Brüssel warnt Athen und Rom
Während sich auf der politischen Ebene in den Euro-Krise-Ländern Griechenland und Italien endlich Lösungen abzeichnen, sind die Hiobsbotschaften am Donnerstag aus Brüssel gekommen. „Das Wachstum in Europa ist zum Stillstand gekommen, und es besteht das Risiko einer erneuten Rezession“, erklärte EU-Währungskommissar Olli Rehn. Vor allem die Aussichten für Italien und Griechenland sind nicht rosig.
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Nach tagelangem Gezerre ging es am Donnerstag vor allem in Griechenland voran: Sozialisten, Konservative und Ultrakonservative einigten sich in Athen darauf, dass der frühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Lucas Papademos, Ministerpräsident einer neuen Übergangsregierung werden soll. Staatspräsident Karolos Papoulias erteilte den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung. Papademos rief die Griechen am Donnerstag zu „Einheit, Verständigung und Vernunft“ auf.
Auch in Italien deutete sich ein Ende der Regierungskrise an: Italienische Medien und Politiker gaben Ex-EU-Kommissar Mario Monti gute Chancen, schon bald Chef einer Übergangsregierung und damit Nachfolger von Silvio Berlusconi zu werden. Neuwahlen mitten in der schweren Krise werden damit unwahrscheinlicher. Auch Berlusconi soll damit einverstanden sein.
„Risiko der Rezession“
Die positiven Nachrichten wurden am Donnerstag allerdings von düsteren Prognosen aus Brüssel überschattet. Die EU-Kommission warnte vor einer Rezession in Europa und davor, dass die Schulden in Griechenland in den nächsten Jahren völlig aus dem Ruder laufen könnten.
Trotz der Entspannung in Athen und Rom zeigte sich die EU-Kommission mit Blick auf die Wirtschaftsentwicklung in Europa am Donnerstag pessimistisch: „Das Wachstum in Europa ist zum Stillstand gekommen, und es besteht das Risiko einer erneuten Rezession“, erklärte EU-Währungskommissar Olli Rehn.
Die Wirtschaft werde bis weit ins Jahr 2012 hinein stagnieren. Die Wirtschaftsflaute, Schuldenprobleme und der anfällige Finanzsektor „scheinen sich in einem Teufelskreis gegenseitig zu beeinträchtigen“, schrieb die EU-Behörde in ihrer Herbstprognose.
Griechische Verschuldung bei 200 Prozent?
Zur Situation in Griechenland hieß es, wenn die Hilfe für Athen nicht greife, werde die gesamtstaatliche Verschuldung 2012 und 2013 jeweils knapp 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Das wäre mehr als das Dreifache der in der EU erlaubten Grenze von höchstens 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Für das laufende Jahr wird die griechische Verschuldung auf knapp 163 Prozent geschätzt.
Griechenlands Staatsverschuldung wächst allein im laufenden Jahr der Schätzung zufolge um 8,9 Prozent, im kommenden Jahr noch um sieben Prozent, jeweils gemessen am BIP. Die Kommission befürchtet einen starken Rückgang der Wirtschaftsleistung: um 5,5 Prozent in diesem und 2,8 Prozent im nächsten Jahr.
Rehn mahnt Reformen in Italien ein
Italien, das derzeit besonders unter dem Druck der Finanzmärkte steht, wird laut der Prognose zum Jahresende in die Rezession rutschen. Der notwendige Reformkurs allerdings sei noch nicht gesichert, warnte Rehn. Der Wettbewerb in der Wirtschaft müsse stärker angekurbelt werden, die Rentenreform noch weiter gehen und die Steuerlast von Arbeitseinkommen auf Konsum umgelenkt werden. Berlusconi hatte auf Druck der EU beim Euro-Gipfel Ende Oktober schriftliche Spar- und Reformzusagen gemacht. Doch diese waren Rehn zufolge völlig vage und nicht ausreichend.
Die steigenden Zinsen für italienische Staatspapiere können laut Rehn mittelfristig „beträchtliche Auswirkungen“ für Italien haben. „Ganz kurzfristig sind die Auswirkungen nicht dramatisch. Mittelfristig wird das aber beträchtliche Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen und auf das Wachstum der Realwirtschaft haben“, sagte Rehn am Donnerstag in Brüssel.
Leichte Entspannung bei Staatspapieren
Zuletzt hatten die Zinsen italienischer Staatspapiere mit einer zehnjährigen Laufzeit einen Rekordwert von über sieben Prozent erreicht. „Die durchschnittliche Restlaufzeit von italienischen Regierungsanleihen liegt bei über sieben Jahren. Dadurch sind sofortige Haushaltsauswirkungen bei anziehenden Zinssätzen kurzfristig begrenzt“, sagte Rehn.
Ein ständiger Anstieg des Zinsniveaus von einem Prozentpunkt würde aber zusätzliche staatliche Ausgaben von 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung 2012 und 0,4 Prozent 2013 nach sich ziehen, rechnete Rehn vor. Wenn dieser Prozentpunkt voll an die italienische Wirtschaft weitergegeben werde, würde das ein Minus von ein Prozent des BIP über drei Jahre bedeuten. „Das ist natürlich eine beträchtliche Auswirkung“, sagte Rehn.
Allerdings entspannte sich die Lage am italienischen Anleihemarkt am Donnerstag deutlich. Die Risikoaufschläge sanken unter sieben Prozent. Händler begründeten das unter anderem mit positiven Meldungen aus der italienischen Politik. „Die Einigung in Griechenland auf einen neuen Regierungschef sowie die besser als befürchtet gelaufene Bondauktion in Italien haben die Hoffnung auf eine leichte Beruhigung am Markt geschürt“, kommentierte ein Händler von L&S Broker.
Juncker: Italien braucht keine fremde Hilfe
Auf Fragen, ob er erwarte, dass Rom Hilfen vom Euro-Rettungsschirm EFSF beantrage, ging der Kommissar nicht näher ein. Nach Überzeugung des Chefs der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, braucht Italien aber keine Finanzhilfen aus dem Ausland, wenn es die versprochenen Sanierungsmaßnahmen in die Wege leitet. „Ich denke, dass Italien nur jene Maßnahmen ausführen muss, zu denen sich das Land verpflichtet hat“, sagte Juncker am Donnerstag am Rande eines zweitägigen Besuchs in Lissabon.
Für die Euro-Zone erwartet Rehn im kommenden Jahr nur noch ein Miniwachstum von 0,5 Prozent nach 1,5 Prozent im laufenden Jahr. Für 2013 werden 1,3 Prozent angenommen. Deutschland werde im kommenden Jahr keine Konjunkturlokomotive mehr sein. Die deutsche Wirtschaft wachse voraussichtlich nur noch um 0,8 Prozent, so die Behörde. Im Folgejahr sollen es dann 1,5 Prozent sein.
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