Themenüberblick

„Ein bisschen geschockt“

Bisher war der britische Soulmusiker Michael Kiwanuka praktisch unbekannt. Das wird sich nun ändern. Der 24-Jährige führt die Liste „Sound of 2012“ der BBC an, die jährlich zu Jahresbeginn die kommenden Stars und Trends voraussagt. Für Kiwanuka kommt die Ehrung mehr als überraschend.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

184 Journalisten, Radio-DJs und Blogger hat die BBC für ihre Prognose befragt. Genannt werden durften nur Musiker, die noch keine höheren Chartsplatzierungen erreicht haben. Eine Liste der aussichtsreichsten 15 Künstler war bereits im Dezember veröffentlicht worden, diese Woche wurden daraus die Top Five präsentiert. Den Sieger gab die BBC am Freitag bekannt.

Mit Adele auf Tour

Kiwanuka, dessen Eltern in den 70er Jahren aus Uganda nach London geflohen waren, begann seine Karriere zunächst als Gitarrist, fast zufällig stand er dann erstmals vor dem Mikrofon. Mit seinen sanften Soulnummern überzeugte er auch die britische Sängerin Adele, die ihn 2011 mit auf Tour nahm und ihm damit die Chance gab, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden. Adele selbst hatte 2008 die BBC-Liste angeführt. Im vergangenen Jahr verkaufte sich ihr Album „21“ alleine in den USA 5,8 Millionen Mal, sie sorgte damit praktisch im Alleingang für die erste Steigerung der Albenverkäufe auf dem US-Markt seit 2003.

Gegenüber der BBC sagte Kiwanuka, die Ehrung sei eine „riesige Überraschung“ und eine große Ehre. Er werde damit seine Musik zu viel mehr Leuten bringen – und das sei ein großes Privileg für einen Musiker. Er sei sogar „ein bisschen geschockt“, meinte Kiwanuka gegenüber dem „Telegraph“. Schließlich sei es nur ein paar Monate her, da habe er bei den ersten Solokonzerten in Londoner Pubs nicht gewusst, ob er nicht nur vor einer Handvoll Leute spielen werde.

Zu retro?

Kiwanukas Songs klingen fast wie eine Zeitreise in die goldene Soul-Vergangenheit. Immer wieder werden Vergleiche zu Sam Cooke, Otis Redding und vor allem Bill Withers gezogen. Nicht alle Kritiker sehen das nur positiv: Die vergangenes Jahr veröffentlichte EP „Tell Me A Tale“ klinge wie eine kleine Sammlung von jetzt erst entdeckten Withers-Songs, schrieb damals der „Guardian“. Die Lieder würden zwar mit mehrfachem Hören immer schöner, etwas Eigenständiges, Originäres sei aber nicht zu erkennen. Kiwanuka kann nun im Rampenlicht jedenfalls beweisen, dass er nicht nur auf der Retrowelle schwimmen kann. Sein Album „Home Again“ soll im März erscheinen.

US-Künstler auf den Plätzen

Zweiter auf der Liste ist der US-R&B-Sänger Frank Ocean, der schon jetzt mit Größen wie Kanye West und Jay-Z verglichen wird. Sein 2001 veröffentlichtes Album „Nostalgia, Ultra“ stellte er gratis ins Web und begeisterte damit Publikum und Kritiker. Auf Platz drei reihte die BBC Azealia Banks. Die aus Harlem stammende 20-Jährige wollte eigentlich eine Schauspielkarriere einschlagen, sorgte aber als Rapperin mit ihrem provokanten Song „212“ auf YouTube für reichlich Gesprächsstoff.

Auf Rang vier wurde der US-Produzent und DJ Skrillex gereiht. Dabei ist er gar kein Unbekannter: Im November wurde er bereits für fünf Grammys nominiert, mit „First Of The Year“ hat er bereits einen Smashhit mit mehr als 28 Millionen Zugriffen auf YouTube. Die Top Five der BBC-Liste werden schließlich vom schwedischen Elektroduo Niki & The Dove komplettiert.

Vorjahressiegerin nicht ganz erfolgreich

Im vergangenen Jahr hatte die BBC-Umfrage der Sängerin Jessie J als britische Antwort auf Lady Gaga den großen Durchbruch vorhergesagt. Auch wenn sie an die Erfolge der New Yorkerin nicht ganz anschließen konnte: Ihr Album „Who you are“ erreichte Platz zwei in den britischen Albumcharts, die Single „Price Tag“ war in Februar sogar zwei Wochen an der Spitze der Hitparade. In Deutschland erreicht sie damit Platz drei, in Österreich wurden die Top Ten knapp verpasst. Für Furore sorgt auch James Blake, der im Vorjahr Platz zwei erreichte. Zumindest Kritiker feierten den Elektronikminimalisten. Im vergangenen Frühjahr war Blake auch beim Donaufestival in Krems zu sehen.

Von 50 Cent bis Lady Gaga

Als die BBC 2003 erstmals Musikexperten um eine Einschätzung bat, kürten sie den damals noch kaum bekannten US-Rapper 50 Cent zum kommenden Star. Sie sollten recht behalten - wie sehr oft in den darauf folgenden Jahren. 2004 lag die britische Band Keane an der Spitze, die Gruppen Franz Ferdinand, Scissor Sisters und Razorlight blieben auf den Plätzen, sollten aber tatsächlich viel erfolgreicher werden als Keane. 2005 fanden sich The Bravery, Bloc Party und Kaiser Chiefs auf der BBC-Liste.

Das Jahr darauf war vielleicht das am wenigsten erfolgreiche für die Prognose: Siegerin Corinne Bailey Rae konnte nur in Großbritannien die Erwartungen erfüllen. Ähnlich ging es Ellie Goulding 2010. 2007 reihte die BBC Mika auf Platz eins, gefolgt von den Klaxons und Enter Shikari. Ein Jahr später sagte man den Aufstieg der britischen Sängerin Adele richtig voraus, 2009 den von Little Boots. Während von ihr kaum etwas zu hören war, sollte eine andere Frau auf der Liste schon bald das Popuniversum beherrschen: Lady Gaga. Die BBC-Prognose schob mit zunehmender Beachtung die gehypten Künstler freilich auch selbst ins Rampenlicht.

Auch der „Spiegel“ blickt in die Zukunft

Den Erfolg der BBC-Prognose entdeckte indes auch die Onlineausgabe des „Spiegel“. Dort wurden 30 deutsche Musikjournalisten befragt, die die US-Sängerin Lana del Rey auf den ersten Platz hievten. Besonders wagemutig ist die Prognose freilich nicht. Schon seit dem vergangenen Sommer ist die Sängerin in aller Munde, nachdem sie mit einer gewieften YouTube-Kampagne die Blicke auf sich gezogen hatte. Die weiteren neun erwähnten Bands und Künstler decken sich teilweise mit der BBC-Prognose, deren Longlist offensichtlich als Inspiration diente. Mit Kraftklub und Max Prosa wurden zwei Plätze auch für deutsche Hoffnungsträger reserviert. Und der britische „Guardian“ machte sich ebenfalls auf Talentsuche - allerdings ohne Ranking.

Links: