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Wahlergebnis bringt Putin-Mann zu Fall

Der Präsident des russischen Parlaments, der Duma, Boris Gryslow, hat am Mittwoch seinen Rücktritt erklärt. „Ich habe mich entschieden, mein Mandat niederzulegen“, so Gryslow laut der Website der Regierungspartei Geeintes Russland.

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Auch wenn das Gesetz das nicht verbiete, so halte er es nicht für statthaft, mehr als zwei Amtszeiten in Folge zu absolvieren, schrieb der Vertraute von Ministerpräsident Wladimir Putin. Gryslow amtierte seit 2003 als Präsident der Duma, des russischen Unterhauses.

Ehemaliger russischer Parlamentspräsident Boris Gryslow

APA/EPA/Sergei Chirikov

Gryslows Schicksal wurde durch das Wahlergebnis besiegelt

Erstes Bauernopfer

Der frühere Innenminister unter Putin als Staatschef gilt als das bisher prominenteste Bauernopfer für Putin wegen des schwachen Abschneidens der Kreml-Partei Geeintes Russland bei der Wahl am 4. Dezember. Die Moskauer Zeitung „Wedomosti“ schrieb, nach dem Verlust der Zweidrittelmehrheit von Geeintes Russland sei Gryslows Schicksal besiegelt gewesen. Er bleibe aber im Parteivorstand, kündigte Gryslow am Mittwoch nach Angaben der Agentur ITAR-TASS an.

Gryslow sicherte für Putin bis zum letzten Urnengang zuverlässig die Mehrheiten in der Duma. Sein Satz „Die Duma ist kein Ort für Diskussionen“ wurde in Russland zum geflügelten Wort. Als Nachfolger an der Duma-Spitze wurde der stellvertretende Regierungschef Alexander Schukow gehandelt.

Rücktritt inmitten anhaltender Proteste

Der Rücktritt erfolgt inmitten einer beispiellosen Protestwelle gegen den umstrittenen Sieg der Putin-Partei bei der Parlamentswahl. Am Samstag hatte die Opposition zwischen 50.000 und 80.000 Demonstranten in Moskau mobilisiert, die Wahlbetrug anprangerten und eine Annullierung des Ergebnisses forderten.

Die Moskauer Stadtverwaltung genehmigte am Mittwoch laut Oppositionsangaben eine neue Massendemonstration mit bis zu 50.000 Teilnehmern am 24. Dezember in der russischen Hauptstadt. Allerdings seien die drei bestgeeigneten Plätze im Stadtzentrum bereits belegt gewesen, sagte Anastassija Udalzowa von der außerparlamentarischen Linken Front am Mittwoch nach Angaben der Agentur Interfax. Zuletzt hatten Mitglieder Kreml-treuer Jugendorganisationen mit Kundgebungen versucht, die Oppositionsproteste zu behindern. Auch Ultranationalisten wollen dann auf die Straße gehen. Der 24. Dezember ist im russisch-orthodoxen Land ein normaler Arbeitstag.

Aufruf an EU

Der russische Oppositionelle und frühere Regierungschef Michail Kasjanow rief die Europäische Union (EU) am Dienstag zu einer harten Haltung gegenüber der Führung in Moskau auf. „Wir brauchen demokratische Unterstützung“, sagte Kasjanow in Straßburg. Russland dürfe nicht als „seltsames und zur Hälfte brutales Land“ angesehen werden, in dem die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien normal sei. Die EU-Mitgliedsstaaten müssten auch gegenüber der Regierung Putin ihre Werte vertreten und dürften nicht auf „Realpolitik“ setzen, sagte Kasjanow, der zur Präsidentenzeit Putins Regierungschef gewesen war.

EU-Parlament fordert Untersuchung

Das EU-Parlament forderte nach den Massenprotesten gegen Wahlmanipulationen neue freie und faire Wahlen in Russland. Die Abgeordneten verurteilten außerdem das brutale Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstranten. Die Berichte über Wahlfälschung und Einschüchterung bei dem Urnengang am 4. Dezember sollten „unverzüglich und gründlich untersucht werden“, hieß es in der Entschließung, die am Mittwoch in Straßburg auf Antrag der Grünen mit großer Mehrheit verabschiedet wurde.

Die Abgeordneten äußerten sich „außerordentlich besorgt“ über die vorläufigen Berichte der Wahlbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Als Missstände aufgeführt waren darin die Bedrohung unabhängiger Beobachter, fehlende Ausgewogenheit der Medien und Verquickung zwischen Parteien und Staat.

Tritt Putin offiziell ohne Partei an?

Putin strebt nach seiner Amtszeit als Regierungschef den Sieg bei der Präsidentenwahl am 4. März an. Er war bereits von 2000 bis 2008 Staatschef und räumte den Posten für seinen Schützling Dimitri Medwedew, da er nach zwei Mandaten in Folge gemäß der Verfassung zunächst nicht noch einmal kandidieren durfte. Wenn Putin wie erwartet im März zum Staatschef gewählt wird, könnte er wieder zwei Amtszeiten absolvieren.

Um sich von den Vorwürfen der Wahlfälschung und dem schlechten Ergebnis der Partei zu distanzieren, könnte Putin bei der Präsidentenwahl als Einzelperson und nicht als Parteikandidat antreten, wird bereits spekuliert. Putin will am Donnerstag bei einer Fernsehsprechstunde mit Bürgern ins Gespräch kommen. Bei der Livesendung im Staatsfernsehen fordern die Menschen vor allem eine Reaktion Putins auf die größten Anti-Regierungsdemonstrationen seiner Amtszeit, berichteten Medien in Moskau. Putin sei nie „brennenden Fragen“ aus dem Weg gegangen und werde ohne Zeitbegrenzung Antworten geben, kündigte sein Sprecher Dimitri Peskow nach Angaben der Agentur Interfax am Dienstag an.

Medwedew mit Rede an die Nation

Kreml-Chef Medwedew setzte unterdessen die erste Sitzung der neuen Duma für den 21. Dezember an. Am Tag danach werde er seine Rede an die Nation halten, sagte Medwedew nach Kreml-Angaben. Bei einem Treffen mit den vier Fraktionschefs der in der Duma vertretenen Parteien sprach er sich erneut für eine Prüfung der zahlreichen Wahlfälschungsvorwürfe aus. „Wo es echte Verstöße gegeben hat, muss es gerechte Entscheidungen geben“, sagte er.

Medwedew hatte die Duma-Wahl vom 4. Dezember trotz weltweiter Kritik als demokratisch, ehrlich und frei beurteilt. Laut Medwedew soll Geeintes Russland nicht nur die Ausschüsse, sondern auch die anderen Kräfte in der Duma kontrollieren.

Wegen kritischer Berichterstattung entlassen

Nach kritischen Berichten über Fälschungsvorwürfe bei der Parlamentswahl wurden in Moskau die Leiter der renommierten Zeitschrift „Kommersant-Wlast“ gefeuert. In seiner aktuellen Ausgabe hatte das Wochenmagazin unter anderem das Foto eines Stimmzettels veröffentlicht, auf den ein Wähler Schimpfworte gegen Putin geschrieben hatte.

Vor allem wegen dieses „ethisch fragwürdigen“ Bildes seien Chefredakteur Maxim Kowalski und der Leiter der Media-Holding Kommersant, Andrej Galijew, entlassen worden, teilte der Verlag mit. Auch Verlagschef Demjan Kudrjawtsew bot seinen Rücktritt an. Der Kreml-nahe Hauptaktionär Alischer Usmanow nannte die Berichterstattung „nicht hinnehmbar“. Der Chef des Journalistenverbands, Wsewolod Bogdanow, warf Usmanow „Zensur“ vor.

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