Afrikaner sein in Wien
Eine außerordentlich spannende Geschichte, sie wirft ein Schlaglicht auf die Entwicklung des Rassismus in Österreich, erzählt das Wien Museum in seiner neuen Ausstellung „Angelo Soliman - Ein Afrikaner in Wien“. Vom Sklaven wurde er zum angesehenen Freimaurer und schließlich nach seinem Tod zum ausgestopften „Vorzeigeneger aus dem Dschungel“.
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Gleich vorweg: Die Faktenlage rund um Soliman, der im 18. Jahrhundert in Wien lebte, ist dünn, im Gegensatz zu den literarischen Spuren, die er hinterlassen hat - etwa in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Dessen sind sich der Historiker Philipp Blom, der die Idee für die Schau hatte und maßgeblich an ihrer Umsetzung beteiligt war, und Wien-Museum-Direktor Wolfgang Kos bewusst. Sie reagierten auf zweierlei Weise: Erstens wurde auch integriert, was nicht erwiesen ist - und als unsicheres Terrain gekennzeichnet. Zweitens wird viel Kontext erzählt und der Bogen in die Gegenwart gespannt. Von den 260 Objekten in der Ausstellung beziehen sich 160 mehr oder weniger direkt auf Soliman.

National Portrait Gallery, London
Louise de Kerouaille, Duchess of Portsmouth (mit afrikanischem Mädchen als Dienerin), 1682, London, National Portrait Gallery
Erotisch aufgeladenes Anhängsel
Zum Kontext zählt der rege Sklavenhandel, den es damals im Mittelmeerraum gab. Vor allem afrikanische Kinder waren in den besseren Kreisen Europas gefragt. Sie galten als herzige Anhängsel vor allem für Damen, mitunter auch für Herren. Zwei Gemälde in der Ausstellung zeigen eine weitere Funktion: das symbolische Aufladen ihrer Besitzer mit Erotik. Die Herzogin von Portsmouth etwa ließ sich mit einem jungen Mädchen abbilden, das in der rechten Hand eine Muschel hält - Symbol für die weibliche Scham - und in der linken eine rote Koralle - damals gerieben als Aphrodisiakum in Umlauf. Subtext: die wilde, animalische Seite der Herzogin.
Einmal erwachsen wurden viele Afrikaner auf die Straße gesetzt. In manchen Städten Italiens stellten sie zehn Prozent der Bevölkerung, die meisten verarmten, aber nicht alle. Soliman war als Achtjähriger nach Messina verschleppt worden. Er erhielt Unterricht. Nach einigen Jahren schwatzte der Militärgouverneur von Messina, Fürst Georg Christian Lobkowitz, ihn seinen Herren ab. Ihn begleitete Soliman auf Militärkampagnen und wohnte auf dessen Landsitz in Böhmen. Wie nahe er ihm war, sieht man auf einem Gemälde, wo Soliman seine Hand auf die Sessellehne des Fürsten legt - eine ungewöhnliche, fast unerhörte Geste, zumal auf einem Gemälde.

Wien Museum
Ein Jagdbankett des Großherzogs Gian Gastone de’ Medici, 1730er Jahre. Peter Jakob Horemans Umkreis. Wien Museum. Hinten zu sehen: Fürst Lobkowitz und Soliman, der eine Hand auf dessen Stuhllehne hält
Beispiellose Karriere
Nach Lobkowitz’ Tod kam Soliman 1754 zu Fürst Wenzel von Liechtenstein. Dort stieg er die Karriereleiter bis zum Leiter der Dienerschaft empor und nahm bald repräsentative Pflichten an der Seite des Fürsten wahr. Nach einer heimlichen Eheschließung wurde er zunächst gefeuert, aber fünf Jahre später von Fürst Franz Joseph von Liechtenstein als Erzieher wieder eingestellt.
In der Zwischenzeit war Soliman durch einen Gewinn im Glücksspiel zu einer erklecklichen Geldsumme gekommen, außerdem in die intellektuelle Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ aufgenommen und auch sonst zu einem angesehenen Bürger der Wiener Gesellschaft geworden. Verschiedenste Dokumente, die im Wien Museum zu sehen sind, belegen das. Dennoch starb der Vater einer Tochter später in Armut. Wodurch er fünf Jahre vor seinem Tod sein Vermögen verloren hatte, ist nicht überliefert.

Städtisches Rollett-Museum, Baden
Kopfabguss Solimans, Städtisches Rollettmuseum Baden, Sammlung Gall
Ausgeweidet, ausgestopft
Wirklich empörend war, dass Soliman nach seinem Tod ausgestopft und als „wilder Dschungelneger“ im Kaiserlichen Museum ausgestellt wurde. Schon damals war das nicht mehr „State of the Art“. Zum einen, weil die Darstellung Solimans, der eigentlich aus einem muslimischen Gebiet stammte, wissenschaftlich nicht haltbar war. Zum anderen, weil es auch Zeitgenossen nicht egal war, dass einer der ihren wie ein Tier vorgeführt wurde. Die Tochter Solimans schrieb zahlreiche Eingaben, um die Ausstopfung ihres Vaters, der Christ war und im Ganzen begraben hätte werden sollen, zu verhindern, blieb damit aber erfolglos. Im Wien Museum sind diese Eingaben zu sehen.
Warum das Kaiserliche Museum dennoch auf seine Vorgehensweise beharrte, darüber kann heute nur spekuliert werden. Eine These ist, dass der Kaiser mit dem aufgeklärten Freimaurer Soliman eine Rechnung offen hatte und sie auf diese Weise beglich. Aufgrund der Proteste verschwand Soliman zuerst hinter einem Vorhang und später auf den Dachboden des Museums. Zehn Jahre nach seinem Tod wurde der Körper Opfer eines Hofburg-Brandes.
Ausstellungshinweis
Angelo Soliman - Ein Afrikaner in Wien, bis 29. Jänner, Wien Museum, dienstags bis sonntags und feiertags von 10.00 bis 18.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog (256 Seiten, 24 Euro) erschienen.
Innere Schutzwand gegen Rassismus
Nicht ganz geschmackssicher ist in diesem Zusammenhang die Ausstellung von Solimans Schädel, der nach seinem Tod von Dr. Franz Josef Gall - er wollte einen Zusammenhang von Charakter und Anatomie beweisen - vermessen und beschriftet worden war. Auch wenn das Wien Museum von jedem Rassismusverdacht völlig frei ist und das Ausstellen von Schädeln in anderen Zusammenhängen ansonsten unhinterfragt betrieben wird: Soliman wird jetzt noch einmal von den Wienern begafft. Flankiert werden die Objekte, die sich mit Soliman beschäftigen, jedenfalls von zahlreichen Plakaten und anderen Belegen der stereotypen Wahrnehmung von Menschen mit dunkler Hautfarbe in Österreich (der Meinl-Mohr ist nur ein Beispiel).
In Interviews, die auf zwei Screens in die Ausstellung integriert sind, erzählen ein Universitätsprofessor, eine DJane, eine Journalistin und andere von Rassismus Betroffene über einen Alltag, in dem es aufgrund mannigfaltiger Ausgrenzungsmechanismen bereits schwierig geworden ist, noch zwischen tatsächlichen Angriffen und Paranoia zu unterscheiden und darüber, wie sie sich zur Wehr setzen, und sei es nur durch eine innere Schutzwand: Rassismus ignorieren, weil man verrückt werden würde, wenn man jede Geste und jeden Blick zum Anlass nähme, sich zu ärgern.

Robert Sturm
Angelo X, 2006/2011. Robert Sturm. Wien Museum
Soliman als Malcolm X
Auch künstlerische Positionen, die sich mit Soliman und mit Rassismus im Allgemeinen beschäftigen, werden gezeigt - etwa „Angelo X“, eine „Malcolm X“-Black-Power-Version jenes Stichs, auf dem Soliman am besten zu sehen ist. Genauso wichtig wie die Ausstellung selbst, sagt Kos, ist ihm die angeschlossene Veranstaltungsreihe. An einem Abend etwa wird die bereits angesprochene Frage diskutiert, ob menschliche Überreste wie der Schädel Solimans in ein Museum gehören oder nicht. Mehrere Vorlesungen, Diskussionen und Vorträge behandeln das Thema Rassismus.
Das Wien Museum geht damit den einen entscheidenden Schritt weiter als das Völkerkundemuseum, das vergangenes Jahr mit seiner Ausstellung über „James Cook und die Entdeckung der Südsee“ eine lehrreiche Schau zusammenstellte, deren einziges Manko es war, die Fäden lose hängen gelassen zu haben, die bis in die Gegenwart verwoben sind - die Faszination am „Exotischen“ grenzt Menschen ähnlich aus wie absichtsvolle Diskriminierung. Aber das Völkerkundemuseum zeigt (auch seither) Ausstellungen und präsentiert Projekte, die sich den Fallstricken rund um das Migrationsthema widmen.
Hoffen auf die nächste Generation
Dem Bildungsauftrag kommt man also hier wie dort nach, auch wenn Details diskussionswürdig sind. Bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Schulklassen den Weg in die Soliman-Ausstellung finden. Vielleicht sprechen die ja in der Ausstellung nicht ironiefrei von „Negern“, wie das unter den Besuchern (Journalisten und andere) der Pressekonferenz teilweise zu hören war, und ereifern sich nicht wie diese darüber, dass der innerafrikanische Sklavenhandel eh viel schlimmer war als alles andere. In der Ausstellung geht es um Wien - und um die Gegenwart.
Simon Hadler, ORF.at
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