Urteil in letzter Minute
Für ihr Mediengesetz hat die ungarische Regierung heftige Kritik im In- und Ausland einstecken müssen. Besonders der mangelnde Informantenschutz und die mächtige Medienbehörde waren den Kritikern ein Dorn im Auge. Vergangene Woche erklärte das ungarische Verfassungsgericht wesentliche Teile des Gesetzes für verfassungswidrig.
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Außer Kraft gesetzt wurden vor allem jene Bereiche, die sich auf die Regulierung von Inhalten der Printmedien und die Offenlegung der Informationsquellen von Journalisten beziehen. Das Urteil, basierend auf einer Klage der ungarischen Zeitung „Nepszabadsag“, wurde fast im allerletzten Moment verkündet, berichtete die Zeitung „Pester Lloyd“. Denn seit 1. Jänner gibt es zum einen zahlreiche neue Verfassungsrichter, zum anderen gibt es eine neue Verfassung - ein Teil davon wäre das beanstandete Gesetz.

APA/EPA/Szilard Koszticsak
Premier Viktor Orban
Der Fraktionschef der regierenden FIDESZ, Janos Lazar, betonte nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass die Regierung versuchen werde, verfassungsgemäße Lösungen zu finden. Einzelne Passagen des Gesetzes wurden vom Gericht bereits außer Kraft gesetzt. Andere sollen mit Mai folgen.
„Beschränkung der Pressefreiheit“
Das Gericht gab der Regierung Zeit, bis Ende Mai an einer neuen Fassung des Gesetzes zu arbeiten, berichtete die „Pester Lloyd“. Fraglich ist aber, wie ernsthaft daran gearbeitet werden wird, denn auch die Justiz steht in der Kritik, immer mehr von der FIDESZ Nahestehenden okkupiert zu werden.
Die rechtskonservative FIDESZ unter Premier Viktor Orban hatte im vergangenen Jahr die Regulierung der Medien in zwei Gesetzen geändert. Die in der „Medienverfassung“ enthaltenen Vorschriften über die Inhalte der Printmedien, die von der Medienbehörde kontrolliert werden sollten, seien „eine verfassungswidrige Beschränkung der Pressefreiheit“, argumentierte das Verfassungsgericht.
Informantenschutz aufgeweicht
Mit den gesetzlichen Änderungen hatte die Regierung den Informantenschutz verwässert. Der Schutz vor Gericht sollte nur die Quellen von Informationen betreffen, „deren Veröffentlichung im allgemeinen Interesse“ lag. Der Verfassungsgerichtshof konnte dem wenig abgewinnen: Die Regelung „öffnet ohne verfassungsrechtliche Begründung Tür und Tor vor der Möglichkeit der Einschränkung der Pressefreiheit“.
Nach den bisherigen Vorschriften haben Journalisten kein Recht, die Identität ihrer Informationsquelle geheim zu halten, „wenn diese unberechtigt geheime Daten weitergibt“. In „besonders begründeten Fällen“ kann auch ein Gericht und eine Behörde Medien verpflichten, ihre Quellen bekanntzugeben, wenn es „um Fragen der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung oder die Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten“ geht, monieren Kritiker. Dadurch seien das Redaktionsgeheimnis und der Informantenschutz gefährdet.
Leichte Entschärfung nach EU-Kritik
Auch Bestimmungen über die Datenweitergabe und die Tätigkeit eines Medien- und Nachrichtenkommissars wurden vom Verfassungsgericht kassiert. Der Kommissar beschäftigt sich mit der Verletzung von Interessen durch die Medien. Das sei „eine bedeutende staatliche Einmischung in die Tätigkeit der Presse“.
Die umstrittenen Änderungen der Mediengesetzgebung waren am 1. Jänner 2011 in Kraft getreten, zeitgleich mit dem Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Nach heftiger Kritik vonseiten der EU wurde das Gesetz bereits Anfang des Jahres leicht entschärft. Für den ungarischen Verfassungsgerichtshof war das offensichtlich zu wenig, er fordert die Aufhebung einiger Passagen der Medienverfassung.
Medienbehörde von Regierungspartei geprägt
Beanstandet wurde auch die Möglichkeit der mit dem Gesetz neu geschaffenen Medienbehörde (NMHH), Print- und Internetmedien inhaltlich zu überwachen und gegebenenfalls zu bestrafen. Kritiker sahen darin Potenzial für künftige Zensur. Die Verfassungsrichter sahen das Recht der Medienbehörde, gegen Printmedien Verfahren wegen Missachtung der Menschenrechte, der menschlichen Würde und der Privatsphäre einzuleiten, als „verfassungswidrige Einschränkung der Pressefreiheit“. Eine Ahndung dieser Verstöße sei bereits auf dem regulären Rechtsweg möglich. Auch die Pflicht der Medien, der Medienbehörde auf Wunsch sämtliche Geschäftsdaten zur Verfügung zu stellen, wurde vom Verfassungsgericht außer Kraft gesetzt.
Die Mitglieder der Behörde stehen genauso wie die Mitglieder des mit dem Gesetz gegründeten Medienrats der FIDESZ nahe. Der Präsident der Medienbehörde wird vom Ministerpräsidenten selbst auf neun Jahre ernannt, was der Opposition ebenfalls sauer aufstößt. Präsidentin beider Gremien ist die FIDESZ-Medienpolitikerin Annamaria Szalai, der durch eine Verfassungsänderung zudem das Recht eingeräumt wurde, ähnlich wie die Regierung, der Regierungschef und die Minister Verordnungen zu erlassen.
Verstoß gegen Gesetz teuer bestraft
Für besondere Empörung hatten die Strafbestimmungen gesorgt, wonach die Medienbehörde Medien, die gegen das Gesetz verstoßen, bestrafen kann. „Medien mit bedeutendem Einfluss“ – diese Kategorie wurde eigens für beliebte Privatsender geschaffen – können mit bis zu 200 Mio. Forint (716.230 Euro) bestraft werden. Für landesweite Tageszeitungen gilt eine Maximalstrafe von 25 Mio. Forint (91.777 Euro).
Damit würden Medien, die „unausgewogen“ berichten, wirtschaftlich in den Ruin getrieben, lautete die Kritik von internationalen Organisationen und Medien. Das wurde vonseiten der ungarischen Regierung zwar immer wieder dementiert, der gestiegene Druck auf die Medien lässt sich aber nicht leugnen, denn die Medienbehörde kann nach dem Gesetz etwa jährlich neu entscheiden, welche staatlichen TV- und Radiosender weiter betrieben werden sollen.
Unbequeme Journalisten gekündigt
Bei öffentlich-rechtlichen Medien würden renommierte Journalisten, die der Partei Orbans unbequem seien, oft ohne Angaben von Gründen und unter dem Vorwand notwendiger wirtschaftlicher Einsparungen gekündigt, analysierten Journalisten und Medienexperten beim Mediengipfel Lech vor wenigen Tagen. Journalisten, die sich gegen solche Kündigungen zur Wehr setzen und politische Ursachen dafür anführen, würden der Illoyalität bezichtigt, was wiederum ein anerkannter Kündigungsgrund sei.
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