„Schau mir in die Augen, Kleines“
Drogen statt Nazis, Naturwissenschaftler statt Widerstandskämpfer: Die Filmgeschichte kennt zahlreiche Beispiele, in denen rein durch die Synchronisation von der Originalsprache ins Deutsche (aber auch in zahlreiche andere Sprachen) Inhalte verändert wurden.
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Was in Deutschland und Österreich während des Nationalsozialismus ohnehin gang und gäbe war, zog sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch als gar nicht unübliche Praxis fort. Waren es zu Hitlers Zeiten allerdings hauptsächlich heimische Produktionen, die durch Nachsynchronisation auf Linie gebracht wurden, setzte sich die Sinnveränderung später vor allem bei ausländischen Filmen fort.
Nach Kriegsende stieg das Bedürfnis nach leichter Unterhaltung, doch die heimische Filmproduktion kam in den wirtschaftlich schwierigen Situationen quasi zum Erliegen. Da sowohl Produzenten als auch Verleiher in vielen Fällen davon ausgingen, dass die politischen Inhalte dem deutschen Publikum so kurz nach der Kriegsniederlage nicht zuzumuten seien, wurde teils schamlos gekürzt, verändert und neu synchronisiert.
Harmlose Romanze statt Anti-Nazi-Propaganda
Eines der berühmtesten Beispiele dafür ist der Filmklassiker „Casablanca“, ein 1942 gedrehter US-amerikanischer Propagandafilm gegen das nationalsozialistische Deutschland. Als der Streifen zehn Jahre nach seinem Entstehen im deutschsprachigen Raum gezeigt wurde, ist vom ehemaligen Politkrimi nicht viel mehr als eine harmlose Romanze geblieben.
25 Minuten kürzer war in der übersetzten Version dann nicht mehr Regimekritik und Widerstandskampf angesagt, sondern die Jagd nach einer naturwissenschaftlichen Formel. Erst 1975 strahlte die ARD die ungekürzte und neu synchronisierte Fassung aus, die bis heute bekannt ist.
Weniger brisant ist eine weitere Veränderung durch die Synchronisation von „Casablanca“ - und doch hat es ausgerechnet diese geschafft, in die Filmgeschichte einzugehen: Den berühmten Satz „Schau mir in die Augen, Kleines“ hat Humphrey Bogart nämlich nie gesagt - und er kommt auch in der heutigen deutschen Fassung so gar nicht vor. Aus „Here’s looking at you, kid“ wurde nur in der ersten Synchronisation das vielzitierte „Schau mir in die Augen ...“ - 1975 schmachtete Rick schon „Ich seh dir in die Augen, Kleines!“.
Aus „Notorious“ wurde „Weißes Gift“
Mindestens genauso drastisch wie die politisch motivierte Veränderung von „Casablanca“ war die Synchronisation von Alfred Hitchcocks „Notorious“ aus dem Jahr 1946, der im Original nach dem zweiten Weltkrieg spielt. Auch in diesem Fall wollte man dem deutschen Publikum die Konfrontation mit den Nazis als Filmbösewichte nicht zumuten - und so wurde aus dem von Nationalsozialisten geschmuggelten Uran kurzerhand Rauschgift und aus „Notorious“ der Titel „Weißes Gift“.
Auch das im Original als Drahtzieher hinter den Bösewichten stehende Chemieunternehmen „IG Farben“ - eine im zweiten Weltkrieg nicht zuletzt aufgrund von Arisierungen und Zwangsarbeit florierende Firma - wurde vollständig getilgt. Selbst in der 1969, anlässlich Hitchcocks 70. Geburtstag neu übersetzten und der ursprünglichen Handlung entsprechenden Version „Berüchtigt“ fehlt davon jede Spur.
Bruce Willis und die westdeutschen Terroristen
Dass man dem deutschen Publikum bis heute nicht zumuten will, ständig als Bösewichte dargestellt zu werden, zeigt sich auch darin, dass bis heute Rollen einfach „umgebürgert“ werden. Etwa in „Stirb langsam“: Bruce Willis’ Kontrahenten sind im englischen Original Deutsche von der erfundenen Gruppe „Radical West-German Volksfrei Movement“, der „Oberböse“ heißt darin Hans Gruber. In der deutschen Fassung ist sein Vorname Jack. Aus den radikalen Westdeutschen wurden nicht näher bezeichnete Europäer - mit teils komischen Akzenten.
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