Bücher „erwärmen“ die kalte Insel
Island, das bisher kleinste Gastland der Frankfurter Buchmesse, hat eine große literarische Tradition - und eine hohe Dichte an modernen Autoren. Mit dem Klischee von den Trollen und Elfen haben die meisten einheimischen Schriftsteller nichts am Hut, doch eine landestypische Lust am Fabulieren und eine Vorliebe für Skurrilität lassen sich nicht leugnen.
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Mit seinen knapp 320.000 Einwohnern gilt der Inselstaat - berechnet am Pro-Kopf-Verkauf an Büchern - als das lesefreudigste Land der Welt und ist prozentual gesehen die Heimat von überdurchschnittlich vielen Autoren. „Literatur bedeutet uns mit am meisten“, fasste die frühere isländische Präsidentin Vigdis Finnbogadottir die Begeisterung der Inselbewohner für das geschriebene Wort zusammen.
Seit Jahrhunderten „erwärmten“ Geschichten und Bücher das Land im hohen Norden. Die Sprache sei für die Identität des Volkes wie ein Anker, sagte die Ex-Präsidentin, die 16 Jahre lang bis 1996 an der Spitze des Landes stand.

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Mit rund 30 Autoren und 180 deutschen Neuerscheinungen präsentiert sich der Ehrengast Island auf der Frankfurter Buchmesse
Experimentelle Lyrikszene und Island-Krimis
Zu den auch international bekannten Autoren des Landes gehören Hallgrimur Helgason, Kristin Steinsdottir und Sjon. Es gibt auch eine junge experimentelle Lyrikszene wie den originellen Poeten Eirikur Örn Norddahl. Am bekanntesten sind die Island-Krimis, mit dem Bestseller-Autor Arnaldur Indridason an der Spitze. Sie beleuchten gerne - ähnlich wie andere Skandinavien-Krimis - die dunklen Seiten des Wohlfahrtsstaates.
Berühmtester isländischer Schriftsteller bis heute ist jedoch Halldor Laxness (1902-1998), der 1955 den Literaturnobelpreis erhielt. Zur Buchmesse kommen bei deutschen Verlagen 80 Belletristik-Titel und 20 Anthologien heraus.
Kaum Veränderungen der Sprache
„Island ist ein Volk, das sich in einzigartiger Weise durch und über die Literatur definiert“, sagte der für die Buchmesse verantwortliche Direktor des isländischen Projektbüros, der Schriftsteller Halldor Gudmundsson. Das zeige sich auch daran, dass die Erzähltradition im 12. Jahrhundert Einzug ins literarische Leben gefunden habe. Da sich das Isländische kaum über die Jahrhunderte verändert hat, können auch junge Leute die alten Sagas über die Besiedlung des Landes immer noch im Original lesen. Die üblichen Klischees von den Trollen und Elfen will man auf der Buchmesse jedoch vermeiden. „Wir haben Elfenverbot“, so Gudmundsson.
Die Sagas spielen in der Zeit zwischen den Jahren 930 und 1050. Niedergeschrieben wurden sie von unbekannten Verfassern im 13. und 14. Jahrhundert auf präparierten Kalbshäuten. Die gesamten Erzählungen werden zur Buchmesse 2011 in neuer Übersetzung auf Deutsch erscheinen, wie Gudmundsson sagte. „Der Missbrauch durch die Nazis hat den Zugang zu den Sagas lange verhindert“, so Gudmundsson, der den Anstoß zur Neuübersetzung gab. 1936 waren die Sagas in Nazi-Deutschland - dem Rassenwahn vom nordischen Menschen verpflichtet - unter dem Titel „Herrenmenschen im alten Island“ erschienen.

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In Frankfurt werden mehrere hundert Fotos und Videoporträts von Isländern in ihren privaten Bibliotheken gezeigt
„Überleben als Heldentat“
Als weiteres Beispiel für die Bedeutung der Literatur führte der Projektleiter an, dass im 18. Jahrhundert - als die Menschen große Not litten - Priester auf abgelegenen Fjorden die ersten überlieferten Ausgaben eines baskisch-isländischen Wörterbuchs anfertigten. Sie wollten sich mit baskischen Walfängern unterhalten. „Damals galt schon das bloße Überleben als Heldentat“, sagte der Literaturexperte.
Hinweis
Die Frankfurter Buchmesse 2011 findet von 12. bis 16. Oktober statt. Rund 7.500 Aussteller aus 110 Ländern präsentieren sich den prognostizierten 280.000 Besuchern.
„Zugleich ist uns die zeitgenössische Literatur unglaublich wichtig“, fügte Gudmundsson hinzu. Buchmesse-Direktor Juergen Boos zeigte sich davon beeindruckt, wie viel Literatur auf der Insel produziert wird. Bei 320.000 Einwohnern sei es „extrem faszinierend“, dass jeder davon offenbar auch Schriftsteller oder Musiker sei. In Frankfurt lebten etwa doppelt so viele Menschen, doch es werde bei weitem nicht so viel publiziert und gelesen.
Trotz Finanzkrise Förderungen nicht gekürzt
Die isländische Kulturministerin Katrin Jakobsdottir hob hervor, dass nach der Finanzkrise die staatliche Förderung für das Buchmesse-Projekt um keine Krone gekürzt worden sei, „als einziger Teil des isländischen Haushalts“. Seit dem Mittelalter sei die Identität des Landes mit der Literatur verbunden. Es sei ein Körnchen Wahrheit an dem Spruch, dass den Isländern das Interesse an Literatur in die Wiege gelegt werde. Das literarische Erbe werde von den Urgroßmüttern weitergegeben, die den Kindern Geschichten erzählten, um sich an dunklen Winterabenden das Leben etwas zu erleichtern.
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