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Stabilität in Region gefährdet

Mit Kim Jong Un, dem Sohn des am Samstag verstorbenen Langzeitdiktators Kim Jong Il, scheint die Nachfolgefrage in Nordkorea geklärt. Kim Jong Un wurde am Montag offiziell an die „Spitze der koreanischen Revolution“ gerufen. Seine vorbereitete Machtübernahme ist aber kein Stabilitätsgarant. Das ostasiatische Land bleibt unberechenbar und ein Risikofaktor für die Stabilität in der gesamten Region.

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Zwar hoffen einige, darunter etwa Deutschland, dass sich nun eine Chance für die Öffnung des Landes bietet. Aber wenige sind davon überzeugt. „Allein die Tatsache, dass man die Todesmeldung erst nach zwei Tagen zu veröffentlichen wagte, zeigt, wie unsicher die Lage in Nordkorea ist“, sagte etwa der schwedische Außenminister Carl Bildt. Für Experten hatte dieses Szenario, der plötzliche Tod von Kim Jong Il, als mögliche Initialzündung für einen Zusammenbruch des Regimes gegolten.

„Machtkampf an der Spitze“

Dass Kim Jong Ils Sohn dessen Kurs so weiterführt wie bisher, wird von vielen Seiten bezweifelt. Ein Machtvakuum wird befürchtet. Denn der bisherige Diktator hatte nicht ausreichend Zeit, um seinem Sohn eine ausreichende Machtbasis zu schaffen. Der Nordkorea-Experte Chung Young Tae vom südkoreanischen Institut für Nationale Wiedervereinigung etwa erwartet einen „Machtkampf an der Spitze“. Beobachtern zufolge könne die Übergangsperiode bei der Machtübergabe mehr als zwei Jahre dauern.

Dass die nordkoreanische Elite geschlossen hinter Kim Jong Un steht, ist unsicher. Die „Asia Times“ verweist dabei vor allem auf die Schwester Kim Jong Ils, Kim Kyong Hui, und deren Mann Jang Song Thaek, die wichtige Posten in der Partei bekleiden. Ihnen soll eine gewichtige Rolle bei der Unterstützung Kim Jong Uns zukommen - allerdings sei nicht ausgeschlossen, dass sie selbst nach noch höheren Posten streben. Auch das Militär ist eine große Unbekannte. Fraglich ist auch, ob Kim Jong Un alleine oder im Kollektiv die Führung übernimmt.

Amnesty vermutet Säuberung von Beamten

Auch im Beamtenapparat hat die nordkoreanische Regierung offenbar Angst, dass die Nachfolge durch Kim Jong Un bedroht sein könnte. Amnesty International hat eigenen Angaben zufolge Hinweise, dass die nordkoreanische Regierung bereits Säuberungen durchgeführt habe. Hunderte Beamte seien hingerichtet oder in Straflager verbannt worden, weil sie eine Bedrohung für den neuen Führer darstellten.

Die Menschenrechtsorganisation befürchtet eine noch schlimmere Unterdrückung als bisher. Die Nachrichten der vergangenen Monate aus Nordkorea ließen darauf schließen, dass Kim Jong Un „jede kritische Stimme zum Schweigen bringen will“. Die Zahl der politischen Gefangenen wird auf 200.000 geschätzt.

„Am Beginn gefährlicher Zeiten“

„Wir stehen am Beginn besonders gefährlicher Zeiten“, ist Jim Walsh vom Massachusetts Institute of Technology gegenüber der „New York Times“ überzeugt. Das Militär könnte dem jungen Führer möglicherweise misstrauen: „Und das könnte zu Fehlkalkulationen und versehentlich zu Krieg führen.“ Einige Beobachter rechnen mit der Möglichkeit, dass sich Kim Jong Un nun einen Platz an der Spitze durch ein provoziertes militärisches Abenteuer absichern könnte.

Militärisch kann der bekennende Atomwaffenstaat durchaus mit Drohgebärden auftreten. 2006 wurde erstmals - den Angaben Nordkoreas zufolge - unterirdisch eine Atombombe gezündet. Immer wieder wurden die Nachbarn Südkorea und Japan mit Raketentests und Granatenbeschuss in Unruhe versetzt. Erst kurz nach dem Tod des bisherigen Diktators führte Nordkorea Tests mit Kurzstreckenraketen durch.

Nachbarn besorgt

Anlass zur Sorge gibt Experten vor allem das Risiko von Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südkorea in der Phase der Machtübergabe an Kim Jong Un. Die südkoreanischen Truppen sind bereits in Alarmbereitschaft. China, Japan, Russland, die USA und Südkorea befürchten einen Kollaps Nordkoreas - nicht nur wegen der möglichen Flüchtlingsströme. Denn was auch immer mit Nordkorea geschieht, jeder befürchtet einen zu starken Einfluss des jeweils anderen. Die USA etwa würden ein chinesisches Protektorat Nordkorea nicht akzeptieren. China wiederum will das Land frei vom Einfluss der USA und Südkoreas halten.

Kaum Änderungen in Atompolitik erwartet

Mit dem Atomwaffenprogramm konnte Kim Jong Il bisher Druck etwa für wirtschaftliche Zugeständnisse ausüben. Die USA appellierten nun an an Pjöngjang, die internationalen Verpflichtungen im Zusammenhang mit seinem Atomprogramm einzuhalten. „Wir hoffen, dass die neue nordkoreanische Führung die Maßnahmen ergreifen wird, die für Frieden, Wohlstand und eine bessere Zukunft der Nordkoreaner erforderlich sind, unter anderem durch Erfüllung der Zusagen für atomare Abrüstung“, erklärte US-Präsidentensprecher Jay Carney am Montag in Washington.

TV-Hinweis

Das „Weltjournal“ widmet sich am Mittwoch um 22.30 Uhr in ORF2 der Frage, wie es in Nordkorea nach dem Tod Kims weitergeht - mehr dazu in tv.ORF.at.

Die Sechs-Parteien-Gespräche über das Atomwaffenprogramm mit den USA, China, Russland, Japan und den beiden koreanischen Ländern liegen auf Eis. Über eine Wiederaufnahme der Gespräche wurde seit Sommer verhandelt.

Die wenigsten Experten erwarten, dass sich an der Atompolitik Nordkoreas etwas ändern wird: „Atomwaffen dienen Nordkorea nicht zur eigenen Sicherheit und als Verhandlungsmasse mit der Weltgemeinschaft, sondern auch als Instrument des politischen Überlebens“, analysierte die Denkfabrik Council on Foreign Relations. Die neue Führungsriege „würde es kaum riskieren, Schwäche zu zeigen und das Atomwaffenprogramm aufzugeben“.

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