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Neuer Roman des Nobelpreisträgers Llosa

Freiheitskampf, Folter und die Furchtbarkeiten des Kolonialismus: Mit „Der Traum des Kelten“ legt der peruanisch-spanische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa ein Spätwerk vor, das sich einer fesselnden Thematik widmet und dem Leser den Atem raubt - allerdings weniger durch seine erzählerische Dramaturgie als durch die schiere Fülle an Fakten.

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Seine „Kartografie von Machtstrukturen und seine bissigen Bilder von Widerstand, Revolte und Niederlage des Individuums“ waren es, für die die schwedische Akademie vergangenes Jahr den politisch engagierten Intellektuellen hervorhob, der in den fünfzig Jahren seiner Autorentätigkeit mit Romanen wie „Das grüne Haus“ oft autoritäre, undemokratische Systeme in den Mittelpunkt rückte.

„Der Traum des Kelten“, der die Lebensgeschichte des irischen homosexuellen Menschenrechtlers und Freiheitskämpfers Roger Casement thematisiert und sich als Plädoyer gegen koloniale Unterdrückung und Gewalt liest, birgt in diesem Sinne keine große inhaltliche Überraschung. Doch der historische Stoff ist stark, und vor allem hat ihn Llosa akribisch recherchiert.

Peitschenhiebe und abgehackte Hände

Von zivilisatorischen Fortschrittsgedanken beflügelt, bricht Casement im Auftrag der britischen Krone in den Kongo auf, wo er auf Folter, Mord und Ausbeutung trifft. Die barbarischen Methoden, mit denen der belgische König Leopold II. die indigene Bevölkerung für sich schuften lässt, hält der desillusionierte Diplomat in einem Bericht fest, der international einen Skandal auslöste.

Im peruanischen Amazonasgebiet setzt Casement seine völkerrechtliche Mission fort, wieder stößt er auf Zwangsarbeit und Gräueltaten: peitschenschwingende Plantagenaufseher, die den Arbeitssklaven Brandmarken auf die nackte Haut drücken, ihnen Hände und Genitalien abschneiden. Ein riesiges Kautschuk-Imperium kommt nach den aufdeckenden Dossiers Casements zu Fall, der Ire wird für seine Verdienste vom Empire geadelt.

Was macht Menschen böse?

Die Textstellen rund um den Genozid, der im Namen der europäischen Kolonialpolitik begangen wurde, sind die packendsten Passagen des Romans und zugleich jene, aus denen man den Humanisten Llosa am lautesten durch die Zeilen sprechen hört. Dabei appelliert er weniger an ein kollektives Schuldbewusstsein, sondern wirft vor allem soziologische und ethische Fragestellungen auf: Was macht Menschen böse? Wie kann es geschehen, dass Unternehmer aus reiner Profitgier zu mordenden Bestien werden?

Hochbrisanter Stoff

Bei der Darstellung des irischen Nationalisten Casement hat sich Llosa dagegen etwas zurückgenommen - leider, da gerade dieser hochbrisante Stoff großes erzählerisches Potenzial birgt. Der britischen Unterjochung seiner eigenen Landsleute bewusst geworden, schließt sich der Diplomat der irischen Unabhängigkeitsbewegung an. 1914 reist er nach Deutschland, um eine Brigade aus irischen Kriegsgefangenen zu bilden und eine Waffenlieferung in seine Heimat zu organisieren. Eine deutsche Militäraktion gegen England soll den Erfolg eines zeitgleichen irischen Aufstandes ermöglichen. Der Plan geht schief, Casement wird verraten und verhaftet, der irische Osteraufstand 1916 blutig niedergeschlagen.

„Patriotismus schwächt den Scharfsinn“, legt der bekennende Anti-Nationalist Llosa einer Freundin Casements in den Mund, und es scheint fast, als würde er dieses Credo mit einer etwas schablonenhaften Darstellung des irischen Patrioten auf formaler Ebene selbst illustrieren wollen. Anders lässt es sich nicht erklären, warum die Passagen um den Menschenrechtler Casement insgesamt runder und stimmiger wirken als jene, die sich um den Freiheitskämpfer drehen.

„Wahnsinn“ bei Llosa nicht spürbar

Auch viele von Casements prominenten Freunden, zu denen immerhin George Bernard Shaw, Arthur Conan Doyle und Joseph Conrad zählen, werden mit dem erwachten Patriotismus des Diplomaten nicht recht warm. Besonders schmerzt Casement der Freundschaftsverlust von Conrad, mit dem er eine gemeinsame Expedition auf dem Kongo-Fluss unternommen hat. Die düsteren Schreckensszenarien aus „Herz der Finsternis“ drängen sich auch beim Lesen von Llosas literarischem Reisebericht auf.

Eine psychologische Reise in die inneren menschlichen Abgründe, wie sie sich in Conrads Klassiker auftun, ist „Der Traum des Kelten“ aber keineswegs. Die Grausamkeiten und die „Verrohung“ seiner Mitmenschen lassen Casement zwar um seine eigene mentale Gesundheit bangen. Doch wirklich greifbar wird der Wahnsinn für den Leser nicht.

Das mag daran liegen, dass sich Llosa auf die Rolle eines Chronisten beschränkt, der Casements Leben mit einer Fülle an biografischen Daten untermauert, das Innenleben des Helden aber weitgehend ausklammert. Auch homoerotische Szenen kommen etwas gestelzt daher. Es scheint, als hätte der Autor zu großen Respekt davor, der schillernden historischen Figur wirklich nahezutreten. Dadurch verliert sie in ihrer literarischen Umsetzung erheblich an Glanz.

Roter Faden gefährlich dünn

Da hilft es auch nicht, dass Llosas Wortwahl schön, sein sprachlicher Ausdruck flüssig, und seine Satzkonstruktionen perfekt sind. Im Gegenteil, gerade diese erzählerische Routine gekoppelt mit einem biografischen Anspruch zur Vollständigkeit macht das Lesen mitunter etwas langatmig. Viele Passagen überwältigen mit einem Sammelsurium an Namen, Orten und historischen Daten dermaßen, dass sie wohl in einem Geschichtsbuch besser aufgehoben wären.

Cover von "Der Traum des Kelten"

Suhrkamp

Buchhinweis

Mario Vargas Llosa: Der Traum der Kelten. Suhrkamp, 444 Seiten, 25,60 Euro.

Der rote Faden läuft zwar kontinuierlich durch die drei großen Abschnitte „Der Kongo“, „Der Amazonas“ und „Irland“, wird bei den zahlreichen floskelhaften Unterredungen Casements mit Missionaren, Beamten, Offizieren und Stationsvorstehern aber oft gefährlich dünn. Auch die Tatsache, dass jedes zweite Kapitel in der Zelle des Londoner Pentonville-Gefängnisses angesiedelt ist, von wo aus der verurteilte Diplomat den irischen Aufstand zusätzlich noch einmal Revue passieren lässt, beeinträchtigt den Lesefluss erheblich, da man sich ständig mit störenden Redundanzen herumplagen muss.

Hat man sich aber einmal durch die 437 Seiten geackert und hört Casements Henker vor dem Galgenstrick wispern: „Wenn Sie die Luft anhalten, geht es schneller, Sir“, spürt man doch etwas von der fast mystischen Strahlkraft, die diesem erst spät von der konservativen irischen Öffentlichkeit rehabilitierten Nationalhelden anhaftet. Eine straffere Handlung und etwas weniger erzählerische Distanz, und man wäre sich dieser auch in den 436 Seiten davor stärker bewusst gewesen.

Sonja Ryzienski, ORF.at

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