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Berlusconi, Bossi und die „Äääh“-Antwort

„Wir haben einen Minister, der seit 20 Jahren zu den Gewehren ruft und einen Ministerpräsidenten, der seit seinem Eintritt in die Politik die öffentliche Kultur Italiens zerstört hat.“ Mit deutlichen Worten geht der Filmemacher Nanni Moretti mit den Zuständen in seiner Heimat ins Gericht. Und spart als bekennender Linker auch nicht mit der Kritik am eigenen Lager.

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Mit seinem letzten Film „Habemus Papam“ hat sich der streitbare Filmemacher und bekennende Linke Nanni Moretti mit dem Funktionieren des Systems Vatikan und der Öffentlichkeit auseinandergesetzt. Auch hat er fasziniert auf das verlangte Rollenspiel in einem großen Getriebe geblickt. Bei der Vorstellung seines Films in Wien bei der Viennale stellte sich Moretti nicht nur Fragen über sein Verhältnis zum Vatikan. Einmal mehr ist es der Zustand Italiens, der den Filmemacher wütend macht.

„Die gemeinsamen Grundwerte sind verschwunden“

„Seit Berlusconi 1994 in die Politik eingetreten ist, sind die gemeinsamen politischen Grundwerte verschwunden“, sagte Moretti im Interview mit ORF.at. Früher, so Moretti, hätten ein Linker und ein Christdemokrat heftige Auseinandersetzungen über Inhalte führen können - aber sie hätten sich immer noch auf ein System gemeinsamer Grundwerte einigen können. Jetzt sei Italien ein Land, „das politisch und kulturell in zwei Teile zerfallen ist“. Diese alte Kultur eines gemeinsamen „Backgrounds“ herzustellen sei schwer - mehr zu den Details des Interviews auf ORF.at/Viennale.

Regisseur Nanni Moretti

Viennale/Alexi Pelekanos

Nanni Moretti bei der Vorstellung seines Films „Habemus Papam“ im Wiener Gartenbaukino

Moretti kritisiert neben der Figur Berlusconi, die er vor knapp fünf Jahren im Film „Il Caimano“ porträtiert hat, Menschen wie den Lega-Nord-Führer Umberto Bossi - Menschen, die sich ungestraft in der Politik bewegen könnten.

„Bossi - und dieser Mann ist Minister!“

Bossi rede seit 20 Jahren von den Gewehren, die das „padanische Volk“ für die Sezession in die Hand nehmen werde. „Und dieser Mann ist Minister!“, so Moretti. „Wenn ein Parlamentarier der Linken je so geredet hätte, hätte er genau 20 Minuten politisch überlebt“, sagte der Filmemacher.

„Bossi redet nun schon seit 20 Jahren so daher“, kritisiert Moretti den Verfall öffentlicher Sitten: „Wenn sie Bossi eine relevante Frage stellen, lautet seine Antwort: ‚Äääh!‘. 500-mal hat er Journalisten Sachen wie ‚Geht mir nicht auf die Eier‘ gesagt.“ Er, Moretti, findet die Gesten Bossis gewalttätig. In einem normalen demokratischen Land könnte so jemand nicht Minister sein.

„Berlusconi hat immer schon so geredet“

„Auch wenn Berlusconi demissionieren muss oder die kommenden Wahlen verliert, müssen wir feststellen: Wir sind in einem Land, das all das zugelassen hat“, blickt Moretti in die nahe Zukunft. Mit seinem Film „Il Caimano“ sei er nicht prophetisch gewesen. Im Gegenteil. Er habe nur auf die Dinge gehört, die Berlusconi die ganze Zeit gesagt habe. Dass manche Journalisten meinten, dass Berlusconi Morettis Film angesehen und sich alle Dialogpassagen, die auf ihn gemünzt waren, abgeschaut hätte, kann Moretti nicht nachvollziehen: „Berlusconi hat immer schon so geredet.“ Er sei ein Premier, der der ganzen Verwaltung „den Krieg erklärt hatte“.

Wäre die Linke 1998, nachdem Romani Prodi mit seiner Mitte-links-Koalition zwei Jahre regiert hatte, geeint gewesen, hätte sich Italien viel ersparen können, geht Moretti mit seiner eigenen politischen „Heimat“ streng ins Gericht: „Prodi hätte zehn Jahre regieren können, und dann würden wir ein anderes Italien sehen.“

„Viele Personalisierungen, wenig Persönlichkeiten“

Moretti konstatiert für die Politik ein Fehlen an Persönlichkeiten: „Ich sehe, auch bei der Linken, viele Personalisierungen, aber wenige Persönlichkeiten.“

Hinweis

„Habemus Papam“ läuft österreichweit am 8.12. an.

Befragt nach dem, was er seinem Land in der augenblicklichen Situation wünsche, sagt Moretti, der immer wieder auch als Quereinsteiger für die Führung eines Mitte-links-Bündnisses genannt wurde, aber immer abgewunken hatte: „Ich wünsche mir politische Projekte, die nicht zu 90 Prozent aus Propaganda bestehen und zu zehn Prozent aus Witzen, die niemanden zum Lachen bringen. Ich wünsche mir, dass sich Menschen politisch streiten, aber dass sie auf denselben Grundsätzen stehen. Mit ihrem eigenen Fernsehen.“

Gerald Heidegger, Alexander Musik, ORF.at

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