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Öffentlich-Rechtliche unter einem Dach

Ein großes Transparent spannt sich über den Eingang des Gebäudes des ungarisch öffentlich-rechtlichen Fernsehens MTV. Es verkündet: „Hungerstreik-Insel“. Das „zynische Transparent hat die Chefetage des MTV aufgehängt, nachdem wir mit dem Hungerstreik begonnen haben“, erklärt Balazs Nagy Navarro, Vorsitzender der Unabhängigen Gewerkschaft der Fernseh- und Filmschaffenden (TFSZ) gegenüber der APA.

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Gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Aranka Szavuly trat Nagy Navarro vergangene Woche in Hungerstreik, um gegen Nachrichtenmanipulation im Staatsfernsehen und für die Achtung der Pressefreiheit zu kämpfen. Zwei Nachrichtenchefs hatten einen TV-Beitrag manipuliert, als sie bei einem Interview mit dem rumänischen EU-Abgeordneten und ehemaligen reformierten Bischof, dem Siebenbürger Ungarn Laszlo Tökes, den im Hintergrund sichtbaren Ex-Präsidenten des ungarischen Obersten Gerichts, Zoltan Lomnici, einfach wegretuschierten.

Die elektronischen öffentlich-rechtlichen Medien Ungarns sowie die staatliche Nachrichtenagentur MTI haben durch eine im Vorjahr vom rechtskonservativ dominierten Parlament eingeführte umstrittene Reform ihre organisatorische und finanzielle Eigenständigkeit verloren und sind unter das Dach der neu gegründeten Mediendienstleistungsgesellschaft MTVA eingegliedert worden.

Hunderte Mitarbeiter entlassen

Die gesamte Nachrichtenproduktion wurde in der MTI zentralisiert, aus den elektronischen Medien wurden deshalb Hunderte Mitarbeiter entlassen. Die Einführung eines umstrittenen Mediengesetzes, an dem vor allem die Drohung mit hohen Strafen und gegen unabhängige Medien anwendbare „Gummiparagrafen“ bemängelt wurden, führte zudem zu Empörung und Protesten von Journalistenorganisationen und Politikern im In- und Ausland, die darin eine Gefahr für die Medienfreiheit sahen.

„Die Chefetage der MTVA versuchte lange nicht, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, sondern griff unsere menschliche Würde an.“ Das erinnere ihn an die 1950er, 60er Jahre des Kommunismus, so Nagy Navarro. Der Gewerkschaftschef kritisierte das Verhalten der Chefetage: „Als Menschen solidarisch mit uns demonstrierten, wurden wir mit Grünpflanzen separiert, verteilte die Fernsehleitung unter den Demonstranten kostenlose Eintrittskarten für das MTV-Museum und kostenlose CDs.“ Das sei „eine Schande und bestätigt uns darin, unsere Aktion fortzusetzen“.

„Fachliche Verfehlungen“

Im Schatten des Skandals der Retuschierung gestand die MTVA und die Leitung der Ungarischen Nachrichtenagentur MTI schließlich ein, dass sich Daniel Papp, Chefredakteur der Nachrichtenredaktion der MTVA, und Gabor Elö, Direktor des Nachrichtenzentrums von MTI, „schwerer fachlicher Verfehlungen“ schuldig gemacht hätten.

Während Elö fristlos entlassen wurde, verlor Papp nur seinen Posten als Chefredakteur, aber nicht seine Anstellung, kritisierte Nagy Navarro. Das sei inakzeptabel. Der Gewerkschaftschef erinnerte daran, dass Papp, dessen Karrieresprung vom rechtsextremen TV-Sender Echo direkt an die Spitze der zentralen Nachrichtenredaktion führte, bereits einmal einen manipulierten Beitrag über den Grünen EU-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit zu verantworten hatte, ohne Folgen.

Internationale Solidarität

„Wir führen unseren Hungerstreik so lange weiter, solange das Arbeitsverhältnis von Papp nicht aufgehoben wird“, erklärte Nagy Navarro. Der Kampf gelte ebenso der Rückgewinnung des Vertrauens der Bürger zu den öffentlich-rechtlichen Medien. Auch internationale Organisationen wie die Europäische Journalistenvereinigung würden Solidarität bekunden und gegen die Nachrichtenfälschung protestieren.

Betriebsräte und Gewerkschaften ungarischer Medien protestierten erneut in einem offenen Brief an den MTVA-Generaldirektor und forderten die Aufklärung dessen, wer die Anweisung für die Manipulierung des Nachrichtenmaterials gegeben hat. Gefordert werden Antworten auf die Fragen: Wie sollen weitere Beteiligte zur Verantwortung gezogen werden? Warum wurde der Nachrichtenchef Papp seines Postens als Chefredakteur enthoben, wenn er zugleich in einem anderen Arbeitsbereich wieder als Chefredakteur weiterarbeiten kann?

Vorwurf über „neue Manipulation“

Proteste der Gewerkschaften richten sich weiters gegen eine „neue Manipulation“ in den Abendnachrichten des MTV vom 15. Dezember. Im Beitrag „MTVA hat die Lomnici-Angelegenheit abgeschlossen“ sei fälschlicherweise behauptet worden, „die eigenen Kollegen würden sich von den Hungerstreikenden distanzieren“. Die Gewerkschaften von MTVA und MTI fordern eine Berichtigung und die Offenlegung der Dokumente über die Untersuchung der Nachrichtenmanipulationen.

Harriett Ferenczim, APA