viele von diesen Einrichtungen es überhaupt gab und wie viele Kinder in ihnen lebten“, so die Leiterin von UNICEF Haiti, Francoise Gruloos-Ackermans. Die Haitianische Regierung sei auch der Haager Konvention zu Auslandsadoptionen beigetreten. Sie habe sich damit verpflichtet, internationale Mindeststandards zum Schutz von Kindern vor illegalen Adoptionen und Kinderhandel umzusetzen. UNICEF habe auch nationale Schutzteams aufgebaut, die an den Grenzen auf mögliche Fälle von Kinderhandel achten.

Schlechte Überlebenschancen für Kinder

Die Überlebenschancen und Entwicklungsperspektiven der 4,3 Millionen Kinder und Jugendlichen in dem Karibikstaat sind dennoch weiterhin schlecht. „Man darf sich nichts vormachen. Das Land bleibt ein fragiler Staat, geprägt von chronischer Armut, Unterentwicklung und schwachen Institutionen. Die Kinder sind durch Krisen und die Folgen von Naturkatastrophen besonders gefährdet“, warnte Gruloos-Ackermans.

Schülerin in Haiti

Reuters/Swoan Parker

4,3 Millionen Kinder leben auf Haiti. Durch Krisen und die Folgen von Naturkatatrophen sind sie besonders gefährdet.

Weiterhin große Lücken - insbesondere in den ländlichen Gebieten - hat auch das staatliche Gesundheitssystem. Noch immer sind es die Hilfsorganisationen, die zahlreiche Gesundheitseinrichtungen betreiben. Ein großes Problem stellt während der Regenzeit die Cholera dar.

Täglich 200 neue Cholera-Fälle

7.000 Menschen starben seit dem Erdbeben an der Infektionskrankheit, die vor allem durch Fäkalien in verunreinigtem Wasser übertragen wird. Jeden Tag kommen etwa 200 neue Erkrankungsfälle dazu. Nach Angaben der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation ist das eine der größten Cholera-Epidemien der jüngsten Geschichte in einem Land.

Um das Elend zu verringern, ist Haiti nach wie vor aus Hilfsgelder aus dem Ausland angewiesen. Bei einer Geberkonferenz 2010 in New York wurden fast zehn Milliarden Dollar von 59 Staaten zugesagt. Bisher sind nach UN-Angaben aber erst knapp zwei Drittel der Gelder überwiesen worden.

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