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Erdwärme statt Atomstrom

In Bochum im deutschen Ruhrgebiet entsteht bis 2012 ein großes Geothermiezentrum. Auf einem 50 Quadratkilometer großen Gelände soll Strom mit Erdwärme erzeugt werden. Die Ergebnisse aus der Forschung sollen Deutschlands Energiewende ermöglichen, die von der Regierung nach der AKW-Katastrophe in Japan ausgerufen wurde.

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Pünktlich zum Spatenstich für das Internationale Geothermie Zentrum der Hochschule Bochum wurde Anfang September die erste Bohranlage geliefert. Ein 1.000 Meter tiefes Bohrloch soll den gesamten Unicampus mit Energie versorgen. Der Ruhrpott könnte mit den erhofften Forschungsergebnissen Jahrzehnte nach dem Aus des Kohlebergbaus wieder zum Energiezentrum Deutschlands werden.

Wie Erdwärme genutzt wird

Bei der Stromgewinnung mit Erdwärme wird Wasser in die Tiefe gepumpt, erhitzt sich und wird wieder an die Oberfläche gepumpt. Die Wärmeenergie aus dem erhitzten Wasser wird dann in Strom umgewandelt.

Dass Erdwärme zum Heizen genutzt wird, ist nichts Neues - zur Stromgewinnung wird sie bisher jedoch kaum genutzt. In Bochum sollen jetzt neue Verfahren entwickelt werden, damit auch Tiefenbohrungen bis 5.000 Meter wirtschaftlich werden. Gegenüber ORF.at sagte Holger Born von der Hochschule Bochum, dass die Temperatur erst in dieser Tiefe auf über 120 Grad steige. „Erst dann rechnet sich die Stromerzeugung überhaupt“, sagte Born.

Die öffentliche Hand fördert den Campus mit elf Millionen Euro, zusätzlich gibt es Geld aus der Wirtschaft. Die deutschen Forscher haben das ehrgeizige Ziel, Erdwärmekraftwerke mit fünf bis 20 Megawatt Leistung zu entwickeln, die auch auf dem Strommarkt bestehen können. Zum Vergleich: Das größte Windkraftrad schafft derzeit eine Leistung von 7,5 Megawatt.

Erdwärme noch in den Kinderschuhen

Bisher spielte Strom aus Erdwärme auf dem deutschen Energiemarkt keine Rolle. Das werde sich aber ändern müssen, wenn bis 2050 der gesamte Strombedarf aus erneuerbarer Energie abgedeckt werden solle, sagt Born. Die von der deutschen Bundesregierung verkündete Energiewende könne nur erreicht werden, wenn die Geothermie ausgebaut werde. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass 15 Prozent des Strombedarfs mit Erdwärmekraftwerken abgedeckt werden können.

Die aktuelle Situation zeigt allerdings ein anderes Bild: Derzeit kommt in Deutschland nur jede fünfte Kilowattstunde aus erneuerbaren Energieträgern. Der Anteil von Strom aus Erdwärme bewegt sich im Promillebereich. Für Rolf Bracke, den Institutsvorstand des Geothermie Zentrums, ist das eine unbefriedigende Situation. „Wenn wir aus der Kernkraft aussteigen und trotzdem alle Elektroautos fahren wollen, müssen wir auch die Geothermie ausbauen“, sagte Bracke in der „Süddeutschen Zeitung“.

Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Philipp Rösler (FDP)

APA/dpa/Wolfgang Kumm

Merkel mit Wirtschaftsminister Rösler (FDP) bei der Energiewende-Konferenz

Energiewende auf wackeligen Beinen

Dass schon in naher Zukunft wirtschaftliche Lösungen auf dem Tisch liegen müssen, sorgt auch für Unruhe im deutschen Kanzleramt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte zuletzt die Energiewende zum Thema Nummer eins, trotz der schwelenden Schuldenkrise in Europa. Zahlreiche Regierungs- und Wirtschaftsvertreter wurden zu Gesprächen ins Kanzleramt vorgeladen. Das heißeste Eisen dabei: der Atomausstieg bis 2022.

Die Industrie fürchtet dabei hohe Kosten und steigende Strompreise. Außerdem soll bis 2020 der Ökostromanteil in Deutschland auf mindestens 35 Prozent gesteigert werden - für Experten ein zu hoher Wert. Damit das Ziel erreicht werden könne, sei noch jede Menge Forschung nötig, sagte Geologe Frank Schilling vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Wenn Deutschland bei der Geothermietechnik mitreden und die ehrgeizigen Pläne in Sachen erneuerbare Energien umsetzen will, muss die Forschung jetzt vorangetrieben werden.“

Laut Schilling werde die Geothermie bei der Fördergeldvergabe oft stiefmütterlich behandelt. Das zeigen auch die Zahlen des Umweltministeriums. In die Entwicklung der Windenergie flossen 2010 mehr als 50 Millionen Euro Fördergeld, fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Auch die Photovoltaik konnte sich von etwa 32 auf knapp 40 Millionen Euro steigern. Die Geothermie stagnierte dagegen weitgehend bei knapp 15 Millionen Euro.

Kommunikationszentrum für besorgte Bürger

Auch in der Bevölkerung kämpft die Geothermie zur Stromerzeugung mit einem Imageproblem. Seit in Basel und im deutschen Landau nach Bohrungen die Erde gebebt und sich im südbadischen Staufen der Boden gehoben hat, regt sich Widerstand in der Öffentlichkeit. Im Rheingraben haben die Behörden deswegen alle Bohrungen vorläufig verboten, obwohl dort ideale Temperaturen für die Gewinnung von Strom herrschen.

Vor allem das „Cracking“-Verfahren ruft Bürgerinitiativen auf den Plan. Dabei wird mit Wasserdruck und Chemikalien das Gestein im Untergrund aufgebrochen, damit mehr heißes Wasser strömen kann. Bis zu 50 Liter pro Sekunde - eine Badewannenfüllung alle vier Sekunden - sind nötig, um effektiv Strom gewinnen zu können. In Basel und Landau war der Druck zu groß und verursachte Erdbeben.

Zumindest der Chemiecocktail soll in Bochum beim „Cracking“ nicht zum Einsatz kommen, versicherte Born. Und Institutsleiter Bracke kündigte an, ein Kommunikationszentrum für besorgte Bürger zu eröffnen. Die Forscher hoffen auch, dass die Erdstöße, die bei Bohrungen auftreten können, kein Problem werden. Schließlich seien die Menschen im Ruhrgebiet den Bergbau gewohnt, sagte Born.

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