„Erdrückende Not, Tag für Tag“
Ohne das Foto hätte es der Fall wohl nicht einmal in die Lokalnachrichten der Grafschaft Cambridgeshire geschafft. Aber durch die bizarre polizeiliche „Gegenüberstellung“ von gestohlenem Gemüse machte die Causa nun in ganz Großbritannien Schlagzeilen - und gewährt tiefen Einblick in das Leben jener, die die Wirtschaftskrise am härtesten trifft.
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Der „Kriminalfall“ dahinter ist schnell erzählt: Der 44-jährige Lawrence Miller und der 46-jährige Steven Randall, beide arbeitslos, wurden kürzlich im Ort Brampton von der Polizei mit einem Sack voll Gemüse in einer Gegend voller Gemüsegärten erwischt. Von den Beamten darauf angesprochen, gaben sie den Diebstahl sofort zu. Sie könnten ihre Familien anders als durch den Diebstahl nicht mehr ernähren, sagten sie.
Die unüblichen Verdächtigen
In einer Gegend, die vor allem aus sehr vielen Gemüsefeldern besteht, stand die Polizei vor dem Problem, wem das Diebsgut zurückzugeben sei. Man entschloss sich zur traditionellen Methode: der Gegenüberstellung. Anklägerin Penny Cannon sprach gegenüber dem britischen „Telegraph“ von einer „einmaligen Ermittlung“. Mit Fotos von dem Gemüse hätten die Beamten die Gemüsegärtner gefragt, ob sie „das Gemüse identifizieren können“.
Tatsächlich erkannten die vier Bestohlenen ihr Gemüse laut der Lokalzeitung „Hunts Post“ wieder. Örtliche Farmer sagten, dass sei wegen der „auffälligen“ Eigenarten des präsentierten Gemüses - vor allem eines besonders „markanten“ Kürbisses - gar kein Problem gewesen. Außerdem umfasste die Parade der „unüblichen Verdächtigen“ Lauch, Rhabarber, Rote Rüben und Kraut.
„Äußerst ernste Verfahren - und dieses hier“
Zum Auftakt des Gerichtsverfahrens sagte Verteidiger Kevin Warboys laut der Lokalzeitung zu den Richtern: „Sie werden es heute bei Gericht mit äußerst ernsten Vergehen zu tun haben - und außerdem diesem hier.“ Er führte weiter aus, der fünffache Vater Miller könne seit einer Knöchelverletzung nicht mehr arbeiten. Dessen Freund Randall kümmere sich um seinen Enkelsohn und sei nach einem schweren Unfall seit 20 Jahren nicht arbeitsfähig.
Beide Männer wüssten, dass sie nicht wegen des Werts des Diebsgutes vor Gericht stünden, sondern wegen „der Unannehmlichkeiten für Menschen, die die Arbeit auf sich genommen haben, Gemüse zu züchten und es dann verlieren zu müssen“, so der Verteidiger. Die beiden hätten jedoch niemanden schädigen, sondern einfach nur sich und ihre Familien ernähren wollen: „Es handelte sich um reifes Gemüse“, unterstrich der Jurist laut der Lokalzeitung.
Behörden bedauern Diebe
Das Leben seiner beiden Mandanten bestehe daraus, sich „Tag für Tag durch erdrückende Not zu schleppen“, so Warboys weiter. Auch seitens der Behörden wurde vermerkt, die beiden Männer würden „in extremer Armut“ leben. Sie mussten 20 Pfund Strafe (23 Euro) und 85 Pfund Gerichtskosten (99 Euro) bezahlen und wurden mit Bewährungsauflagen entlassen. Einer der Bestohlenen meinte gegenüber der „Daily Mail“, wenn die Diebe so hungrig gewesen seien, hätten sie doch einfach um Gemüse bitten sollen, „wir hätten ihnen etwas abgegeben“.
Lukas Zimmer, ORF.at
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