Importserien statt Bollywood-Kitsch
Was wäre „Californication“ ohne Sex oder „Dexter“ ohne Mord? Um den Bedürfnissen der jungen Zuschauer zu entsprechen, ohne gleichzeitig die älteren nicht zu brüskieren, zeigen indische Fernsehsender immer häufiger westliche Fernsehserien - die vorher so entschärft werden, dass vom Original nicht mehr viel übrig bleibt.
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Mit der fortschreitenden Urbanisierung in Indien und einer wachsenden Mittelschicht steigt das Bedürfnis der jungen Bevölkerung nach importierten TV-Serien. Die Begeisterung für früher so populäre Seifenopern wie „Baalika Vadhu“ („Die Kinderbraut“), die sich mit klassischen ländlichen Problemthemen Indiens beschäftigen, sinkt rapide. Da es vor allem die Jungen mit gutem Einkommen sind, die als Zielgruppe für die Werbekunden attraktiv sind, müssen die Sender den Spagat zwischen konservativen Zensurbehörden und moderner Fernsehkultur schaffen.
„Es ist eine sehr schwierige Zeit für die Medien in Indien“, erklärte der TV-Kritiker Shailaja Bajpai gegenüber der Nachrichtenagentur AP. „Viele Fernsehstationen haben Angst vor gesetzlichen Verschärfungen, gleichzeitig müssen sie aber moderner werden, um das Publikum zu halten.“ Die Lösung: Sender schnipseln in vorauseilendem Gehorsam wild an den westlichen Serien herum. Die Ergebnisse strotzen vor Inkonsistenzen und unfreiwillig komischen Szenenfolgen. So wird manche zentrale und inhaltsentscheidende Sequenz rigoros herausgeschnitten, manchmal auch nur einzelne Wörter, ohne auf die Stringenz der Handlung Rücksicht zu nehmen.

AP/Rajesh Kumar Singh
Nicht viele indische Produktionen sind derart freizügig wie das Drama „Girlfriend“, in dem es um die Liebe zwischen zwei Frauen geht
Sinnveränderung durch Untertitel
Bei Serien mit englischen Untertiteln machen sich die Zensoren oft nicht einmal die Mühe, die gesprochenen Sätze auszutauschen oder herauszuschneiden. Sie begnügen sich damit lediglich, die Untertitel sinnverändernd umzugestalten oder bei kritischen Passagen gänzlich wegzulassen. Wenn etwa ein Charakter aus „The Big Bang Theory“ das - für westliche Ohren harmlose - Wort „intimate“ (intim) verwendet, erscheint in der indischen Untertitelung nur „int----“.
Doch nicht nur sexuell oder mit Gewalt konnotierte Ausdrücke werden geschliffen: In einer Folge von „Friends“, in der Rachel (Jennifer Aniston) versehentlich Obsttorte mit Rindfleisch kocht, wurde das Wort „beef“ gestrichen, um religiöse Hindus nicht zu verwirren, die Kühe als heilige Tiere betrachten. Warum sich die Episode darum dreht, dass das gekochte Essen ungenießbar wurde, bleibt für das Publikum letztlich unerklärbar.
Sexmaniac darf nicht ins Bett
Noch komplizierter wird es im Fall von „Dexter“, wo durch gezielte Schnitte nie so richtig klar wird, warum der emotionslose Serienmörder immer wieder ohne Zusammenhang vollkommen blutverschmiert auftaucht. Oder warum David Duchovny als sexbesessener Hank Moody in „Californication“ permanent mit schönen Frauen im Schlafzimmer verschwindet, um dann in komplett anderen Szenen wieder aufzutauchen.
Nichtsdestotrotz feiern die Sender Quotenerfolge mit den Serien. „Ich will mir nicht mehr die dummen Shows ansehen, mit denen ich aufgewachsen bin“, erklärte ein 22-jähriger Student gegenüber der AP. Er würde hauptsächlich US-Serien sehen, und „obwohl sie stark zensuriert sind, kann ich dem Inhalt folgen“.

Reuters
Richard Geres Kuss brachte ihm einen Haftbefehl ein
Kussskandal um Richard Gere
Verglichen mit indischen Produktionen sind US-amerikanische und britische Serien ohnehin meist hart an der Grenze zur Pornografie. Vor nicht allzu langer Zeit waren selbst Küsse in Bollywood-Filmen nicht denkbar. Als Richard Gere 2007 auf einer Aids-Gala in Indien seine Bollywood-Kollegin Shilpa Shetty auf die Wange küsste, drohte ihm sogar die Verhaftung. Hindu-Aktivisten erreichten nach dem Vorfall, dass ein Gericht in der nordwestlichen Stadt Jaipur einen Haftbefehl ausstellte. Geres Verhalten sei obszön gewesen und habe die Gefühle von Hindus verletzt, hieß es. Grover nannte die Vorwürfe frivol und einen „völligen Missbrauch des Rechtssystems“.
„Indische Filme und TV-Produktionen folgen einem klaren Schema, man weiß immer, was man kriegt“, fasst Rahul Gupta, ein Medienunternehmer aus Neu-Delhi, die Misere der Filmindustrie zusammen. „Die heutige Jugend bekommt das, was sie will, eher von Hollywood als von Bollywood, und Fernsehanstalten erkennen das langsam und versuchen, Kapital daraus zu schlagen.“
Selbstzensur der Fernsehsender
Um einem Eingreifen der Regierung zuvorzukommen, gründete die Filmindustrie im Juni eine eigene Regulierungsbehörde, die sich mit Beschwerden befasst. Zusätzlich zur Zensur wird nun jede ausländische Produktion mit einem permanenten Banner ausgestrahlt, das darüber aufklärt, wo man sich über eventuelle Ungehörigkeiten beschweren kann. Die Klagen, die beim Broadcasting Content Complaints Council eintreffen, sind unterschiedlich und reichen von „zu spärlich und vulgär gekleideten Frauen“ auf MTV bis zu „Kinder zu Mord anstiftenden Szenen“ im südindischen Familiendrama „Muddu Bidda“.
Sechs Sender mussten bereits vor der Behörde Rede und Antwort stehen. Ihre Erklärungen und Entschuldigungen reichten bisher aber aus, um nicht vor die Regierungsvertreter geschickt zu werden. Nur diese haben die Macht, Shows endgültig verbannen zu lassen.
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