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Einhellig vernichtendes Urteil

Die Leitartikel der deutschen Zeitungen (alle Ausgaben vom 3. Jänner 2011) fällen einhellig ein vernichtendes Urteil über die Versuche des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff, Berichte über seine Kreditbredouille zu verhindern. Aus Sicht der Kommentatoren ist Wulff mehr als rücktrittsreif. Im Folgenden eine Auswahl:

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„Süddeutsche Zeitung“, München:

Jeder Lokaljournalist weiß, dass Abgeordnete oder Bürgermeister gerne anrufen oder anrufen lassen, um unliebsame Berichterstattung zu verhindern. Doch die Mischung aus Naivität und Dreistigkeit, mit der Wulff agiert hat, bestürzt. Er ist nicht der Landrat von Osnabrück und auch nicht mehr Ministerpräsident von Niedersachsen, sondern das Oberhaupt des Staates. Dieses Amt aber ist für Wulff offenbar zu groß. Die Sicherungen, die bei einem Präsidenten im Falle einer - politischen wie privaten - Krise funktionieren sollten, funktionieren bei ihm nicht.

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“:

Auch für Bundespräsident Wulff stellt die Pressefreiheit ein so „hohes Gut“ dar, dass er in den vergangenen drei Wochen dreimal davon sprach. Das erste Mal tat er es in Qatar, zum zweiten Mal, als er kurz vor Weihnachten eine Erklärung in eigener Sache abgab und zuletzt gestern, nachdem Berichte über eine ausführliche Nachricht erschienen waren, die Wulff auf der Mailbox des „Bild“-Chefredakteurs Diekmann hinterlassen hat, kurz nachdem er am Golf über die Bedeutung der Pressefreiheit gesprochen hatte. Was über Wulffs Äußerungen in diesem Anruf kursiert, passt zu den öffentlichen Bekenntnissen freilich so wenig wie die Finanzierung eines Hauskaufs mittels eines rollierenden Geldmarktdarlehens zur schwäbischen Hausfrau. Es passte nur zu einem Staatsoberhaupt, das von allen guten Geistern verlassen worden ist.

„Berliner Morgenpost“:

Wulffs eigentliches Problem: Gefangen zwischen einer unberechenbaren Vergangenheit und den aktuellen Eseleien, büßt er immer mehr an Handlungsfähigkeit ein. Ein Politiker, ein Bundespräsident zumal, der bei jedem Wort, jedem Lächeln, bei jeder Unterschrift den Eindruck zerstreuen muss, es handele sich um Gefälligkeit, der ist kein autonom handelndes Staatsoberhaupt, sondern ein Getriebener, der sich von jeder Recherche offenbar aus der Fassung bringen lässt. Deutschlands Mediendemokratie funktioniert in der Wulff-Krise überzeugend. Der Bundespräsident nicht.

„Frankfurter Rundschau“:

Es war dumm von ihm, seine Drohungen, mit denen er im letzten Augenblick die Veröffentlichung über seine ominösen Darlehensverträge verhindern wollte, auf die Mailbox des „Bild“-Chefredakteurs zu sprechen. Das wäre ihm zu verzeihen. Aber die Drohungen selbst, sein Versuch, die Arbeit einer Zeitung durch Druck auf die Führung des Hauses zu unterbinden, ist unentschuldbar. Rechtlichkeit meint Redlichkeit. Von der aber versteht Wulff nichts.

„Westfälischer Anzeiger“, Hamm:

Dass Wulff Veröffentlichungen mit einem unfreundlichen, persönlichen Anruf beim „Bild“-Chefredakteur verhindern wollte, muss man vor diesem Hintergrund nicht zum Angriff auf die Pressefreiheit überhöhen - schon gar nicht angesichts der offenbar dämlichen Mailbox-Hinterlassenschaft auf dem ‚Bild‘-Telefonanschluss. Der Bundespräsident zeigt mit solchen Aktionen vielmehr: Er hat nackte Panik. Erst das macht die Debatte zur wirklichen Gefahr für Person und Amt.

„Stuttgarter Zeitung“:

Mit jedem neuen Detail, das über die Amigo-Affäre des Bundespräsidenten ans Tageslicht kommt, wird es schwerer, Christian Wulff zu verstehen und was diesen Mann eigentlich umtreibt. Wulffs Verteidigungsstrategie erweckte von Anfang an den Verdacht, er bedauere und räume nur gerade das ein, was ohnehin nicht mehr zu leugnen ist. Sein Krisenmanagement ist stümperhaft, ja geradezu katastrophal. Es offenbart zudem ein höchst problematisches Amtsverständnis.

„tz“, München:

Am gefährlichsten für das Amt des Staatsoberhaupts ist vor allem Wulff selbst. Selbst wenn sich Wulff für seinen Drohanruf entschuldigt hat, wird diese Affäre an ihm kleben bleiben. Denn der Präsident hat offenkundig nicht verstanden, was er verteidigen soll: die Grundwerte unseres Staates. Für ihn ist es eine Majestätsbeleidigung, wenn Journalisten Fragen stellen und Ungereimtheiten veröffentlichen. Das entspricht eher der Psyche eines Bürgermeisters statt eines Bundespräsidenten. Vom ersten Mann im Staate dürfen wir mehr erwarten: mehr Souveränität und vor allem mehr Demokratieverständnis. Denn Hofberichterstatter meinten die Väter unseres Grundgesetzes kaum, als sie die Pressefreiheit festschrieben.

„General-Anzeiger“, Bonn:

Noch-Bundespräsident Christian Wulff wird wissen, was jetzt zu tun ist. Er mag noch zögern, er mag sich noch falschen familiären Ratschlägen beugen. Aber ein Staatsoberhaupt, das sagt, es gehe um „Vertrauen in mich und meine Amtsführung“, muss erkennen, dass er dieses Vertrauen jetzt verspielt hat. Durch die Umgebung, in die er sich begeben hat, durch Bussi und Boni. Rien ne va plus.

„Hamburger Abendblatt“:

Es ist schlichtweg eine Ungeheuerlichkeit, wenn ein Staatsoberhaupt bei einem Chefredakteur eine missliebige Berichterstattung verhindern will. Dass er dabei noch Drohungen in den Raum stellt und gar strafrechtliche Konsequenzen für den verantwortlichen Redakteur in Aussicht stellt, ist ein Unding. Dies auch noch auf eine Mailbox zu sprechen, ist eine bizarre Unbedarftheit. Man darf von einem Bundespräsidenten nicht nur etwas mehr diplomatisches Geschick und politisches Gespür verlangen, man muss es auch. Was bleibt, ist der fatale Eindruck, dass der Präsident, der gerade wegen seiner Glaubwürdigkeit in das Amt gewählt wurde, nicht mehr glaubwürdig ist. Längst ist die Grenze überschritten, wo Wulff nicht nur sich als Politiker schadet, sondern auch dem höchsten Amt der Bundesrepublik.

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