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„Suche nach Talent, nicht nach Heiligen“

Der frühere deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat wieder einen - politischen - Job. Neun Monate nach seinem Rücktritt wegen der Plagiatsaffäre soll er nun Internetberater der EU-Kommission werden. Nicht nur unter Bloggern und Netzaktivisten ist die Empörung groß. Denn es waren letztlich Internetrecherchen, die Plagiate in seiner Doktorarbeit aufdeckten.

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Auch in der Politik gehen die Wogen hoch. Die EU-Kommission halte Guttenberg den Steigbügel, um seinen Namen reinzuwaschen, kritisierte der FDP-Politiker Alexander Alvaro. „Damit macht man den Bock zum Gärtner“, kritisierte auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Von „Inszenierungsversuchen“ war die Rede. Die Grünen im Europaparlament kündigten eine parlamentarische Anfrage bei der EU-Kommission an. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigte sich „erstaunt“ über die Personalauswahl.

„Kein politisches Comeback“

Seit Ende November wird über ein neues politisches Comeback Guttenbergs diskutiert, als er sein Interviewbuch „Vorerst gescheitert“ präsentierte. Derzeit arbeitet er für das US-Institut Center for Strategic and International Studies (CSIS) und wird das auch weiterhin tun. Seinen ersten politischen Auftritt wählte er nun in Brüssel bei der für die digitale Agenda zuständigen EU-Vizepräsidentin Neelie Kroes. Spekulationen über eine Rückkehr auf die politische Bühne ließ er nicht aufkommen: „Dies ist kein politisches Comeback.“

Kroes verteidigt neuen Berater

Am Montag präsentierte Kroes Pläne, wie Netzaktivisten in autoritär regierten Staaten unterstützt werden können. Geplant ist, dass die EU Programme zur Umgehung von staatlichen Internetsperren verteilt. In puncto Internetfreiheit soll Guttenberg nun die EU-Kommission unterstützen, Regierungen, Verbände und Blogger kontaktieren und beraten - ohne Bezahlung. Kritik an der Entscheidung gestand Kroes nicht zu: „Das war meine Idee.“ Sie brauche jemanden wie Guttenberg und vertraue ihm ohne Vorbehalt: „Ich suche nach Talent und nicht nach Heiligen.“

Vor allem in den sozialen Netzwerken häufen sich die Zweifel, ob Guttenberg für diesen Job tatsächlich geeignet ist. Auf Twitter wurden in Anlehnung an Kroes’ Talentsuche andere Vergleiche gezogen. So wurde etwa spöttisch vorgeschlagen, Italiens bisherigen Premier Silvio Berlusconi als Anti-Korruptionsbeauftragten der EU zu installieren und den 108-jährigen Schauspieler Johannes Heesters zum Berater für Jugendschutzfragen zu ernennen.

Vorratsdatenspeicherung „verhältnismäßig“

Guttenberg zeichnete sich bisher nicht als Experte für das Internet aus, zudem galt er bisher als Vertreter von Internetsperren, kritisierte die internationale Gruppe Telecomix, die versucht, Nutzern in diktatorisch regierten Ländern einen freien Internetzugang zu ermöglichen. 2007 sprach sich Guttenberg für das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung aus. Die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten sei „verhältnismäßig und dem Bürger durchaus zumutbar“, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ seine Argumente. Drei Jahre später kippte das deutsche Bundesverfassungsgericht das Gesetz - wegen seiner Unverhältnismäßigkeit.

„Diesem Mann ist das Internet bislang egal gewesen“, argumentierte etwa der Initiator des GuttenPlag-Wikis, der anonym bleiben möchte. Zu Freiheitsrechten habe sich Guttenberg bisher praktisch gar nicht geäußert. Als „unbedeutend“ bewertete der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger Guttenbergs Auftritt. Er freue sich über die Zusammenarbeit, aber er glaube nicht, „dass es Entscheidendes bringen wird“.

Guttenbergs Erfahrungen mit dem Internet

Guttenberg hingegen sieht sich gut vorbereitet - nicht zuletzt aufgrund seiner breiten Kontakte und seiner persönlichen Erfahrungen: „Ich bin der Macht des Internets persönlich ausgesetzt gewesen, erst in diesem Jahr. Und ich erkenne und wertschätze dessen Fähigkeit, jene an der Macht zur Verantwortung zu ziehen.“ Der GuttenPlag-Wiki-Initiator kann diese Erklärung nicht nachvollziehen: „Wenn ich mich mitten auf die Straße stelle und vom Auto angefahren werde, heißt das nicht, dass ich Automechaniker bin.“

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