Genozidgesetz sorgt für Eklat
Die französische Nationalversammlung hat am Donnerstag für einen Gesetzesentwurf gestimmt, der Strafen für das Leugnen eines gesetzlich anerkannten Völkermordes vorsieht. Dazu zählt das Massaker an den Armeniern in den Jahren 1915 bis 1917, das in Frankreich seit 2001 - nicht aber von der Türkei - als Völkermord anerkannt ist.
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Nach dem Votum in der Pariser Nationalversammlung muss noch der von der Linksopposition dominierte Senat darüber abstimmen. Die Beratungen der zweiten Kammer könnten mehrere Monate dauern. Der Gesetzestext sieht bis zu ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von bis zu 45.000 Euro für das Leugnen des Völkermordes vor. In der offenen Abstimmung unterstützten auch die Abgeordneten der oppositionellen Sozialisten den Text. Nur eine Handvoll Abgeordneter stimmte dagegen.
Botschafter „reist morgen ab“
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Außenminister Ahmet Davutoglu hatten die Regierung in Paris vor schweren diplomatischen und wirtschaftlichen Konsequenzen bei Verabschiedung des Gesetzes gewarnt. Ankara hat seinen Botschafter in Paris am Donnerstag umgehend zu Konsultationen zurückgerufen. Botschafter Tahsin Burcuoglu „reist morgen ab“, fügte der Sprecher hinzu. Erdogan gab schließlich am Donnerstagnachmittag bekannt, dass die Türkei die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich auf Eis gelegt habe. Zudem setzte er die bilateralen Besuche aus.
Die Armenier bezeichnen das Massaker als Völkermord. Das Europaparlament benutzt diese Bezeichnung seit 1987 ebenfalls. Als erstes großes europäisches Land verabschiedete Frankreich 2001 ein Gesetz, das die Massaker an den Armeniern als Völkermord anerkennt.
Die Entscheidung der Nationalversammlung habe dem türkisch-französischen Verhältnis „sehr schwere und irreparable Wunden“ zugefügt, so Erdogan. Mit dem Abzug des Botschafters hatte die Türkei schon im Streit mit Israel reagiert, nachdem israelische Soldaten im vergangenen Jahr neun türkische Aktivisten einer Flottille mit Hilfsgütern für den Gazastreifen erschossen hatten. Im Fall Israels warf die Türkei auch den israelischen Botschafter aus dem Land.
Armenien bedankt sich
Der französische Außenminister Alain Juppe warnte die Türkei vor einer „Überreaktion“. Die Beziehungen zwischen Frankreich und der Türkei seien „eng und vielfältig“, sagte Juppe am Donnerstag. Er „hoffe, dass unsere türkischen Freunde nicht überreagieren“.
Der armenische Außenminister Eduard Nalbandian drückte am Donnerstag in Eriwan die „Dankbarkeit“ seines Landes für den Beschluss aus. Armenien vertritt wie die meisten Historiker und Regierungen weltweit die Auffassung, dass im Ersten Weltkrieg rund 1,5 Millionen christliche Armenier auf Anordnung der osmanischen Führung getötet wurden.
Auch in Frankreich umstritten
Unmittelbar vor dem Votum hatten rund tausend Menschen vor dem Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung, gegen den Vorstoß protestiert. Der Gesetzentwurf ist auch in Frankreich nicht unumstritten. Kritiker argumentieren, historische Diskussionen und Meinungsäußerungen sollten nicht unter Strafe gestellt werden. Auch Juppe, der sich noch vor wenigen Wochen bei einem Besuch in der Türkei um engere Beziehungen bemüht hatte, zeigte sich eher distanziert.

AP/Michel Euler
Proteste vor dem französischen Parlament
Verteidigungsminister Gerard Longuet machte seine abweisende Haltung offen deutlich. Die Türkei gilt wegen ihrer Wirtschaftskraft und ihres politischen Gewichts in der Nahost-Region und in der Auseinandersetzung mit Ländern wie dem Iran als strategisch besonders wichtiger Partner. Die konservative Regierung hatte ihren Abgeordneten keine Abstimmungsempfehlung gegeben.
Wahltaktisches Manöver?
Einige Politiker der konservativen Regierungsmehrheit wie Ex-Senatspräsident Gerard Larcher sprachen von einem wahltaktisch motivierten Manöver von Präsident Nicolas Sarkozy, das auf Wähler armenischer Abstammung ziele. Auch die Tageszeitung „Le Monde“ argumentierte am Donnerstag in diese Richtung: „Das Votum über den Gesetzesvorschlag dient dazu, die Stimmen der Armenier in Frankreich für die Präsidentenwahl zu gewinnen.“ In Frankreich leben rund 500.000 Menschen mit armenischen Wurzeln.
Türkei spricht von „Bürgerkriegswirren“
Der planmäßige Massenmord an der armenischen Bevölkerung gilt als erster Genozid der modernen Geschichte. Verantwortlich war das „Komitee für Einheit und Fortschritt“ um Innenminister Talaat Pascha und Kriegsminister Enver Pascha. Die Türkei weist den Vorwurf des Völkermordes an den Armeniern allerdings immer kategorisch zurück.
Die türkische Position setzt die Zahl der Opfer mit 500.000 Menschen wesentlich niedriger an und argumentiert, eine ähnlich große Zahl muslimischer Türken sei bei Unruhen von armenischen Freischärlern getötet worden. Es habe sich nicht um eine planmäßige Tötungs- und Vertreibungsaktion, sondern um „Bürgerkriegswirren“ im zerfallenden Osmanischen Reich gehandelt, lautet der offizielle Standpunkt Ankaras.
USA gaben türkischem Druck nach
In den USA hatte das Repräsentantenhaus nach starkem Druck aus dem Weißen Haus eine vom NATO-Partner Türkei scharf kritisierte parteiübergreifende Resolution, die den Massenmord an den Armeniern als Genozid einstuft, von der Tagesordnung genommen. Der Text hatte bereits den Außenpolitischen Ausschuss passiert.
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