Zahlreiche Gerüchte über Gaddafis Tod
Der Stamm von Muammar al-Gaddafi hat den Nationalen Übergangsrat aufgefordert, den Leichnam des libyschen Ex-Diktators und seines Sohnes Mutassim unverzüglich herauszugeben. Sie sollten nach islamischem Brauch in ihrer Heimatstadt Sirte bestattet werden, heißt es in einer Mitteilung, die der Pro-Gaddafi-Sender al-Rai mit Sitz in Syrien veröffentlichte.
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Die Unterzeichner, welche die beiden Getöteten „Märtyrer“ nennen, wenden sich dabei auch an die Vereinten Nationen, die Organisation der Islamischen Konferenz und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Auch die Witwe Gaddafis, Safia, rief aus ihrem Exil in Algerien die UNO auf, Druck auf den Übergangsrat auszuüben, damit er den Leichnam Gaddafis und dessen ebenfalls am Donnerstag in Sirte getöteten Sohns Mutassim der Familie zur Bestattung übergebe.
Übergangsrat verweigert Autopsie
Nach dem Willen des Nationalen Übergangsrats soll Gaddafi an einem geheimen Ort begraben werden. Der Regierungschef des Übergangsrats, Mahmud Dschibril, habe das empfohlen, als er die Leiche Gaddafis in Misrata begutachtete, um das Entstehen einer Pilgerstätte an Gaddafis Grab zu verhindern, sagten am Freitag mehrere Mitglieder des Militärrats in Misrata der Nachrichtenagentur AFP.
Nach dem Willen der neuen Führung des Landes soll die Leiche Gaddafis nicht näher auf die Todesumstände hin untersucht werden. Es werde keine Autopsie geben, sagte ein militärischer Vertreter des Nationalen Übergangsrats am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. „Niemand wird den Körper öffnen“, stellte er in Misrata klar.
Bilder des sterbenden Gaddafi „sehr beunruhigend“
Wegen der rätselhaften Umstände des Todes hatte die UNO zuvor Aufklärung verlangt. „Wir wissen nicht, wie er gestorben ist. Dazu muss es eine Untersuchung geben“, sagte der Sprecher des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, am Freitag in Genf. Die neue Regierung müsse mit der „Kultur des Missbrauchs“ unter Gaddafi vollständig brechen und Menschenrechtsreformen durchsetzen, die das Land bitter nötig habe, hieß es.
Die am Donnerstag aufgetauchten Amateuraufnahmen, die Gaddafi nach seiner Festnahme verwundet, aber am Leben zeigen, bezeichnete der UNO-Sprecher als „sehr beunruhigend“. Auch Amnesty International und das US-Außenministerium forderten eine offizielle Untersuchung der Todesumstände.
Arzt: Gaddafi „aus nächster Nähe“ erschossen
Gaddafi war am Donnerstag in seiner Heimatstadt Sirte offenbar nach einem NATO-Angriff auf seinen Konvoi lebend gefangen genommen, dann jedoch unter bisher ungeklärten Umständen getötet worden. Offizielle Stellen in Tripolis behaupten, der verletzte Gaddafi sei auf der Fahrt nach Misrata im Krankenwagen ins Kreuzfeuer neuer Kämpfe geraten und dabei tödlich verletzt worden. Nach Einschätzung eines Arztes starb der Ex-Diktator durch „Schüsse aus nächster Nähe in Kopf und Bauch“. Das könnte auf eine absichtliche Erschießung hindeuten, berichtete der arabische Fernsehsender al-Arabija.
Lange Schlangen vor Einkaufszentrum
Gaddafis Leichnam wurde in die Küstenstadt Misrata gebracht, wo sie in der Kühlhalle eines Einkaufszentrums am Stadtrand ausgestellt wurde. Nach dem Freitagsgebet bildete sich dort eine mehrere hundert Meter lange Schlange von Schaulustigen, die die Leiche des getöteten Machthabers sehen wollten.
Internetvideo sorgt für weitere Verwirrung
Unterdessen wurde im Internet ein Video veröffentlicht, in dem ein junger Kämpfer des Übergangsrats behauptet, Gaddafi getötet zu haben. Der junge Mann sagt, er habe sich am Donnerstag Truppen aus Misrata beim Einmarsch in Sirte angeschlossen. Dort habe er Gaddafi trotz eines Huts erkannt, wie er zwischen Kindern auf einer Straße lief.
Da die Kämpfer aus Misrata ihn mitnehmen wollten, habe er zweimal auf ihn geschossen, sagte der Kämpfer. Er habe ihn in die Achsel und in den Kopf getroffen, doch sei Gaddafi erst eine halbe Stunde später gestorben. In dem Video wird eine blutbefleckte Jacke gezeigt, die angeblich Gaddafi gehörte. Zudem zeigen die Kämpfer einen goldenen Ring, der ihren Angaben zufolge das Datum der Hochzeit Gaddafis mit seiner zweiten Frau Safia trägt.
Festakt zur Befreiung Libyens verschoben
Die feierliche Zeremonie zur Befreiung Libyens nach dem Tod Gaddafis wurde unterdessen verschoben. Statt am Samstag wird Übergangsratsvorsitzender Mustafa Abdel Dschalil die Befreiung seines Landes erst am Sonntag verkünden, teilte Informationsminister Mahmud Schamman dem Sender al-Jazeera mit. „Es wird eine öffentliche Erklärung des Übergangsratsvorsitzenden Mustafa Abdel Dschalil auf dem Hauptplatz in Bengasi geben“, sagte er. Ein Grund für die Verschiebung wurde nicht genannt.
Nach der Feier soll innerhalb von 30 Tagen eine provisorische Regierung gebildet werden. Diese Übergangsregierung wird dann eine verfassungsgebende Versammlung einberufen und freie, demokratische Wahlen vorbereiten. Der Nationalrat wird außerdem seinen Sitz von Bengasi, wo vor acht Monaten der Volksaufstand gegen Gaddafi begann, in die Hauptstadt Tripolis verlegen.
„Noch zwei Etappen zu bewältigen“
Laut Dschibril gibt es noch zwei Etappen, die bewältigt werden müssten. Bei diesen handle es sich um Gaddafis Sohn Saif al-Islam und den Geheimdienstchef der Gaddafi-Regierung, Abdallah Senussi, deren Schicksal noch zu klären sei. Beide werden vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag per Haftbefehl gesucht. Über ihren Verbleib kursieren verschiedene Gerüchte.
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