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Das Interface des Weltkonzerns

Prominente gelten heute schnell als Ikonen. Auf Steve Jobs trifft diese Bezeichnung aber zu. Er hat das Prinzip Ikone nicht nur selbst gelebt, sondern damit auch die Arbeitsweise des Weltkonzerns Apple bis zuletzt tief beeinflusst. Wo andere Firmen nur ein Geschäftsmodell aufweisen können, hat Apple - dank Jobs - eine aufregende Story zu bieten.

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Wer Anfang der 1980er Jahre einem der ersten Macintosh-Rechner begegnete, tat das zu einer Zeit, als Computer ihre Benutzer noch mit Meldungen wie „38911 Basic Bytes free“ zu begrüßen pflegten. Der Kontakt mit Maus, Mac und Desktop war damals eine erschütternde Erfahrung, die den Blick auf die Welt veränderte.

Wer die Maus des Macintosh bewegte, sah auf dem Bildschirm einen Zeiger mitlaufen, ohne spürbare Verzögerung. Der Computer tat, was sein Benutzer wollte, verschaffte ihm einen Moment unmittelbarer Macht. Wenn er mit dem Zeiger eines der Symbole auf dem Bildschirm ansteuerte und mit der Maustaste klickte, öffneten sich Fenster, oder es startete das gewünschte Programm. Im Hintergrund liefen dabei zahlreiche Prozesse ab, Befehlsketten wurden abgearbeitet, Laufwerke in Gang gesetzt, Funktionen aufgerufen.

Prinzip Ikone

Die für Laien nur schwer durchschaubare Arbeitsweise des Computers verbarg sich hinter einfach manipulierbaren Symbolen, Icons genannt - Ikonen. Sie machten, wie ihr historisches Vorbild aus der Sphäre des Religiösen, das komplizierte, abstrakte System, für das sie standen, überhaupt erst begreifbar. Apple hat die grafische Benutzeroberfläche nicht erfunden, hat sie aber früh perfektioniert, zu kommerziellem Erfolg geführt, weitere Nachahmer ermutigt und damit den meisten Menschen einen produktiven Umgang mit dem Rechner erst ermöglicht.

Was für Computer gilt, trifft in mindestens einer Hinsicht auch auf Weltkonzerne zu. Sie sind komplexe Gebilde, deren Funktionsweise nur schwer zu verstehen ist. Auch ein Unternehmen braucht eine repräsentative Schnittstelle zur Außenwelt, um sich begreifbar zu machen, ein Gesicht, ein Interface. Steve Jobs stilisierte sich im Lauf der Jahre zum wichtigsten Element in der Benutzeroberfläche von Apple. Jobs sah immer so aus, wie man es von ihm erwartete: schwarzer Rollkragenpullover, Blue Jeans. Zuletzt stand er vollendet als Icon für Apple, in exakt choreographierten Präsentationen erklärte er Geräte und Geschäftsmodelle.

Spannung an der Oberfläche

Dass es aber nicht nur im Marketing von Vorteil ist, die Dramatik zu beherrschen, hat die Gestalterin Brenda Laurel schon 1991 in ihrem einflussreichen Buch „Computers as Theatre“ (Computer als Theater) beschrieben. Sie zeigte - zuerst am Beispiel des Macintosh -, dass eine gute Benutzeroberfläche auch als Bühne funktioniert, dass das System viele interessante kleine Geschichten erzählen können muss, um mit den Menschen in einen Dialog zu treten und sie für sich einzunehmen.

Wo die meisten Unternehmen nur ein Geschäftsmodell zu bieten haben, steht bei Apple eine spannende Geschichte, zurechtgeschneidert auf den Werdegang von Jobs, seinerseits eine musterhafte Variante der amerikanischen Meistererzählung, die für die meisten Menschen ein Traum bleiben muss. In der vom digitalen Prinzip durchdrungenen programmierten Gesellschaft gewinnt derjenige, der eine spannende Erzählung am besten in Software und Hardware gießen kann. Für die enge Integration von Erzählung, Code und Design bei Apple stand das Icon Steve Jobs, die Gestaltung ist in seinem Universum von Funktion und Geschäftsmodell nicht zu trennen. Wenn er sprach, entfaltete es sich für einen wunderbaren Augenblick vor den Augen der Welt.

Die Welt hinter der Wand

Die Kritik, dass es bei Apple schwer ist, hinter die Oberflächen zu blicken, hat das Unternehmen schon seit der Frühzeit der Macintosh-Ära begleitet. Die Verschwiegenheit des Konzerns ist beinahe sprichwörtlich, auch das ein Merkmal des ikonischen Systems. Was die User nicht zu sehen brauchen, bleibt besser hinter der Wand. Die einen empfinden das als Gängelung, die anderen als Schutz vor Belästigungen.

Ikonen haben in ihrer reduzierten Emotionalität und Pracht schon immer polarisiert, zwischen Anhängern der Transparenz und jenen der Repräsentanz liegt auch heute noch ein tiefer Graben. Bei aller Diskretion blieb Jobs anders als die meisten Chefs auch kleinerer Konzerne aber für seine Kunden erreichbar. Wer ihm im richtigen Moment die richtige Frage mailte, bekam von ihm persönlich Antwort.

Wie es weitergeht

Was Jobs’ Tod für Apple bedeutet, kann jeder Computernutzer nachvollziehen. Ändert sich eine gewohnte Oberfläche, auch nach langer Ankündigung, stellen sich oft Irritation, Desorientierung und Wut ein - im ersten Augenblick zumindest. Alte Vereinbarungen scheinen gelockert oder gelöst, Selbstverständlichkeiten infrage gestellt, der Reigen der Rituale, der den Alltag gliedert, ist unterbrochen.

Die Aufgabe von Tim Cook und seiner Mannschaft besteht nun darin, diesen Zeitabschnitt so kurz wie möglich zu halten, die Geschichten und den Code von Apple zusammenzuhalten und fortzuschreiben. Einfach wird das nicht werden, Jobs’ Autorität, seine Entscheidungsmacht und seine Präsenz werden fehlen. Andererseits hat der Apple-Mitgründer sein Unternehmen nicht wirklich verlassen. Seine Konzepte sind tief in den Strukturen und Produkten des Konzerns verankert. Seinen Prinzipien treu, war er nicht einfach nur Symbol auf einer Oberfläche, sondern auch Programm. Steve Jobs mag nun tot sein, aber er wird in Apple noch lange weiterwirken.

Günter Hack, ORF.at

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