„Ja, ich wollte Kandidat werden“
In seinem mit Spannung erwarteten ersten öffentlichen Auftritt seit seiner Festnahme wegen Vergewaltigungsvorwürfen hat der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn Reue gezeigt. Er bedaure die Affäre, sagte er Sonntagabend im französischen Fernsehsender TF1.
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„Was passiert ist, war (...) ein Fehler“, sagte der 62-Jährige in dem Interview. „Es war ein moralischer Fehler, auf den ich nicht stolz bin. Ich bedaure ihn jeden Tag.“ Bei seiner Begegnung mit dem New Yorker Zimmermädchen Nafissatou Diallo sei aber weder Gewalt noch Zwang im Spiel gewesen, es habe keine strafbare Handlung, sondern nur eine „unangemessene Beziehung“ gegeben. „Es war ein Fehler gegenüber meiner Frau, meinen Kindern und meinen Freunden, aber auch ein Fehler gegenüber den Franzosen, die mit mir eine Hoffnung auf Wandel verbunden haben“, sagte Strauss-Kahn.
Rückkehr in Politik nicht ausgeschlossen
Strauss-Kahn gab in dem Interview erstmals öffentlich zu, dass er im kommenden Jahr bei der französischen Präsidentenwahl antreten wollte. In Umfragen galt er bis zu seiner Festnahme im Mai als aussichtsreichster möglicher Kandidat der französischen Sozialisten. „Ja, ich wollte Kandidat werden. Ich dachte, ich könnte hilfreich sein“, sagte er.
Nun werde er darauf verzichten, bei den Vorwahlen seiner Sozialistischen Partei in irgendeiner Form mitzuwirken. „Es ist nicht meine Rolle, mich da einzumischen“, sagte er. Eine Rückkehr in die Politik schloss er Sonntagabend jedoch nicht aus. Er werde erst Zeit brauchen, um die Vorfälle zu überdenken und sich auszuruhen, sagte er im Interview. Sein Fehler habe sowohl seine Frau, die französische Starjournalistin Anne Sinclair, als auch seine Landsleute getroffen. „Ich habe meine Begegnung mit den Franzosen verpasst“, sagte der 62-Jährige mit Blick auf seine geplante Kandidatur für die Präsidentschaftswahl.
„Bezahle immer noch dafür“
Strauss-Kahn, der bei seinem Auftritt angespannt wirkte, hatte den Bericht des US-Staatsanwalts mit ins Fernsehstudio gebracht, auf den er wiederholt verwies. Aus dem Dokument gehe hervor, dass es beim Sex mit dem Zimmermädchen keine Gewaltanwendung gegeben habe. Die US-Justiz hatte das Strafverfahren wegen versuchter Vergewaltigung Ende August eingestellt, da sie Zweifel an der Glaubwürdigkeit Diallos hatte. Es ist allerdings erwiesen, dass der frühere IWF-Chef „sieben bis neun Minuten“ Sex mit der Hotelangestellten hatte, bevor er mit seiner Tochter zu Mittag aß.
„Ich habe Respekt vor den Frauen“, versicherte Strauss-Kahn, gegen den vor dem Sendegebäude von TF1 rund fünfzig Frauenrechtlerinnen demonstrierten. „Ich habe dafür bezahlt und ich bezahle immer noch dafür.“
Banon-Vorwürfe „erfunden“
Der ehemalige IWF-Chef äußerte sich auch zu den Vorwürfen der französischen Autorin Tristane Banon, die Strauss-Kahn wegen versuchter Vergewaltigung bei einem Treffen vor acht Jahren anzeigte. Er wies die Anschuldigungen als „erfunden“ zurück. Es habe kein „Akt der Aggression, keine Gewalt“ zwischen den beiden stattgefunden. Da die Vorermittlungen zu dem Fall jedoch noch laufen, wollte er sich nicht weiter dazu äußern. Laut Ermittlungskreisen gab er einen Annäherungsversuch zu, allerdings ohne Gewaltanwendung.
Kritik an europäischem Krisenmanagement
Strauss-Kahn übte im Interview auch Kritik am europäischen Krisenmanagement: Er warf den europäischen Regierungen im Umgang mit der Schuldenkrise Ignoranz und zögerliches Handeln vor. „Sie wollen das Ausmaß des Problems nicht erkennen“, sagte er. Griechenland könne nicht für sich selbst zahlen. Jeder in Europa müsse akzeptieren, dass er einen Teil der Verluste zu tragen habe, sowohl die Staaten als auch die Banken. „Die Europäer haben das Problem, dass sie entweder zu wenig oder es zu langsam machen oder oft zu wenig zu langsam machen“, sagte Strauss-Kahn.
Er glaube nicht, dass der Euro wirklich in Gefahr sei, „aber die Situation ist sehr ernst“. „Wenn wir nicht schnell handeln, wird Europa in 25 Jahren ein trostloses Land mit hohen Arbeitslosenquoten und zerfallenden sozialen Schutzsystemen sein.“
Interviewerin kritisch genug?
Über den TV-Auftritt hatte es bereits im Vorfeld Diskussionen gegeben. Medienvertreter kritisierten, dass Claire Chazal, eine Freundin von Strauss-Kahns Frau Sinclair, das Interview führen sollte. Das könnte dazu führen, dass es kaum kritische Fragen gebe.
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