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„Terror“ gegen Vertriebene

Milizen in der libyschen Stadt Misrata üben nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten Rache an Anhängern des getöteten Machthabers Muammar al-Gaddafi. Die Organisation Human Rights Watch (HRW) berichtete unlängst unter Berufung auf Dutzende Augenzeugen im ganzen Land, Bewaffnete aus Misrata würden aus der Nachbarstadt Tawargha vertriebene Einwohner „terrorisieren“.

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Es lägen glaubhafte Berichte vor, dass auf unbewaffnete Menschen aus Tawargha geschossen werde. Zudem gebe es willkürliche Festnahmen und Gefangene würden brutal geschlagen. Die Milizen werfen den ehemaligen Einwohnern Tawarghas demnach vor, an der Seite von Gaddafis Truppen in Misrata Gräueltaten wie Vergewaltigungen und Morde verübt zu haben.

HRW zitierte einen Milizenvertreter mit den Worten, den Vertriebenen dürfe deswegen „niemals die Rückkehr“ nach Tawargha erlaubt werden. Die Stadt galt als Hochburg von Gaddafi-Anhängern und diente seinen Truppen auch als Basis für Angriffe auf Rebellen in Misrata. Als die Aufständischen Mitte August ihre Offensive in Richtung Tripolis ausweiteten, wurden die meisten der rund 30.000 Einwohner vertrieben.

Warnung vor „Selbstjustiz“

Die Organisation sagte, derlei Racheakte gefährdeten das „Ziel der libyschen Revolution“. Menschen aus Tawargha, denen Verbrechen vorgeworfen würden, müssten „gemäß dem Gesetz“ und nicht durch Selbstjustiz zur Verantwortung gezogen werden. HRW rief die neue Regierung in Libyen dazu auf, die noch verbliebenen, zahlreichen Bewaffneten in Misrata unter ein einheitliches Kommando zu stellen.

Der Aufstand gegen Gaddafi hatte Mitte Februar seinen Anfang genommen. Am 20. Oktober wurde er in seiner Geburtsstadt Sirte gefangen genommen und starb anschließend unter bisher ungeklärten Umständen.

Gaddafi-Tod: Geschoss verschwunden

Laut dem Aussteller seines Totenscheines soll Gaddafi an einer Hirnblutung nach einer massiven Kopfverletzung gestorben sein. „Ob das eine Kugel war oder ein Schrapnell, wissen wir nicht“, sagte der Aussteller des Totenscheins, Abu Bakr Traina, dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Denn die Eintrittswunde in der Stirn ist ziemlich klein, nur die Austrittswunde an der Schläfe ist größer, und das Geschoss selbst ist verschwunden.“

Die Hirnblutung habe zu einer Herniation geführt, einer „Einklemmung von Gehirnteilen mit einer anschließenden Lähmung des Atemzentrums“. Er verstehe das Interesse an den genauen Umständen des Todes des Ex-Machthabers, doch sei er skeptisch, ob das Geheimnis jemals aufgeklärt werden könne, sagte Traina dem Magazin. Ohne das Geschoss werde auch der offizielle Obduktionsbericht nicht viel mehr sagen können. Dabei geht es um den Beweis oder die Widerlegung des Verdachts, dass Gaddafi nach seiner Festnahme vorsätzlich getötet wurde.

Leichnam hat „kaum blaue Flecken“

Traina fand den Leichnam nach eigenen Angaben in einem besseren Zustand vor als erwartet: „Ich dachte, er sei bestimmt furchtbar zugerichtet mit schweren Hämatomen, Brüchen, Wunden. Ich dachte, er sei totgeschlagen worden. Aber als wir ihn vom Blut gereinigt hatten, sah ich kaum blaue Flecken, auch Rippenbrüche konnte ich keine ertasten.“ Gaddafi habe „das verlebte Gesicht eines 69-Jährigen, aber den Oberkörper eines 40-Jährigen, kaum Falten, flacher Bauch“ gehabt.

Nach Angaben des Übergangsrats starb Gaddafi im Kreuzfeuer zwischen Anhängern und Gegnern. Anderen Berichten zufolge wurde Gaddafi Opfer eines Lynchmordes. In einem im Internet veröffentlichten Video sagte ein Anhänger des Übergangsrats, er habe Gaddafi in den Kopf geschossen.

Gaddafi wurde an unbekanntem Ort in der Wüste südlich der Stadt Misrata bestattet. In seiner Heimatstadt Sirte wurden dem „Spiegel“ zufolge die Gräber seiner Mutter und seiner Großmutter geschändet und die Überreste der Leichen verschleppt.

Bericht zu Kriegsverbrechen im Mai

In einem halben Jahr will der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Bericht zu möglichen Kriegsverbrechen in Libyen vorlegen. Der Report werde im Mai an den UNO-Sicherheitsrat gehen und könne sowohl Vergehen des gestürzten Gaddafi-Regimes als auch der Rebellen während der Kämpfe der vergangenen Monate enthalten, so der IStGH. . Es gebe Hinweise auf Kriegsverbrechen, aber noch keine Klarheit, welche Seite verantwortlich sei.

Geklärt werden müsse auch, ob Diktator Muammar al-Gaddafi und sein Geheimdienst Vergewaltigungen gezielt als Waffe eingesetzt hätten. „Wir haben Kontakte und Zeugenaussagen über mehrere Opfer von Vergewaltigungen, aber es ist noch zu früh, eine Größenordnung zu benennen“, sagte der Chefankläger Luis Moreno-Ocampo.

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