Grenzen des Lebens ausloten
In der Antarktis gibt es über 360 unterirdische Gletscherseen. Wissenschaftler vermuten dort Hinweise über die Klimavergangenheit der Erde und möglicherweise auch Nachweise von Leben. Seit Jahren tüfteln Wissenschaftler und Ingenieure weltweit an Verfahren, wie man aus diesen Seen Proben gewinnen kann. Britische Forscher haben nun die Nase vorne.
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Eine Gruppe britischer Wissenschaftler ist derzeit zu einer besonderen Expedition in der westlichen Antarktis unterwegs. Sie wollen mittels heißen Wassers ein Loch durch die drei Kilometer dicke Eisschicht des Ellsworth-Sees schmelzen. In dem Wasser des Sees erhoffen sich die Forscher neue Aufschlüsse über die Auswirkungen des Klimawandels und Hinweise auf die Grenzen des Lebens.
Lake Ellsworth
Der langgezogene, schmale Ellsworth-See ist mit 28 Quadratkilometern etwas größer als der Traunsee, mit einer Tiefe von 150 Metern aber etwas flacher. Das Gewässer liegt in Felsen eingebettet und wurde erst mittels Radar und seismischer Tests entdeckt.
Leben unter 3.000 Meter Eis
Durch geothermale Hitze bleibt das Wasser auch unter der kilometerdicken Eisschicht flüssig. Radaraufnahmen zeigten, dass der Grund aus weichem Sedimentmaterial besteht. Wissenschaftler hoffen, durch Bodenproben Hinweise über das Klima der letzten 500.000 Jahre zu finden. Aber auch im Wasser selbst vermuten die Forscher Leben. Viren, Bakterien und Einzeller könnten selbst in dieser eiskalten, dunklen und abgeschiedenen Umgebung existieren.
Doch um dieses sensible und bisher einzigartige Gewässer erforschen zu können, muss jegliche Kontamination von außen verhindert werden. Jahrelang wurde an einem geeigneten Verfahren geforscht, um das Eindringen von Bakterien von außen in den See zu verhindern. Ein britisches Forschungskollegium hat nun ein sieben Millionen Pfund (acht Millionen Euro) teures Projekt ins Leben gerufen.

www.ellsworth.org.uk
Grafische Darstellung der Bohrung bis zum See Ellsworth
Mit heißem Wasser durch das Eis
90.000 Liter reinstes Wasser, das direkt aus dem örtlichen Eis gewonnen erhitzt und gefiltert wird, soll einen Heißwasserbohrer antreiben. Ähnlich einem Hochdruckreiniger wird das Wasser mit einer Temperatur von 97 Grad Celsius aus einem 3,2 Kilometer langen Schlauch gepresst. Drei Tage dauert es, bis ein 36 Zentimeter dickes Loch bis hinunter zum See gebohrt ist. Die Bedingungen, unter denen der Bohrer funktionieren soll, stellten an die Techniker höchste Anforderungen.
Einerseits wird das Eis und Wasser aus dem Loch direkt als Bohrflüssigkeit recycelt, um die Gefahr einer Kontamination zu minimieren. Gleichzeitig sorgen aber Temperaturen von minus 20 Grad dafür, dass das Bohrloch jede Stunde um 0,6 cm enger wird. Damit bleibt nur wenig Zeit, bevor sich das Loch wieder schließt.
Enormer Druck auf Probenflaschen
Wenn das Loch fertig ist, bleiben den Forschern 24 Stunden, um eine fünf Meter lange Sonde mehrmals in den See zu lassen und 24 Proben in den unterschiedlichen Tiefen zu nehmen. Zudem wird mit starkem Licht der Untergrund ausgeleuchtet und Kameraaufnahmen vom Wasser gemacht. Viele der dafür notwendigen Geräte wurden vom Nationalen Ozeanographischen Center (NOC) entwickelt und gebaut. „Es ist eine völlig unbekannte Umgebung. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob sich im Wasser gelöstes Gas befindet“, sagte Matt Mowlem, Wissenschaftler im NOC, gegenüber BBC.
Vor einem besonderen Problem standen die Ingenieure, wie die Flaschen mit den Proben an die Oberfläche gebracht werden können. Denn wenn die Proben herausgezogen werden und sie mit der kalten Luft in Berührung kommen, gefriert das Wasser. Der Druck, der dabei entsteht, ist laut Mowlem größer als alles, mit dem die Tiefseeforschung bisher beschäftigt war.
Neue Erkenntnisse zum Leben auf der Erde
Dennoch sind die Erwartungen groß. Vor allem die Aussicht, Lebensformen zu finden, die mehr als eine halbe Million Jahre völlig abgeschieden vom Rest der Biosphäre existiert haben, treibt die Forscher an. Dadurch erhoffe man sich nicht nur Hinweise auf die Entstehung von Leben auf der Erde und seine Grenzen, sondern auch mögliche Aufschlüsse auf Lebensformen auf anderen Planeten, sagte David Pearce, der wissenschaftliche Koordinator der Britischen Antarktis-Forschung. „Wenn wir nichts finden, ist das mindestens ebenso signifikant, denn das würde zeigen, unter welchen Bedingungen Leben auf dem Planeten nicht mehr möglich ist.“
Aber auch der Rückblick in die Klimageschichte der Antarktis ist für die Wissenschaftler mindestens ebenso spannend. Vor allem die Hinweise darauf, ob und wann die Eisschicht der westlichen Antarktis zuletzt verschwunden ist, sollen helfen, künftige Polschmelzen und den damit einhergehenden Anstieg der Meeresspiegel besser einschätzen zu lernen.
Wettrennen ist eröffnet
Das wissenschaftliche Team soll noch diese Woche an den Südpol reisen. Die eigentliche Bohrung soll im November nächsten Jahres stattfinden. Bisher ist es noch keinem wissenschaftlichen Team gelungen, einen der zahlreichen Eisseen anzubohren. Doch das Wettrennen ist eröffnet. Ein russisches Team forscht bereits am größten Eissee, dem See Vostok, und eine US-amerikanische Gruppe rüstet für eine Forschungsexpedition zum See Whillans. Beide Projekte scheiterten bisher am Problem der Kontamination.
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