Gegen „Gefährdung der Demokratie“
Die Reformen der rechtskonservativen Regierung unter Premier Viktor Orban stoßen in Ungarn immer mehr auf Widerstand. Erst Anfang der Woche erklärte das Verfassungsgericht entscheidende Teile des umstrittenen Mediengesetzes für verfassungswidrig. Seit Donnerstag gehen die Menschen auf die Straße.
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Am Freitag sorgten Proteste von Abgeordneten vor dem Budapester Parlament für Aufsehen. Die Polizei nahm bei der Demonstration nach eigenen Angaben 26 Oppositionelle fest, darunter elf Abgeordnete der grün-liberalen Partei LMP. Diese hatten sich vor dem Parlament an Gitter, Zugänge und Einfahrten des Parlaments gekettet, als Ausdruck ihres Protests für die Veränderungen in Ungarn und um die Abgeordneten anderer Parteien am Zugang zum Parlament zu hindern.
Nach Angaben der LMP hatten sie sich zuvor mit der Aufhebung ihrer Immunität für einverstanden erklärt. Das hätte die Abgeordneten vor Strafverfolgung geschützt. Nach Medienberichten wurden die Abgeordneten nach wenigen Stunden wieder freigelassen.
Ex-Premier unter Verhafteten
Unter den Verhafteten waren auch der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany und der Fraktionschef der sozialistischen Partei MSZP, Attila Mesterhazy. Letzterer wurde abgeführt, als er versuchte, LMP-Abgeordnete zu unterstützen. Gyurcsany, der zwei Regierungen anführte und derzeit Parlamentsabgeordneter ist, wurde laut Reuters nach kurzer Zeit wieder freigelassen.

APA/EPA/Zsolt Szigetvary
Die Polizei verhaftete vorübergehend insgesamt 26 Oppositionelle
Die Festgenommenen sollen laut einer Polizeiaussendung durch die Blockade in den Verdacht geraten sein, „die persönliche Freiheit anderer verletzt“ zu haben.
Keine Möglichkeit, „Regierung auszutauschen“
Im Mittelpunkt der Proteste stand der Widerstand gegen das geänderte Wahlrecht, das nach Meinung der Opposition vor allem der regierenden FIDESZ-Partei Vorteile verschafft. Das Wahlgesetz „nimmt dem Volk die Möglichkeit, diese Regierung auszutauschen“, kritisierte der LMP-Abgeordnete Gabor Scheiring.
Am späten Nachmittag waren nach einem Bericht des Internetportals index bereits Tausende Menschen dem Aufruf der LMP gefolgt, um vor dem Parlament zu demonstrieren. Schon am Donnerstag waren Tausende Menschen in Budapest für die Freiheit der Presse auf der Straße. Die vielfach kritisierte Medienaufsichtsbehörde NMHH hatte erst am Dienstag dem einzigen oppositionellen Rundfunksender in Ungarn die Sendefrequenz entzogen.
„Wir wollen mit unserer Aktion darauf aufmerksam machen, dass heute im Parlament Gesetze verabschiedet werden, die die ungarische Demokratie gefährden“, erklärte der stellvertretende Fraktionschef der LMP, Gergely Karacsony.
Internationale Kritik
Die Regierung Orban muss sich angesichts ihrer tiefgreifenden Reformen seit ihrem Amtsantritt im April 2010 schon länger internationale Kritik gefallen lassen. Die USA etwa ermahnten Orban, die demokratischen Freiheiten zu achten. Änderungen gibt es in nahezu jedem Bereich des Staates. Der politische Einfluss auf die Medien wurde verstärkt, die Möglichkeiten des obersten Verfassungsgerichts beschränkt, bereits privatisierte Pensionsfonds wieder verstaatlicht und ein unabhängiges Kontrollgremium für den öffentlichen Haushalt aufgelöst.
Korb für Barroso
Unmut wurde auch über das Notenbankgesetz geäußert. Schon am Donnerstag hatten die EU und die EZB kritisiert, dass die ungarische Zentralbank ihre Unabhängigkeit zu verlieren drohe. „Drei größere Änderungen des Zentralbankgesetzes innerhalb von 18 Monaten sind nicht mit dem Prinzip der Rechtssicherheit vereinbar“, so die EU in einer Stellungnahme.
Das ungarische Parlament stimmte am Freitag der Reform der Zentralbank zu. In der kommenden Woche soll sie endgültig verabschiedet werden. Laut EU-Kommission seien einige Änderungen am Notenbankgesetz vorgenommen worden. Das solle nun geprüft werden.
Ungarische Medien berichteten aber, dass Orban in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso diesem „einen Korb“ gegeben habe. Denn Orban lehnte eine Verschiebung des Inkrafttretens des Gesetzes ab. Das sei nicht möglich, da diese Gesetze wichtiger „Baustein“ der ab 1. Jänner gültigen neuen Verfassung seien.
Ungarn „braucht IWF-Geld nicht“
Die Auseinandersetzungen über das Notenbankgesetz stoppten auch die Verhandlungen Ungarns mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU. Thema der Verhandlungen sind Finanzhilfen für das wirtschaftlich angeschlagene Ungarn. Auch da gibt sich Orban nicht wirklich als Bittsteller. In seinem Brief an Barroso schrieb Orban, dass man um die IWF-Verhandlungen „nicht so viel Aufhebens“ machen solle, da „Ungarn eigentlich dessen Geld gar nicht braucht“.
Zumindest die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) sieht das anders. Sie stufte Ungarn erst am Mittwoch auf BB+/B herunter und setzten den Ausblick für die weitere Entwicklung des Ratings auf negativ. S&P ist damit die zweite große Ratingagentur, die ungarische Staatsanleihen für Ramsch hält.
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