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Unsichere Perspektiven für Diktatoren

Wie gegen seinen getöteten Vater Muammar al-Gaddafi liegt gegen dessen Sohn Saif al-Islam ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor. Statt einer Flucht zieht Saif al-Islam, auch mit dem Schicksal seines Vaters vor Augen, nun ein Verfahren vor dem IStGH vor. Der Chefankläger des Gerichtshofs, Luis Moreno-Ocampo, stellt ihm einen fairen Prozess in Aussicht.

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Sollte sich Saif al-Islam freiwillig stellen, werde der Gerichtshof Hilfe leisten. Am Freitag wurden informelle Gespräche mit Gaddafis Sohn vom IStGH bestätigt. „Der IStGH sucht nach Möglichkeiten, Flugzeuge in bestimmten Ländern bereitzuhalten, wo eine Festnahme erfolgen kann“, so Moreno-Ocampo.

Schon im Niger?

Saif al-Islam werden Morde an Hunderten Zivilisten, Folterungen, militärische Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten und organisierte Massenvergewaltigungen vorgeworfen. Immer wieder war über seine mögliche Flucht in Nachbarländer spekuliert werden. Derzeit soll er sich im Niger aufhalten. Dass er von dort nach Den Haag ausgeliefert würde, ist gar nicht so sicher. Zwar hat der Niger das Rom-Statut des Strafgerichtshofs ratifiziert und wäre damit verpflichtet, Saif al-Islam auszuliefern.

Es komme aber immer darauf an, wie sehr die internationale Gemeinschaft tatsächlich an einem im Exil befindlichen ehemaligen Diktator oder einem seiner Familienmitglieder interessiert sei und wie wichtig dieser sei, betont der auf internationale Organisationen spezialisierte Politologe Ingfrid Schütz-Müller im ORF.at-Interview: „Niger kann man im Prinzip nichts mehr wegnehmen. Man wird den Staat auch nicht wegen einer einzigen Person reich machen. Das muss man pragmatisch sehen.“

„Karotte“ für Auslieferung

Es gebe noch zu wenige Erfahrungswerte, was passiert, wenn ein Staat dem nicht nachkommt, erklärt hingegen der Vorstand des Instituts für Völkerrecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz, Sigmar Stadlmeier, gegenüber ORF.at. Er glaubt aber auch an die Kraft der Realpolitik: „Wenn ein Staat von einem der anderen Vertragspartner, die an einer Auslieferung interessiert sind, etwas braucht, wird dem Staat die Karotte vorgehalten: Das bekommst du, wenn wir die gesuchte Person bekommen“, ist der Völkerrechtler überzeugt. „Es ist davon auszugehen, dass die üblichen Mechanismen der internationalen Politik greifen.“

In den Niger flohen, neben Algerien, bereits einige Vertraute und Familienangehörige Gaddafis, darunter sein Sohn Saadi. „Solange es keinen internationalen Haftbefehl gibt oder gezielte Sanktionen wie Einfrieren des Vermögens und Einreiseverbote vorliegen, ist diese Aufnahme grundsätzlich kein Problem“, ergänzt der Völkerrechtsexperte. Allerdings gelten die mit der UNO-Resolution 1.970 vom Februar dieses Jahres verhängten Reiseverbote - auch für Gaddafis Kinder - weiterhin. Konsequenzen für Gaddafis Familie, die es ins Exil geschafft hat, gab es bisher allerdings nicht.

Herausforderung Exilland

Auch im Fall von Gaddafi selbst war vor seinem Tod immer wieder über mögliche Exilländer gesprochen worden - obwohl er sich in der Öffentlichkeit immer geweigert hatte, sein Land zu verlassen. Aber die Flucht ins Exil nützten schon zuvor einige ins Bedrängnis geratene und gestürzte Politiker. Der frühere tunesische Machthaber Zine el Abidine Ben Ali etwa hatte sich nach seinem Sturz schnell ins saudische Exil in Sicherheit begeben.

Bei Gaddafi wären nur wenige Staaten infrage gekommen. Staaten wie Uganda und Simbabwe haben das IStGH-Statut unterzeichnet. Einzig der Sudan unter dem ebenfalls per internationalen Haftbefehl gesuchten Präsidenten Omar al-Baschir wäre, solange Baschir an der Macht ist, ein relativ sicheres Exilland gewesen. Denn Staaten wie der Tschad, der lange zumindest verbal auf der Seite Gaddafis stand, hätten sich politisch wie wirtschaftlich nur schwer eine Konfrontation mit dem Westen leisten können.

„Langer Arm des Völkerrechts“

Bei der internationalen Reaktion sei entscheidend gewesen, dass die UNO im Fall von Libyen klar Stellung bezogen und die Lage als Problem für die internationale Sicherheit bewertet habe, so Stadlmeier: Erstmals wurden Zwangsmaßnahmen angewendet und eine sicherheitsgefährdende Angelegenheit an den Strafgerichtshof weiterverwiesen." Dadurch sei der Strafgerichtshof auch zuständig gewesen, obwohl Libyen kein Mitglied gewesen sei. Für Stadlmeier ist das auch der „lange Arm des Völkerrechts“.

„Responsibility to Protect“

Mit dem 2000/2001 entwickelten und 2005 von der UNO anerkannten Konzept „Responsibility to Protect“ (R2P) wurde ein zusätzlicher Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen entwickelt. Demnach soll ein Land, das den Schutz seiner Bürger nicht mehr gewährleisten kann, das in der UNO-Charta festgeschriebene Prinzip der Nichteinmischung verlieren.

In Libyen sei mit der „Responsibility to Protect“ auch eine Weiterentwicklung des Völkerrechts zum Tragen gekommen, so Schütz-Müller. Dadurch könne auch in innerstaatliche Bereiche eingegriffen werden, wenn etwa eigene Staatsangehörige geschützt werden müssen.

Davon ist in Syrien - noch - keine Rede. Staatschef Baschar al-Assad habe noch alle Möglichkeiten, Zuflucht in ihm noch wohlgesonnenen Staaten zu finden, solange der Sicherheitsrat seine Zurückhaltung aufrechterhält, betonen die Experten. Niemand könne aber die Entwicklung vorhersagen. Stadlmeier: „Es kann ein potenzielles Aufnahmeland auch Kapital daraus schlagen und Forderungen stellen im Gegenzug für eine etwaige infrage kommende Auslieferung Assads.“

Russland und China sagen Stopp

Die internationale Gemeinschaft hat es - über den Sicherheitsrat - im Prinzip in der Hand, was mit Assad geschieht. „Verhängt der Sicherheitsrat Einreiseverbote, gilt das für alle Staaten, und es gibt damit kein sicheres Asylland mehr“, erklärt Stadlmeier. Bisher scheiterte eine Sicherheitsratsresolution gegen Syrien allerdings am Veto Russlands und Chinas. Beide lehnen Strafmaßnahmen gegen Damaskus ab. Schütz-Müller sieht derzeit geringe Chancen einer Intervention in Syrien: „Die Maßnahmen in Libyen gingen für China und Russland weit über das Ziel hinaus. In Syrien wollte man sich darauf nicht mehr einlassen.“

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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