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Nervöse Blicke aus den Nachbarländern

Mit dem Tod des Herrschers Kim Jong Il geht in Nordkorea eine Ära zu Ende. Mit harter Hand hatte er das Land jahrzehntelang völlig isoliert von anderen Ländern regiert. Wie es nun weitergeht, ist offen. Offiziell soll sein Sohn Kim Jong Un den Kurs unbeirrt weiterführen. Doch daran zweifeln viele. Kims Tod könnte eine Reihe geopolitischer Umwälzungen mit sich bringen.

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Politisch weist Kim junior kaum Erfahrungen auf. Doch steht er trotz seines vergleichsweise jungen Alters - er soll unter 30 sein - schon seit drei Jahren im Mittelpunkt von Spekulationen über die Nachfolgeregelung in dem abgeschotteten Staat. Seit seiner Beförderung zum Viersternegeneral und seiner Aufnahme in die Führungsriege der herrschenden Arbeiterpartei im vergangenen September war klar: Damit hatte ihn Kim Jong Il auch praktisch zum „Kronprinzen“ ernannt.

Apparat zeigt sich einig

Zumindest vorerst schien die Machtfolge ohne Probleme zu funktionieren: Die jüngsten Aufrufe der Staatsmedien an die Bevölkerung, dem Sohn des Verstorbenen die Treue zu halten, zeigten, dass die seit Jahren vorbereitete Erbfolge ohne Hindernisse ablaufe, erklärte der südkoreanische Experte Baek Seung Joo vom Seouler Institut für militärische Analysen der Agentur AFP.

„Alle Verantwortlichen, die unter Kim Jong Il mitzureden hatten, haben sich offenkundig in den vergangenen 48 Stunden darauf verständigt, Kim Jong Un als neuen Führer zu unterstützen“, meint Paik Hak Soon vom Sejong-Institut, einem renommierten Thinktank in Seoul. Experten glauben nicht, dass Kim Jong Un in absehbarer Zeit drastische Kursänderung vornehmen werde. Das schließe aber langfristig nicht aus, dass es zu Machtkämpfen kommen könnte.

Ambitionierte Verwandte

So ist unklar, wie die mächtigen Generäle auf den neuen Machthaber reagieren. Die „Asia Times“ verweist dabei vor allem auf die Schwester Kim Jong Ils, Kim Kyong Hui, und deren Mann Jang Song Thaek, die wichtige Posten in der Partei bekleiden. Ihnen soll eine gewichtige Rolle bei der Unterstützung Kim Jong Uns zukommen - allerdings sei nicht ausgeschlossen, dass sie selbst nach noch höheren Ehren streben. Mit Blick auf die beiden sieht auch der Nordkorea-Experte Chung Young Tae vom südkoreanischen Institut für Nationale Wiedervereinigung eine „große Wahrscheinlichkeit“, dass „es in Nordkorea zu einem Machtkampf an der Spitze kommt“.

AI: Hinweise auf Säuberungswellen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) berichtet unterdessen von Hinweisen darauf, dass die nordkoreanische Regierung bereits politische Säuberungen durchgeführt hat. Hunderte von Beamten seien hingerichtet oder in Straflager verbannt worden, weil sie eine Bedrohung für die Nachfolge durch Kim Jong Un darstellten.

AI geht zudem davon aus, dass nach dem Tod von Staatschef Kim Jong Il die Unterdrückung noch verschärft wird, wie sie am Montag in einer Mitteilung schrieb. Die Nachrichten der vergangenen Monate aus Nordkorea ließen darauf schließen, dass Kim Jong Un „jede kritische Stimme zum Schweigen bringen will“.

China erwartet Reformen

Hektische Treiben wird derzeit auch aus China, Nordkoreas einzigem Verbündeten, berichtet. „Offen gesagt haben sie damit gerechnet, dass er noch ein paar Jahre im Amt bleibt. Sie werden sehr nervös sein, was die weitere Entwicklung betrifft“, so Stephanie Kleine-Ahlbrandt von der International Crisis Group gegenüber Reuters. Auch Cai Jian von der Fudan-Universität in Schanghai sagt, der Tod Kims komme für die Chinesen aus heiterem Himmel. „Chinas größte Sorge wird die Stabilität Nordkoreas sein, und Chinas Ziel wird sein, das Land stabil zu halten.“

Chinesische Experten gehen davon aus, dass Nordkorea nach einer gewissen Anstandsfrist wirtschaftliche Reformen einleiten wird. „Jetzt, wo Kim Jong Il gestorben ist, gehe ich bei der Wirtschaftspolitik von großen Veränderungen aus“, sagt Wei Zhijiang von der Zhongshan-Universität. Das streng abgeschottete Land werde sich unter dem Nachfolger von Kim hier mehr öffnen: „Der Generation von Kim Jong Un ist sehr bewusst, dass Nordkorea nicht von der Welt isoliert bleiben kann“, sagte der Experte gegenüber Reuters mit Blick auf Kims Sohn.

„Sicherlich ist China wegen einer möglichen Instabilität in Nordkorea besorgt,“ sagte die Nordkorea-Expertin Yu Yingli vom Schanghaier Institut für Internationale Studien am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Obwohl China enge Beziehungen zu seinem Nachbarn pflege, sei es auch für seine Politiker nicht einfach, die Situation in dem „sehr abgeriegelten Land“ klar einzuschätzen, sagte Yu.

Wiedervereinigung in Reichweite?

Besonders groß ist die Anspannung freilich in Südkorea. Die Furcht vor neuen Spannungen nach dem Tod Kims schickte den südkoreanischen Won am Montag auf Talfahrt. Präsident Lee Myung Bak rief seine Landsleute zur Ruhe auf. Nach der Todesnachricht waren die südkoreanischen Truppen in Alarmbereitschaft versetzt worden, da Provokationen und Zwischenfälle des unberechenbaren Nachbarn nicht ausgeschlossen wurden.

Tatsächlich testete Nordkorea am Montag eine Mittelstreckenrakete. Der Agentur Yonhap zufolge bestätigte ein südkoreanischer Regierungsvertreter den Test, sagte jedoch, es gebe vermutlich keinen Zusammenhang zwischen dem Test und der Bekanntgabe von Kims Tod. Genauso wurden in Südkorea aber auch Stimmen laut, die schon jetzt einen völligen Zusammenbruch des Nachbarlandes mittel- bis langfristig nicht ausschließen. Sogar das Wort Wiedervereinigung fällt in ersten Analysen.

Japan nervös

Und auch Japan schaut nach dem Tod Kims mit nervöser Spannung auf die weitere Entwicklung in dem unberechenbaren Nachbarstaat. Ministerpräsident Yoshihiko Noda wies seine Regierung an, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Kaum ein anderes Land fühlt sich durch Nordkoreas Raketen- und Atomprogramme so bedroht wie Japan. Pjöngjangs Test einer ballistischen Rakete, von der Teile 1998 über Japan hinwegflogen und im Pazifik landeten, hatte Tokio schockiert.

Japan fordert darüber hinaus von Nordkorea Aufklärung in der Frage der Entführung von Landsleuten in den 70er und 80er Jahren. Fünf nach Nordkorea entführte Japaner waren 2002 nach Hause zurückgekehrt. Nordkorea behauptete, dass acht weitere Japaner inzwischen gestorben seien und es keine weiteren Entführten gegeben habe. Japan bezweifelt das jedoch und verlangt von Pjöngjang eine vollständige Aufklärung von insgesamt 17 Fällen.

TV-Hinweis

Das „Weltjournal“ widmet sich am Mittwoch um 22.30 Uhr in ORF2 der Frage, wie es in Nordkorea nach dem Tod Kims weitergeht - mehr dazu in tv.ORF.at.

Internationaler Dialog im Stocken

Völlig in den Sternen steht auch die ursprünglich für demnächst geplante Wiederaufnahme der Sechsparteiengespräche über den Abbau von Nordkoreas Atomwaffenprogramm. Seit Juli laufen Sondierungen, wann Nordkorea die Verhandlungen mit den USA, China, Südkorea, Japan und Russland wieder aufnimmt. Zuletzt sah es danach aus, als ob der neue US-Sonderbeauftragte Glyn Davies tatsächlich eine Rückkehr an den Verhandlungstisch erreichen könnte. Noch weiter fortgeschritten waren die Verhandlungen über Lebensmittelhilfe für den völlig verarmten Staat. Auch hier ist die weitere Vorgangsweise völlig offen.

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