„Dirty Peter’s“ Bacchanal
DBC Pierre ist ein Mann der Extreme. Zuerst verpfuschte er sein halbes Leben mit Drogen und Gaunereien, dann erhielt er für seinen popliterarischen Roman „Jesus von Texas“ über ein Highschool-Massaker den Booker-Preis. Als nächstes folgte mit „Bunny und Blair“ ein totaler Flop. Und nun überrascht der 50-Jährige durch einen Roman, den ihm niemand zugetraut hätte.
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„Das Buch Gabriel“ widmet sich der Religion des Kapitalismus - und die Handlung steuert auf den Tag X zu. Der 25 Jahre alte Junkie Gabriel Brockwell will sich umbringen, vorher aber noch ordentlich abfeiern. Deshalb fliegt er mit gestohlenem Geld von London nach Tokio, wo sein Freund Smuts in einem Kugelfisch-Restaurant arbeitet. Der gemeinsame Exzess endet mit dem Tod eines Unbeteiligten. Um Smuts aus dem Gefängnis herauszuboxen, muss Gabriel eine möglichst dekadente Party für einflussreiche Großkapitalisten organisieren. Und das ausgerechnet auf dem Berliner Flughafen Tempelhof, an den man eigentlich unmöglich herankommen kann.
Bonzen im Nazitempel
DBC Pierre jongliert mit Symbolen, was sich schon im Titel des Buches zeigt. Er arbeitet Religion, Faschismus und Kapitalismus heraus - die Begriffe zeigen Parallelen und haben einen gemeinsamen Kern: den nicht zu hinterfragenden Glauben an Erlösung. Und auch den Glauben an den Himmel, die Überlegenheit der Volksmasse und die Selbstregulierungskräfte des freien Marktes. Gabriel befindet sich im „Limbus“. In der Theologie ist das der Aufenthaltsort für Seelen, die unverschuldet vom Himmel ausgeschlossen sind - im Kapitalismus demnach vom Reichtum. Und das große, finale Bacchanal der Bonzen muss nicht von ungefähr in dem unter Hitler - nach den Maßstäben des Nazipomps - errichteten Neubaus des Flughafens Tempelhof stattfinden.
Das Buch beginnt im Chaos, als innerer Dialog eines hochgebildeten Drogensüchtigen, der sich nach dem Tode sehnt. Aber Gabriel hat plötzlich eine Aufgabe: Smuts zu retten - und er soll widerliche Verbrechen von Milliardären bei Orgien verhindern. Dann kommt auch noch die Liebe ins Spiel. Je chaotischer rund um Gabriel die Vorgänge werden und je dramatischer sich seine Lage zuspitzt, desto mehr Struktur hält in seine Persönlichkeit Einzug. Und damit auch in den Roman, der trotz solcher Kunstgriffe an Rohheit, Sarkasmus und schwarzem Humor nichts zu wünschen übrig lässt.

Eichmann
Buchhinweis
DBC Pierre: Das Buch Gabriel. Eichborn, 379 Seiten, 20,60 Euro.
„Dirty but clean Peter“
Denn nach wie vor steht DBC Pierre für „Dirty but clean Peter“. Der Künstlername ist ein bewusstes Statement des Autors Peter Warren Finlay. „Dirty Peter“, wie er von seinen Freunden schon immer genannt wurde, hat ein bewegtes Leben hinter sich. Als sein Erstlingswerk „Jesus von Texas“ zum Erfolg wurde und den Booker-Preis erhielt, bekam er kalte Füße. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis seine problematische Vergangenheit ohnehin ans Licht gekommen wäre.
Deshalb trat Finlay die Flucht nach vorne an und legte eine beispiellose Lebensbeichte gegenüber dem „Guardian“ und Powells.com ab. Endlich wollte er mit dem Geschehenen abschließen. Danach war jedem klar, wie es zum „Dirty“ vor dem „Peter“ gekommen war. Finlay wurde in Australien geboren, ist englischer Abstammung und lebte im Alter von sieben bis 23 Jahren in Mexiko. Mittlerweile hat er sich in Irland niedergelassen. Trotz der Rastlosigkeit seiner Jugend wuchs Finlay in einer behüteten Umgebung auf. Die Familie war weniger wohlhabend. Es war klar, dass der Vater immer hinter ihm stehen würde, komme, was wolle.
Spinner, Junkie, Dandy
In der Schule galt er schon früh als Spinner - allerdings als genialer Spinner, aus dem sicher einmal ein Künstler werden würde. Finlay selbst glaubte das auch. Doch dann erkrankte der Vater an einem Gehirntumor und starb nach drei Jahren schwerem Leiden. Zudem ging fast das gesamte Familienvermögen durch eine Geldentwertung in Mexiko verloren. Der 16-Jährige verlor jeden Halt und kam in Kontakt mit Drogen. Die nächsten fünf Jahre beschreibt Finlay als einen einzigen großen Exzess: keine bekannte Droge, der er sich nicht ausgiebig gewidmet hätte.
Viel änderte sich daran bis zu seinem 30. Lebensjahr nicht - außer, dass die Probleme größer und unüberschaubarer wurden. Immer wieder verstrickte sich Finlay in fantastische Projekte, die dann vor der Realisierung scheiterten, darunter etwa ein Filmprojekt. Fazit: mehrere hunderttausend Dollar Schulden und die Vergangenheit als „verbrannte Erde“. Zahlreiche Menschen hatte er in verschiedenen Ländern betrogen. Viele waren dem Charme des stets als mondäner Dandy auftretenden Gerade-noch-nicht-Künstlers erlegen und mussten dafür büßen.
Der Tief- und der Wendepunkt
Besonders schwer liegt Finlay der Fall des heute 75-jährigen Robert Lenton im Magen. Mit dem amerikanischen Künstler schloss er Mitte der 1980er Jahre in Spanien Freundschaft. Der väterliche Freund unterschrieb für Finlay ein spanisches Dokument. Er war des Spanischen nicht mächtig und vertraute ihm. Lenton hatte damit den Erhalt von nie gesehenen 46.000 Dollar und den Verkauf seiner Wohnung an den Betrüger unterzeichnet. Finlay verkaufte die Wohnung, sein Freund wurde aus den eigenen vier Wänden geworfen, verstand kein Wort und konnte sich nicht wehren. Finlay war mit dem Geld längst verschwunden. Aktionen wie diese waren kein Einzelfall.
Mit 30 kam dann der Wendepunkt. „Dirty Peter“ wusste, dass er so nicht mehr lange durchhalten würde. Er begann eine jahrelange Therapie und hielt sich mit miesen Jobs über Wasser - immer noch mit dem Hintergedanken, irgendwann doch etwas Großartiges zu schaffen. Als Finlay im Alter von 37 im Fernsehen einen Bericht über ein Highschool-Massaker sah, kam ihm die Idee zu „Jesus von Texas“. Er setzte sich hin, versuchte in die Welt eines 14-Jährigen einzutauchen und schrieb.
Noch immer Party bis acht Uhr morgens?
Mit dem Erfolg des Buches ging es Schlag auf Schlag. Zahlreiche Rezensionen stellten dem Roman ein erstklassiges Zeugnis aus. Noch bessere Werbung war vielleicht das Urteil der „New York Times“: „ein unamerikanisches Ärgernis“. Die wichtigsten Medien des englischsprachigen Raumes stellten sich für Interview mit Finlay an. Der Roman wurde zum Bestseller. Danach begann für den Autor die Phase der aktiven Vergangenheitsbewältigung. Die Interviews waren ein erster Schritt dazu - und auch an seinen ehemaligen Freund Lenton überwies er Rückzahlungsraten.
Aber wo auch immer sich sein Leben hinbewegt haben mag - dem Exzess huldigt er noch immer, zumindest in „Das Buch Gabriel“ und angeblich auch im echten Leben. Bei einem Interview mit der kanadischen „National Post“ entschuldigte er sich kürzlich für sein angeschlagenes Auftreten - er sei bis acht Uhr in der Früh unterwegs gewesen. Und auch bei einer Lesung vor zwei Wochen im Rahmen des Berliner Literaturfestivals erwähnte DBC Pierre seinen Kater und saß mit einem Bier auf der Bühne. Ob PR-Maßnahme oder Anzeichen von Lotterleben, ist eigentlich egal. Geschichten erzählen kann er.
Simon Hadler, ORF.at
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