Die unterdrückte Tochter der Freiheit
In Ungarn ist am 1. Jänner eine höchst umstrittene neue Verfassung in Kraft getreten. Ministerpräsident Viktor Orban will damit den „Postkommunismus“ abschließen. Auch für die Kulturlandschaft bringt das neue Jahr zahlreiche weitere Einschnitte, die für viele Betriebe das Aus bedeuten könnten.
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Den staatlich finanzierten Kultureinrichtungen wurde bereits 2011 das Budget um bis zu ein Drittel gekürzt - nun will die Regierung ein weiteres Sechstel einsparen. In den betroffenen Betrieben herrscht einhellige Verzweiflung. „Das hat es in den letzten 100 Jahren nie gegeben: dass der Staat den eigenen kulturellen Institutionen sogar noch weniger Geld gibt, als sie für die pure Aufrechterhaltung ihres Betriebes benötigen. Und dass er ihnen überlässt, den Rest selber zu erwirtschaften“, sagte Gabor Gulyas, Direktor der Kunsthalle in Budapest gegenüber dem „Tagesspiegel“.
Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten - Theater müssen schließen, die Filmindustrie ist derzeit komplett blockiert, Museen und Bibliotheken kämpfen stark untersubventioniert ums Überleben.
Nationale Repräsentation statt freie Kunst
Dabei schien vor allem in der Bildenden Kunst noch vor wenigen Jahren alles auf einen Ungarn-Boom hinzudeuten: Die Anzahl von Galerien in Budapest schien förmlich zu explodieren, Namen ungarischer Künstler tauchten immer öfter auf dem internationalen Kunstmarkt auf. Mit der Regierung Orban hat sich jedoch vieles geändert: Im neuen System der ungarischen Kulturpolitik wird Kunst vor allem für nationale Repräsentation eingesetzt: Sie ziert die Verfassung mit Auftragswerken und ist Verhandlungsmasse bei der Neuordnung der Stadt.
So plant die Regierung ein neues monströses Museumsviertel im Herzen Budapests, in dem künftig die Nationalgalerie und das Museum der Schönen Künste zusammengelegt werden sollen. Aber auch für dieses Herzensprojekt der Regierung - böse Zungen munkeln, Orban wünsche sich die Budapester Burg, die derzeit unter anderem die Nationalgalerie beherbergt, als Regierungssitz - will man nicht zu tief in die Tasche greifen. Nur 100.000 Euro sollen investiert werden, die restlichen Millionen soll die EU beisteuern.
Verfassung durch Auftragswerke illustriert
Unmut gibt es auch über ein weiteres Regierungsvorhaben: Mit 14 Auftragswerken, die von der ungarischen Autonomie im Kaiserreich, dem Aufstand 1956 oder zahlreichen ungarischen Nationalhelden erzählen, soll die neue Verfassung illustriert werden. Durch die zeitgenössische Kunstszene ging „ein Aufschrei der Empörung“, berichten mehrere Kunsthistoriker, Kuratoren und Galeristen gegenüber der APA.
Nicht nur, dass die Bilder mit zeitgenössischen Kunstideen etwa so viel gemeinsam haben wie ein angestaubtes Museumsarchiv mit einer modernen Galerie, auch die ausgewählten Künstler haben mit der florierenden, international ausgerichteten Kunstszene Ungarns nichts zu tun. „Einige wenige kennt man - wegen ihrer nationalistischen Ausrichtung“, sagt ein Kurator.
„Es sieht so aus, als würde die zeitgenössische Kunst zurückgehen in den Untergrund - und ins Ausland, wo sie erfolgreich ist.“ Manche älteren Semester seien ohnehin der Meinung, dass die Kunst und Avantgarde in Ungarn schon immer in den Untergrund gehörte. „Unsere Generation hat gehofft, das anders sehen zu dürfen.“ 4.000 Euro gab die Regierung pro Verfassungsgemälde aus. Die Geldflüsse in die Galerienszene wurden dagegen fast völlig gestoppt.
Internationale Kritik an Theaterbesetzung
Für den lautesten Aufschrei sorgte 2011 jedoch die Neubesetzung des Neuen Theaters, mit György Dörner und Istvan Csurka, die durch ihre antisemitische, rechtsradikale politische Einstellung bekannt sind. Nach lauten Protesten sowohl in Ungarn als auch aus anderen europäischen Ländern nahm Oberbürgermeister Istvan Tarlos Mitte Dezember zumindest die Bestellung Csurkas zurück.
Csurka habe nämlich trotz Warnungen von Tarlos in seiner Wochenzeitung „Magyar Forum“ weiter antisemitische Hetzartikel veröffentlicht, hieß es. Die Ernennung Dörners zum Direktor bleibt aber unverändert. Die Personalie hatte nicht nur in Ungarn, sondern in ganz Europa massive Proteste ausgelöst. Dörner, von Beruf Schauspieler, gilt als Wortführer der extremen Rechten. Im Vorjahr war er bei Wahlkampfveranstaltungen der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren) aufgetreten.
Schluss mit „krankhafter liberaler Hegemonie“
Er wolle mit der „krankhaften liberalen Hegemonie“ aufräumen und „der liberalen Anspruchslosigkeit der Unterhaltungsindustrie den Krieg erklären“, so Dörner. Vorrang sollen Werke ungarischer Autoren haben. Auch der Name des Theaters werde geändert. Anstatt Neues Theater solle die Bühne Hinterland-Theater heißen. „Hinterland“ solle dabei „das unter dem sozialliberalen Joch ächzende Ungarntum“ symbolisieren.
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