Neonazi-Terror-Affäre weitet sich aus
Nachdem durch den Selbstmord von zwei Neonazis eine für Deutschland bisher beispiellose Terrorserie aufgeflogen ist, gerät nun auch das Thüringer Landeskriminalamt (LKA) immer stärker unter Druck.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Die Behörde soll Ende der 1990er Jahre kurz nach dem Untertauchen des Neonazi-Trios, das später für neun Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie für die Ermordung einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich sein soll, die Möglichkeit zur Festnahme gehabt haben. Kurz vor dem geplanten Zugriff sei der Einsatz aber abgebrochen worden, berichtete der Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) in Thüringen am Freitag.
Das LKA-Spezialeinsatzkommando habe einen Einsatzplan für die Festnahme gehabt, sei aber kurz vor dem Aufbruch nach Sachsen gestoppt worden. Es habe damals massive Beschwerden der zurückgepfiffenen Einsatzkräfte gegeben.
Als Mitglieder der Zwickauer Zelle gelten die beiden zu Monatsbeginn nach ihrem Selbstmord tot aufgefundenen Uwe B. und Uwe M. sowie die inhaftierte 36-jährige Beate Z.
„Massive Beschwerden“
Laut MDR soll das LKA damals auch ihre Zielfahnder zurückgerufen haben. Das Innenministerium in Erfurt wollte den Bericht am Freitag unter Verweis auf die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und die eingesetzte Untersuchungskommission in Thüringen nicht kommentieren. Nach MDR-Informationen hatten sich die zurückgepfiffenen LKA-Beamten massiv beschwert. Daraufhin habe es ein Gespräch zwischen „hohen Vertretern des Innenministeriums“ und den Polizisten gegeben.
Gründe bleiben im Dunkeln
Unklar sei, ob ihnen ein Grund für den Abbruch der Aktion genannt wurde. Die drei Thüringer Mitglieder der späteren Terrorzelle waren der Polizei als mutmaßliche Bombenbauer ins Visier geraten. Bei einer Razzia Anfang 1998 fanden die Ermittler eine Werkstatt mit Rohrbomben und Sprengstoff. Das Trio tauchte unmittelbar nach der Entdeckung unter. Die Ermittlungen waren 2003 wegen Verjährung eingestellt worden.
Das Neonazi-Trio soll hinter der bundesweiten Mordserie an neun Migranten in den Jahren 2000 bis 2006 stehen und 2007 zudem eine Polizistin erschossen haben. Die Zelle steht zudem im Verdacht, 2001 und 2004 zwei Sprengstoffanschläge in Köln mit insgesamt 23 Verletzten verübt zu haben. Als mutmaßlicher Helfer wurde neben Beate Z. zudem der 37-jährige Holger G. in Niedersachsen festgenommen, auch er sitzt in Untersuchungshaft.
Neue Verdächtige
Unklar ist, wie groß die Terrorzelle tatsächlich ist - möglicherweise größer als bisher bekannt: Die Ermittler haben neben den beiden bereits Verhafteten zwei weitere Personen im Visier, wurde am Freitag gemeldet. Es seien „zwei plus zwei“, teilte Generalbundesanwalt Harald Range am Freitag in Berlin mit. „Das kann auf ein Netzwerk hinauslaufen“, so der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, am Freitag.

dapd/Mobit
Neonazis Uwe B., Andre K. und Uwe M. im Herbst 1996 in Erfurt
Die rechtsextreme Gruppe Thüringer Heimatschutz, aus der der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) entstanden ist, habe zeitweise 170 oder 180 Mitglieder gehabt. Auch in Sachsen und Brandenburg gab es Hinweise auf mögliche Unterstützer. Aufklärung über mögliche Helfer ist von der festgenommenen Beate Z. vorerst allerdings nicht zu erhoffen - sie will bis auf weiteres nicht aussagen.
„Es gibt keine Todesliste“
Zugleich widersprach Ziercke am Freitag Spekulationen, die bei dem Zwickauer Neonazi-Trio gefundenen Datensammlungen deuteten auf Anschlagsplanungen gegen Politiker oder Migrantenvertreter hin. „Es gibt keine Todesliste.“ Vermutungen, es handle sich bei den Listen aus dem Jahr 2005 mit mehr als 10.000 Anschriften und Namen um Anschlagsziele, seien „ohne Substanz“.
Bund und Länder wollen nun mit besseren Ermittlungsstrukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror in Deutschland reagieren. Dazu zählen eine neue zentrale Datei, ein Abwehrzentrum und bessere Kooperation der Sicherheitsbehörden. Viele Fragen blieben nach dem großen Krisengipfel von Bund, Ländern und den Spitzen der Ermittlungsbehörden in Berlin am Freitag allerdings offen. Konkret geprüft werden soll ein neuer Anlauf für ein NPD-Verbot.
Links: