„Ich möchte nach Hause gehen“
Amanda Knox, die als „Engel mit den Eisaugen“ bekanntwurde, hatte im Berufungsprozess wegen Mordes in Italien am Montag die Möglichkeit einer letzten Stellungnahme. „Ich bin dieselbe Person, die ich vor vier Jahren war“, sagte Knox zitternd. Sie habe mit Meredith Kercher, deren Ermordung ihr und ihrem Ex-Freund Raffaele Sollecito vorgeworfen wird, „auf die grausamste Weise“ eine Freundin verloren.
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Sie habe das Vertrauen in die italienischen Behörden verloren und sei absolut unfair behandelt worden, so die Amerikanerin. „Ich bezahle mit meinem Leben für Dinge, die ich nicht getan habe.“ Knox musste ihre Rede mehrmals unterbrechen, um sich wieder zu fassen. „Ich möchte nach Hause gehen. Ich möchte zu meinem Leben zurückkehren. Ich will nicht bestraft werden“, plädierte die 24-Jährige an die Geschworenen. „Ich bin unschuldig, und Raffaele ist es auch“.

APA/EPA/ANSA/Pietro Crocchioni
Amanda Knox zeigte sich während der Schlussplädoyers höchst emotional
Sollecito „unfokussiert“
Die Stellungnahme Sollecitos fiel wesentlich weniger emotional aus. Ein aus dem Gerichtssaal berichtender Reporter des „Guardian“ beschrieb das Plädoyer als „unfokussiert“ und den Mitangeklagten als „abwesend wirkend“. Außerdem erwähnte er - im Vergleich zu Knox - das Opfer nicht ein einziges Mal. „Ich bin ein Niemand. Aber sie wollen diesen Niemand für den Rest seines Lebens im Gefängnis sehen,“ sagte er stockend.
Nach den Plädoyers wurden die Angeklagten zurück ins Gefängnis gebracht, wo sie auf die für den Abend angesetzte Urteilsverkündung warten. Zur Entscheidung waren mehr als 400 internationale Medienvertreter nach Perugia gekommen. Auch die Familie des Opfers reiste am Montag aus Großbritannien an.
2009 in Indizienprozess verurteilt
Knox und ihr italienischer Ex-Freund waren 2009 in einem der spektakulärsten Indizienprozesse der italienischen Geschichte wegen Mordes an einer britischen Studentin zu 26 beziehungsweise 25 Jahren Haft verurteilt worden.
Knox’ Mitbewohnerin, die britische Austauschstudentin Kercher, war im November 2007 tot in der gemeinsamen Wohnung gefunden worden: mit durchschnittener Kehle, von zahlreichen Messerstichen übersät und vergewaltigt. Zwei Jahre später sprach ein Gericht nach einem elfmonatigen spektakulären Indizienprozess die heute 24-jährige Amerikanerin und ihren drei Jahre älteren italienischen Ex-Freund Raffaele Sollecito des Mordes schuldig.
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft wurde die 21-jährige Britin gemeinsam von Knox, Sollecito sowie dem Mitangeklagten Rudy Guede ermordet, weil sie Gruppensex verweigerte.
Keine Geständnisse der Angeklagten
Alle drei Verurteilten bestritten die Tat. Doch die DNA des in der Elfenbeinküste geborenen, in Italien aufgewachsenen Guede war in der Vagina des Opfers gefunden worden, sein blutiger Handabdruck in ihrem Zimmer. In erster Instanz wurde er zu 30 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde auf 16 Jahre revidiert, weil er das verkürzte Gerichtsverfahren akzeptierte.
Es ist ein reiner Indizienfall, in dem jedes Beweisstück genau untersucht werden muss. Genau das dürfte laut einem neuen Gutachten nicht korrekt über die Bühne gegangen sein. Die Staatsanwaltschaft verweist auf angebliche DNA-Spuren des Paars: von Sollecito am BH-Verschluss des Opfers und von Knox auf der vermeintlichen Mordwaffe, einem Küchenmesser, das sie, wie sie immer betonte, oft zum Kochen benutzt habe. Sichergestellt worden war die angebliche Tatwaffe im November 2007 in der Wohnung von Sollecito.
Auch einen Augenzeugen präsentierten die Ermittler, der die beiden am Mordabend in der Nähe des Tatorts gesehen haben will. Doch dessen Aussagen erwiesen sich mittlerweile als fehlerhaft. Vor fast einem Jahr gingen Knox und Sollecito in Berufung. Die Verteidigung hatte in den vergangenen Monaten mit einem neuen unabhängigen Gutachten versucht, Einspruch gegen die Hauptbeweise einzulegen: Forensikexperten aus Rom sprechen darin von gravierenden Ermittlungsfehlern und Schlampereien, wissenschaftliche Verfahren seien nicht angemessen angewendet worden.
Weiteres Gutachten nicht mehr zugelassen
Die Gutachter halten es für möglich, dass Spuren erst nach der Tat auf Gegenstände gekommen sind. So soll der BH des Opfers mit den angeblichen Spuren von Sollecito verunreinigt worden sein. Vor allem besagt das neue Gutachten, dass anders als im ersten Verfahren behauptet auf der angeblichen Tatwaffe doch kein Blut des Mordopfers gefunden worden sei.
Die Staatsanwaltschaft wies das als „Verfälschung der Realität“ zurück und beschrieb die Ergebnisse der Gutachter als „blamabel“. Als Erfolg für die Verteidigung darf jedoch angesehen werden, dass die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einem neuen rechtsmedizinischen Gutachten Anfang September abgelehnt wurde.
Knox belastete Unschuldigen
Damit wurde der Anklage ihre wichtigste Argumentation entzogen. Denn ohne ein Motiv und Zeugenaussagen musste sich die Staatsanwaltschaft alleine auf Indizienbeweise verlassen. Und gerade der Umgang mit den DNA-Spuren wurde durch das neue Gutachten besonders stark in Zweifel gezogen. Zugleich sind nicht alle Indizien beseitigt, die gegen Knox und Sollecito als Täter sprechen.
Das Fenster der Wohnung, in der Kercher ermordet wurde, war von innen eingeschlagen worden. Aus Sicht des Schwurgerichts wies das auf einen Täter hin, der im Haus lebte und einen Einbruch vortäuschen und von sich ablenken wollte. Und vor allem blieb bisher die Frage offen, warum Knox bei ihrem ersten Verhör zuerst einen anderen Afrikaner, Patrick Lumumba, der Tat bezichtigte, der sogar mit ihr zusammen verhaftet wurde, dessen Alibi aber unumstritten war.
Anklage wirft Knox PR-Kampagne vor
Während die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft für die 24-Jährige fordert, plädiert die Verteidigung auf Freispruch. Am Freitag kam es im Gerichtssaal noch einmal zum erbitterten Schlagabtausch. "Wir glauben nicht an Märchen – und Sie sollten das auch nicht tun“, beschwor Staatsanwalt Giuliano Mignini das Gericht. Im Fall eines Freispruchs bestehe erhebliche Fluchtgefahr, mit den USA bestehe keinerlei Auslieferungsabkommen.
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