Einteilung ist alles
Geht es darum, verdeckt Einfluss auf politische Entscheidungsträger auszuüben, eröffnen sich unterschiedlichsten Lobbys in den USA offenbar ideale Möglichkeiten, wenn die Grenzen der Wahlbezirke neu gezogen werden. Zumeist geschieht das nach dem in der Verfassung verankerten Zehnjahreszensus unter anderem aufgrund von Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur.
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Sinn des „Redistricting“ ist es, die Wahlsprengel möglichst so einzugrenzen, dass - in den USA gilt das Mehrheitswahlrecht - auch politische Minderheitsinteressen Gehör finden. Mit dem Zehnjahreszensus wird die Verteilung der Kongresssitze pro Bundesstaat und die der Wahlmänner, die den Präsidenten küren, festgelegt. In einigen Bundesstaaten ist das „Redistricting“ Sache der Verwaltungsbehörden, andere setzen unabhängige Kommissionen ein.
„Selbstlos der Demokratie verschrieben“
Jedenfalls versuchten unzählige Gruppen, an den Grenzen der Wahlbezirke herumzurücken, hieß es zuletzt in einem ausführlichen Artikel des US-Politikmagazins ProPublica. Schon deren Namen legten nahe, dass sie sich „selbstlos der Demokratie verschrieben“ hätten, ätzte das Onlineportal. Gruppen wie „Fair Districts Mass“ (Massachusetts), „Protect Your Vote“ (Florida) und „Center for a better New Jersey“ heften sich schließlich auf die Fahnen, darauf zu achten, dass die Grenzen der Wahlbezirke transparent und gerecht gezogen würden.
„Versteckte Hände“ im Hintergrund
Doch in Wahrheit seien die Motive meist nicht so hehr, heißt es in dem Artikel unter dem Titel „The Hidden Hands in Redistricting“. Denn diese „versteckten Hände“, die da mitmischten, seien die von Unternehmen und unterschiedlichsten Interessenverbänden. Der „alle zehn Jahre stattfindende Kampf“ um die Neuziehung der Sprengelgrenzen diene in erster Linie dazu, „die Perspektiven ihrer politischen Verbündeten zu verbessern und ihren Feinden zu schaden“.
Während die Zahl dieser Gruppen im Steigen begriffen sei, blieben ihre Verbindungen im Dunkeln, so das US-Onlineportal. Die meisten Bundesstaaten erlaubten es ihnen, praktisch unbegrenzt Geld anzunehmen, und das, ohne zu deklarieren, woher es kommt.
Gewinnen mit möglichst wenig Widerstand
Vor diesem Hintergrund entwickelten die selbst ernannten Hüter der Demokratie „immer gefinkeltere Techniken“, mit der Grenzziehung der Wahlbezirke ihr Spiel zu treiben - Verlierer sei der Wähler. Schließlich könne geschicktes „Redistricting“ problemlos republikanische oder demokratische Wahlbezirke schaffen und Amtsinhabern praktisch die Wiederwahl garantieren oder eben dafür sorgen, dass ihre Chancen schwinden. Genauso gut könne eine geschickte Grenzziehung dafür sorgen, Minderheiten auseinanderzudividieren und derart zu garantieren, dass ihre Interessen praktisch unberücksichtigt blieben.
Ziel sei am Ende, kommentierte das US-Onlineportal Slate.com, die politischen Grenzen so zu ziehen, dass am Wahltag der Wunschkandidat „mit möglichst kleinem Widerstand gewinnt“.
Konzerne und „ihre“ Abgeordneten
„Billig ist das allerdings nicht, und das ist der Punkt, wo Unternehmen und externe Interessen ins Spiel kommen“, so ProPublica. Besonders in Bundesstaaten, wo das „Redistricting“ Sache von Regierungsbeamten ist, seien bezahlte Lobbyisten eifrig am Werk. Als Geldgeber des wahltaktischen Brettspiels nennt ProPublica etwa Koch Industries, ein riesiges, in Privatbesitz befindliches Unternehmenskonglomerat in den Sektoren Erdöl, Chemie und Düngemittel mit Hauptsitz in Wichita (Kansas). Koch soll die Gruppe „Minnesotans for a Fair Redistricting“, die den Republikanern nahesteht, finanzieren. Der Konzern habe bereits „Millionen“ dafür ausgegeben, die Konservativen zu unterstützen.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie weit es mit der Bürgerbeteiligung der Gruppen her ist, sei „Fair Districts Mass“. Die Gruppe heftet sich auf die Fahnen, sich rund um Boston, die Hauptstadt des Bundesstaates Massachusetts, für Minderheiten einzusetzen. Auch bei ihr seien Unternehmen als Sponsoren willkommen, man verweise dort sogar darauf, dass man die Herkunft seiner Spendengelder nicht offenlegen müsse. Der Vorsitzende von „Fair District Mass“, Jack Robinson, hatte dreimal selbst - allerdings erfolglos - für die Republikaner für den Kongress kandidiert.
„Weißer und republikanischer“
Der Fall der demokratischen, afro-amerikanischen Kongressabgeordneten Corrine Brown im republikanisch regierten Florida sei ein besonderer, so ProPublica. Ihr Heimatwahlbezirk sei der „überhaupt am regelwidrigsten gezeichnete im gesamten Land“. Er sei „150 Meilen (rund 241 Kilometer, Anm.) lang, aber an seiner schmalsten Stelle gerade einmal so breit wie eine Autobahnbrücke“ und umfasse vor allem die afro-amerikanischen Vororte der Großstädte Orlando, Gainesville und Jacksonville. Eine Folge: Genauso sicher wie Browns Sitz im Kongress sei, dass alle umliegenden Wahlbezirke „weißer und republikanischer“ seien. „Redistricting-Profis nennen das ‚Bleichen‘“ („Redistricting professionals call that ‚bleaching‘“).
Dabei, so das Politikmagazin, wäre Browns Sessel bei der letzten Wahl in Florida im Vorjahr fast ins Wackeln geraten, nachdem unter anderem Gewerkschaftsverbände gegen Manipulationen bei der Einteilung der Wahlbezirke mobilgemacht hatten. Brown versammelte daraufhin die Gruppe „Protect Your Vote“ hinter sich und ging erfolgreich in die Offensive.
Gegengeschäfte im Kongress
Auch in ihrem Unterstützungskomitee hätten sich damals zwei Großspender befunden. „Protect Your Vote“ soll mit bis zu 800.000 Dollar (fast 580.000 Euro) gesponsert worden sein, darunter vom Rüstungs- und Chemikalienkonzern Honeywell International. Eine andere Spende kam vom Transportunternehmen CSX Transportation mit Sitz in Jacksonville. Brown setzte sich laut ProPublica im Gegenzug für ein umstrittenes Schnellbahnprojekt ein, das CSX bis zu 600 Mio. Dollar (über 430 Mio. Euro) einbringen soll.
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