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Zahlreiche Telefonate

Der zurückgetretene italienische Premier Silvio Berlusconi hat sich am Sonntag über die Schmährufe und Pfiffe verbittert gezeigt, die seine Rücktrittserklärung begleitet haben. Er sei wegen der Szenen verletzt, die sich am Samstag in Rom abgespielt haben, berichteten Mitarbeiter des Medienzaren.

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Die Menschenversammlung vor dem Präsidialamt sei nicht spontan, sondern von der Linken organisiert worden, sagte Berlusconi. Der zurückgetretene Premier führte am Sonntag ein Telefongespräch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, und habe über die Schuldenkrise gesprochen, verlautete es aus Regierungskreisen in Rom.

Streit über Sparkurs

Berlusconi war wegen der hohen Staatsverschuldung immer stärker unter Druck geraten und hatte im Streit über den Sparkurs zuletzt auch den Rückhalt im Parlament verloren. Die Billigung des milliardenschweren Sparpaketes durch das Parlament hatte er zur Voraussetzung für seinen Rücktritt gemacht.

Berlusconi erhielt zudem zahlreiche Telefonanrufe von Amtskollegen, darunter vom russischen Premier Wladimir Putin. Berlusconi erwarte auch einen Anruf von US-Präsidenten Barack Obama hieß es in Rom. Der russische Präsident Dimitri Medwedew dankte Berlusconi in einem Telefonat für dessen „großen persönlichen Beitrag“ zur italienisch-russischen Zusammenarbeit.

Berlusconi will weiterhin Fäden ziehen

Berlusconi will offensichtlich weiter in der Politik mitmischen. „Ich wünsche mir, gemeinsam mit euch den Weg in die Regierung wieder aufzunehmen“, schrieb Berlusconi in einem am Sonntag veröffentlichten Brief an die kleine politische Formation Destra Nazionale. Sein gegenwärtiger Parteichef Angelino Alfano sagte, Berlusconi werde wohl seine PdL-Partei (Volk der Freiheit) führen und anstreben, „die größte gemäßigte Partei des Landes zu organisieren“. Aus der Partei PdL gab es auch den Hinweis, dass Berlusconi sich öffentlich noch „zu seiner Pflicht und zu seinem Willen voranzugehen“ äußern könnte. Das sagte eine PdL-Abgeordnete nach einem Gespräch mit Berlusconi in Rom.

Stundenlanges Freudenfest nach Rücktritt

Berlusconi war am Samstag zurückgetreten. Der Medienmilliardär reichte am späten Abend nach Angaben des Präsidialamtes seinen Rücktritt bei Napolitano ein, nachdem mit dem Abgeordnetenhaus auch die zweite Parlamentskammer das neue Sparpaket verabschiedet hatte.

Der Rücktritt wurde von Berlusconis Gegnern mit einem stundenlangen nächtlichen Freudenfest gefeiert. Fahnen wurden in Rom geschwenkt, Autohupen waren vor allem rund um die Privatvilla Grazioli des 75-jährigen Berlusconi zu hören. Beobachter sagten, so sei bisher nur gefeiert worden, wenn Italien den Weltmeistertitel im Fußball geholt hatte.

Pfeifkonzert und Schmährufe

Bereits Stunden vor dem erwarteten Rücktritt versammelten sich auch vor dem Dienstsitz Napolitanos, dem römischen Quirinalspalast, zahlreiche Menschen. „12. November, Fest der Befreiung“, „Game Over“, „Bye Bye Silvio, Party?“ lauteten unter anderem die Slogans auf den Transparenten. Berlusconi wurde schließlich von der Menge mit Schmährufen und einem Pfeifkonzert empfangen.

Menschenmenge feiert Berlusconis Rücktritt

AP/Andrew Medichini

Demonstranten feiern mit „Befreiungskonzert“ Berlusconis Rücktritt

Die Polizei konnte nur mit Mühe die Masse vom Auto des Premiers fernhalten. Unter wildem Geschrei der dort wartenden Demonstranten betrat Berlusconi den Präsidentenpalast, um seinen Rücktritt einzureichen. Ein kleines Orchester aus Berlusconi-Gegnern veranstaltete ein „Befreiungskonzert“, um das Ende des Mitte-rechts-Kabinetts zu feiern. Ein Chor ließ Händels „Halleluja“ aus dem Oratorium „Der Messias“ ertönen.

In Rom verschanzt

An seinem „längsten Tag“ (Zitat ANSA, Anm.) wurde Berlusconi zuvor bereits beim Verlassen des Abgeordnetenhauses von aufgebrachten Regierungsgegnern empfangen. Auch vor Berlusconis römischer Privatresidenz Palazzo Grazioli, in der Berlusconi vor seinem Rücktritt noch ein Gipfeltreffen seiner Partei führte, versammelten sich Demonstranten.

Der „Cavaliere“ - wie Berlusconi sich als Träger des Verdienstordens Ritter der Arbeit nennen lässt - verschanzte sich nach seinem Rücktritt in seiner römischen Residenz. Berlusconi bestimmte seit 1993 politisch das Geschehen in seinem Land. Aus diesem Grund wird der Rücktritt nun als Ende einer Ära gewertet.

Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi

Reuters/Tony Gentile

Berlusconi prägte lange Jahre die Politik in Italien

Grünes Licht für Sparpaket

Zuvor verabschiedete das italienische Abgeordnetenhaus ein neues Sparpaket mit Wirtschaftsreformen und Liberalisierungsmaßnahmen, mit dem das Land nun aus der Schuldenkrise geführt werden soll. Das Maßnahmenpaket, zu dem sich Italien gegenüber der EU verpflichtet hatte, wurde mit 380 Stimmen verabschiedet. 26 Parlamentarier stimmten dagegen, zwei enthielten sich der Stimme. Im Senat wurde das Paket bereits am Freitag abgesegnet.

Tremonti begrüßt Sparpaket

Das Gesetzespaket enthält unter anderem Steuererleichterungen zur Förderung des Wachstums und den Verkauf von Staatseigentum zum Abbau des Schuldenberges. Die Maßnahmen sollen aber auch für größere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Zudem ist eine Anhebung des Rentenalters auf 67 bis 2026 vorgesehen.

Wirtschaftsminister Giulio Tremonti begrüßte nun die Verabschiedung des Maßnahmenpaketes. Mit diesem „verpflichtet sich die Regierung, eine ausgeglichene Bilanz zu erreichen. Das ist nicht einfach, zum letzten Mal hatte Italien vor 125 Jahren eine derartige Bilanz vorgelegt“, sagte Tremonti.

„Schmerzhafte Phase zu Ende“

Nach der Abstimmung feierte im Abgeordnetenhaus die Demokratische Partei (PD), Italiens stärkste Oppositionspartei, das Ende der Ära Berlusconi. „Eine schmerzhafte Phase für Italien ist zu Ende gegangen. Italien ist ein Land, das das Blatt wenden und aufs Neue anfangen will. Für uns alle beginnt eine neue Ära. Wir müssen alles neu aufbauen: die Wirtschaft, die Justiz und das Wahlsystem“, sagte der PD-Fraktionschef in der Abgeordnetenkammer, Dario Franceschini.

Die oppositionelle Mitte-links-Allianz würde bei vorgezogenen Parlamentswahlen zwar gewinnen, doch jetzt brauche Italien eine Übergangsregierung, die die von der EU geforderten Sparmaßnahmen umsetzt, so Franceschini weiter.

„Silvio, Silvio“-Rufe von PdL-Abgeordneten

Parlamentarier der Berlusconi-Partei Popolo della Liberta (PdL) verabschiedeten sich vom scheidenden Premier mit Standing Ovations. „Silvio, Silvio“, skandierten die Mitte-rechts-Parlamentarier. Berlusconi dankte und winkte seinen Parteikollegen zu, bevor er das Abgeordnetenhaus verließ. „Diese Regierung stürzt wegen weniger Parlamentarier, die Berlusconi verraten haben“, sagte der PdL-Abgeordnete Antonio Lannarilli in einer Erklärung vor dem Votum über das Sparpaket.

Die Parlamentarier der rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord, die eine Übergangsregierung in Rom nicht unterstützen wollen, skandierten laut „Wahlen, Wahlen“. „Es ist absurd, dass die EU und die Welt uns sagen, was wir tun sollen. Gestern ist sogar EU-Ratspräsident Herman van Rompuy nach Italien gereist, um zu sagen, dass die Italiener keine Neuwahlen brauchen. Ich glaube, das ist beispiellos“, sagte Innenminister Roberto Maroni, die „Nummer zwei“ der Lega Nord.

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