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Auf 639 Jahre angelegtes Orgelwerk

In Halberstadt im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt läuft seit inzwischen elf Jahren die Aufführung des längsten Stückes der Musikgeschichte, und zwar „ORGAN2/ASLSP“ von John Cage (1912 bis 1992). ASLSP steht dabei für „as slow as possible“ („so langsam wie möglich“). Die Aufführung der vier Seiten langen Partitur soll insgesamt 639 Jahre dauern.

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Die Idee für das Projekt war 1997 auf einer musikwissenschaftlichen Tagung über den amerikanischen Komponisten Cage entstanden. Ausschlaggebend waren Überlegungen, wie das in einer Fassung für Klavier eigentlich nur rund 29 Minuten dauernde Werk aus dem Jahr 1985 auf der Orgel zu interpretieren sei. Cage hatte das Stück 1987 für Orgel bearbeitet.

Die Lebensdauer einer Orgel

Der schwedische Organist Hans Ola Ericsson vertrat die Ansicht, „so langsam wie möglich“ werde von der Physik begrenzt, auf dem Klavier durch das Anschlagen und Verklingen der Töne. Doch Orgeltöne verklingen nicht, solange die Bälge getreten werden. Somit kam Ericsson zu dem Schluss, „so langsam wie möglich“ bedeute die Lebensdauer einer Orgel.

Als Aufführungsort des Stückes wurde schließlich Halberstadt gefunden, weil dort in der St.-Buchardi-Kirche 1361 die erste Großorgel der Welt gebaut worden war, die das Muster aller späteren Klaviaturen vorgab. Zum Jahrtausendwechsel 2000 war das 639 Jahre her. Dieses Jahr gab denn auch die Zeitspanne für das Stück vor: 1361 bis 2000 entspricht 639 Jahren.

Von 2001 bis 2640

Die Cage-Partitur wurde für dieses Vorhaben rasterartig eingeteilt, neunmal 71 Jahre. Am 5. September 2001 startete das Projekt in der seit 1808 aufgelassenen Klosterkirche. Die ersten drei Orgeltöne waren aber erst am 5. Februar 2003 zu hören, da das Stück mit einer eineinhalbjährigen Pause begann.

Besucher des Burchardikloster im deutschen Halberstadt betrachten eine Orgel

APA/dpa/Jens Wolf

Noch besteht die Cage-Orgel nur aus wenigen Pfeifen

Am 5. August 2011 fand der erst elfte und bisher letzte Klangwechsel seit Beginn des Stücks statt. Gewechselt wurde auf C und Des, die beiden bisher tiefsten Töne von „ORGAN2/ASLSP“, wobei das C 36 Jahre (bis zum 5. Oktober 2047), das Des gar 60 Jahre (bis zum 5. März 2071) erklingen soll.

Wachsende Klangskulptur

Tag und Nacht, selbst wenn es meist niemand hört, spielt die Spezialorgel von allein vor sich hin. In der Luft liegt ein gleich bleibender Ton, der mit Hilfe von an den Tasten angebrachten Sandsäckchen gehalten wird und zurzeit an ein gedämpftes Schiffshorn erinnert.

Zwei Meter hoch steht das Gestell mit einigen wenigen Pfeifen. Für jeden neuen Ton - der nächste wird am 5. Oktober 2013 angeschlagen - müssen neue Pfeifen installiert werden. So soll die Cage-Orgel im Laufe der Jahrhunderte mit jedem Klangwechsel etappenweise ausgebaut werden.

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