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FDP in freiem Fall

Mit dem Einzug in den Berliner Landtag Mitte September mit 8,9 Prozent hat die deutsche Piratenpartei die erste Hürde auf dem Weg in die etablierte Politik genommen. Seitdem befindet sie sich im Aufwind. Laut dem aktuellen Forsa-Wahltrend von „stern“ und RTL würden derzeit deutschlandweit sieben Prozent für die aus der Internet- und Bürgerrechtsszene kommende Partei stimmen.

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Damit würde die 2006 in Deutschland nach schwedischem Vorbild gegründete Partei die Fünfprozenthürde für den Bundestag überspringen. Auch für Beobachter kommt der schnelle Aufstieg der Partei überraschend. „Selbst die Grünen brauchten nach ihrem ersten Antreten zur Europawahl 1979 vier Jahre, bis sie in den Bundestag kamen“, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner gegenüber dem „stern“.

Regierung 15 Punkte hinter Rot-Grün

Mit den sieben Prozent liegen die Piraten in der Umfrage gleichauf mit der Linken, die um zwei Punkte verlor. Die schwarz-gelbe Regierung gerät zusehends ins Hintertreffen. Die Union bleibt zwar unverändert bei 31 Prozent. Koalitionspartner FDP verliert hingegen erneut einen Punkt und fällt mit zwei Prozent auf einen neuen Tiefststand. Die SPD steigt auf 29 Prozent Zustimmung. Die Grünen fallen um einen Punkt auf 19 Prozent.

Anhänger der Piratenpartei feiern nach Wahlergebnis

dapd/Adam berry

Piratenpartei-Anhänger feiern nach der ersten Hochrechnung zur Berlin-Wahl

Mit gesamt 33 Prozent liegt die Regierungskoalition um 15 Prozentpunkte hinter einem rot-grünen Bündnis von gemeinsam 48 Prozent. Die Piratenpartei kommt nun als neuer Spieler und potenzieller Koalitionspartner dazu.

Protest mit Piraten

Obwohl sich die Vertreter der Piraten um Professionalität bemühen, würden nur sechs Prozent der Befragten die Piratenpartei wegen ihrer politischen Ziele wählen. Knapp 40 Prozent gaben an, sich mit dem politischen Programm der Partei auszukennen. Für die meisten gilt sie weiterhin als Protestpartei.

30 Prozent der Piratenanhänger kommen daher laut Forsa-Umfrage auch aus dem Lager der Nichtwähler oder Erstwähler. Elf Prozent hatten bei der letzten Bundestagswahl die Grünen gewählt, 16 Prozent die Union, 13 Prozent votierten für die FDP, zehn Prozent für die SPD.

„In fünf Jahren noch da“

Für den Politologen Oskar Niedermayer ist die Piratenpartei kein kurzfristiges Phänomen: „Ich glaube, dass sie nach fünf Jahren noch da sind“, sagte er im dpa-Interview. Die Chancen in den Städten seien zwar besser, aber die Piraten sind für Niedermayer weder eine Spaß- noch eine reine Protestpartei. Es werde nicht einfach für die etablierten Parteien, auf diesen Erfolg zu reagieren: „Man kann die Wähler nicht vollständig zurückholen.“

Politisches Establishment reagiert

Unter den etablierten Parteien hat der ungewöhnliche Aufwind der Piraten für Aufregung gesorgt und für erste Konsequenzen. Die grüne Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin in Berlin, Renate Künast, und der grüne Fraktionschef Jürgen Trittin, bereiten nun offenbar eine Abkehr von der Union als möglicher Bündnispartner vor. Das war schon im Bundestagswahlkampf 2009 nicht ausgeschlossen worden. Bei der Berlin-Wahl hatte Künast ebenfalls lange versucht, die Option Schwarz-Grün offenzuhalten. Trittin erklärte das hinter den Erwartungen zurückgebliebene Ergebnis mit dem Verdacht, „man plane heimlich Schwarz-Grün“.

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte auf die Piratenpartei und will die Internetpräsenz der CDU verstärken. „Das Thema Internet ist eine zusätzliche Komponente, die bei den Wahlkämpfen eine Rolle spielen wird.“

„FDP vor Selbstauflösung“

Die FDP müsse sich den Politikstil der Piratenpartei als Vorbild nehmen, so FDP-Entwicklungsminister Dirk Niebel: „Ein gewisses Maß an Spontaneität kann hilfreich sein.“ Die Arbeit in der schwarz-gelben Koalition ist nicht zuletzt aufgrund der schlechten Umfragewerte und des koalitionären Streits über den Euro-Rettungsschirm deutlich angespannt. Niebel brachte sogar ein Bündnis mit der SPD ins Gespräch: „Wenn die inhaltlichen Schnittmengen stimmen, ist ein Bündnis mit der SPD auch auf Bundesebene möglich.“ Noch seien die Gemeinsamkeiten von Union und FDP aber für eine weitere Wahlperiode ausreichend.

Für den Soziologen Oskar Negt ist der Niedergang der FDP einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: „Die FDP steht im Augenblick vor dem Problem einer ungeregelten Insolvenz, also Selbstauflösung. Das Tauschgeschäft bei der letzten Bundestagswahl, dass FDP-Wähler von der CDU kamen, wird nicht mehr stattfinden.“

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