„Die Macht will ihre Macht nicht teilen“
Die Berichterstattung der regierungskritischen Internetzeitung Gazeta.ru in den vergangenen Wochen hat „dem Kreml nicht gefallen“, wie Chefredakteur Michail Kotow im Gespräch mit der APA in Moskau sagt. Zuerst habe er „sehr indirekte“ Warnungen durch Mittelsmänner bekommen, dass dem Kreml die Berichte der Onlinezeitung missfielen.
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Am Tag der Duma-Wahl vor ungefähr drei Wochen habe er dann den „Beweis“ für das Missfallen erhalten, weil er vor dem Kommunikationsaufsichtsamt erscheinen musste. Dabei wurde Kotow nach eigenen Angaben mitgeteilt, dass Gazeta.ru zu viele negative Informationen über die Regierungspartei Einiges Russland publiziere und über alle Parteien gleichwertig schreiben müsse. „Sie haben mir keinen Beweis (für die einseitige Berichterstattung, Anm.) gezeigt, keinen konkreten Artikel“, sagt Kotow. „Bei uns gibt es ein Sprichwort, ‚Entweder du sagst Gutes, oder nichts‘, wie es bei Verstorbenen gehandhabt wird. Aber so sehen wir es auch bei Einiges Russland.“
„Karte der Verstöße“ zur Duma-Wahl
Die Internetzeitung hatte gemeinsam mit der unabhängigen russischen Wahlbeobachterorganisation Golos eine „Karte der Verstöße“ zur Duma-Wahl ausgearbeitet, wo Einzelpersonen Unregelmäßigkeiten eintragen konnten. Die Website von Golos konnte so wie mehrere Kreml-kritische Websites, etwa die des Radiosenders Echo Moskwy, der Tageszeitung „Kommersant“ und des Meinungsforschungsinstituts Lewada am Wahltag nicht aufgerufen werden. Onlinezeitungen sind dem Chefredakteur zufolge in der Vergangenheit immer wieder angegriffen und blockiert worden.
Gazeta.ru entschied sich kurz vor der Wahl, die Karte der Wahlverstöße von der Website zu nehmen. „Das hat uns ermöglicht, am Wahltag zu arbeiten“, erklärt Kotow. „Wir hatten eine Million Besucher (der Website, Anm.) am 5. Dezember. Das ist doppelt so viel wie gewöhnlich.“
Chefredakteur beugte sich „beispiellosem Druck“
Vizechefredakteur Roman Badanin hatte wenige Tage vor der Duma-Wahl seinen Posten niedergelegt, mit den Worten, er gebe damit „beispiellosem Druck“ nach. „Man kann sich vorstellen, dass er (der Druck, Anm.) von Verantwortlichen ausgeht, die den Auftrag haben, für den Sieg von Einiges Russland zu sorgen“, erklärte Badanin damals.
Badanin sei dagegen gewesen, Werbung von Einiges Russland zu publizieren, sagt Kotow. Er (Kotow) dagegen, habe sich für die Publikation ausgesprochen, weil man Anzeigen von der Berichterstattung trennen könne. „Wir konnten auf die Werbung von Einiges Russland nicht verzichten“, so der Chefredakteur der seit 1999 bestehenden Internetzeitung. Aufgrund dieser internen Meinungsverschiedenheit habe Badanin seinen Posten geräumt.
Zweite Warnung bedeutet Aus
Bei Berichterstattung, die dem Kreml missfalle, bekomme das betroffene Medium eine Warnung. Bei einer zweiten Warnung wird es laut Kotow geschlossen. Gazeta.ru habe 2008 eine solche erste Warnung erhalten, weil „wir versucht haben, über den Russland-Georgien-Krieg 2008 objektiv zu berichten“. Die Internetzeitung hätte die Verwarnung für einen ultrakonservativen Leserbrief zum Thema Ehe bekommen, den sie veröffentlicht hatte. „Aber natürlich haben wir verstanden, für was wir bestraft wurden.“
„Als der Wahlkampf begonnen hat, haben wir Journalisten gemerkt, dass die Proteststimmung in der Mittelschicht sehr stark war“, meint Kotow. „Die Regierung konnte ihre (der Mittelklasse, Anm.) Hoffnungen nicht erfüllen, etwa Sicherheit, Vorgehen gegen Korruption oder Geschäftsfreiheit betreffend. Die Macht will ihre Macht nicht teilen.“ Deswegen habe die Führung laut Kotow zum Mittel der Wahlmanipulation gegriffen.
„Neutrale“ Berichterstattung der Staatsmedien
Der große Protest gegen die Wahlfälschungen mit Zehntausenden Teilnehmern im Moskauer Zentrum am 10. Dezember sei schon eine Woche vorher angekündigt gewesen. Die Journalisten in den Staatsmedien hätten sich die ganze Woche ausgetauscht, wie man damit umgehen solle, schildert Kotow. „Sie sind Journalisten, selbst wenn sie versuchen, keine zu sein.“ Die Thematik sei letztendlich in den Kreml gelangt, der schließlich erlaubt habe, über den Protest zu berichten, jedoch „sehr neutral“.
„In den ersten Berichten der Staatsmedien zu den Protesten wusste man gar nicht, warum die Leute protestieren.“ Später hätten die staatlichen Medien gesteigerte Lebenshaltungskosten und gestiegene Steuern als Grund für die Proteste in ihren Berichten genannt, Transparente gegen die Regierungspartei seinen ausgeblendet worden. Erst später hätten die Staatsmedien begonnen, über die Proteste in ihrer eigentlichen Form, nämlich für „faire Wahlen“, zu berichten, erklärt Kotow.
„Krise des Misstrauens“
Nach den Protesten habe sich bereits „etwas verändert“, meint der Chefredakteur. So hätte etwa Regierungschef Wladimir Putin in seiner Mitte Dezember live im Staatsfernsehen übertragenden Fragestunde Fragen zu den Protesten beantwortet. Die Regierungspartei wisse jedoch nicht, wie sie auf die „neue Bewegung“ der „Neuen Unglücklichen“ und „Neuen Erzürnten“, wie Kotow die Teilnehmer nennt, reagieren solle. Es sei eine „Krise des Misstrauens“ der Bevölkerung in die Regierung. „Putin kann die Augen nicht verschließen, er muss reagieren. Putins Macht wackelt.“ Der Regierungschef werde Kotow zufolge versuchen, Kompromisse zu finden.
„Wenn Putin (die Präsidentenwahl im März, Anm.) in der ersten Runde gewinnt, werden die Proteste zunehmen, weil das eine Beleidigung wäre“, so Kotow. „Niemand würde ihm glauben, auf 50 Prozent in der ersten Runde zu kommen.“
Die Protestbewegung, die keine Revolution wolle, sondern einen legalen, sicheren, ehrlichen Weg des Wandels, beginne gerade, sich zu einer Organisation zu entwickeln. „Sie werden ihre Führungsfiguren finden“, so Kotow. Diese könnten dann als Angriffspunkte für den Kreml dienen.
Viola Bauer, APA
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