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Newcomer schaffen Wahlsieg

Die Sensation nach der Berlin-Wahl war perfekt: Die Piratenpartei schaffte Mitte September den Einzug in das Landesparlament der deutschen Hauptstadt. Spitzenkandidat Andreas Baum zeigte sich nach dem Wahlerfolg voller Tatendrang: „Wir gehen jetzt in die Arbeit rein. Wir werden von uns hören lassen.“ Dabei hat er von Parlamentsarbeit, wie er im Wahlkampf unumwunden zugab, wenig Ahnung.

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Eine Karriere in der Politik hatte sich der gelernte Industrieelektroniker Baum, der in Kassel geboren ist, nie vorgenommen. Der 33-jährige Kundenberater im technischen Service einer Internetfirma ist seit der Gründung vor fünf Jahren in der Piratenpartei engagiert, ein Freund hatte ihn damals dazu bewogen.

Andreas Baum (Piratenpartei)

Reuters/Thomas Peter

Baum wurde zum Fraktionschef der Berliner Piraten gewählt

Baum wurde mittlerweile auch zum Fraktionschef der Berliner Piraten gewählt, er setzte sich gegen vier weitere Kandidaten durch. Dem war ein interner Streit vorausgegangen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) berichtete. Baum hatte gemeinsam mit Parteimitglied Christopher Lauer kurzfristig eine gemeinsame Kandidatur für eine Doppelspitze angekündigt, was in der Fraktion auf heftige Kritik gestoßen war.

Nach dem Vorbild Schwedens

Gegründet wurde die Piratenpartei im September 2006 in Berlin. Vorbild war die wenige Monate zuvor gegründete schwedische Piratpartiet. Die Piraten, die in Deutschland auch mit ihrem Motto „Klarmachen zum Ändern“ bekanntwurden, verstehen sich als Teil einer „weltweiten Bewegung“ im Internetzeitalter. Als Grundpfeiler der Informationsgesellschaft bezeichnet die Partei „informationelle Selbstbestimmung, freien Zugang zu Wissen und Kultur und die Wahrung der Privatsphäre“.

Die Mitgliederzahl ging in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach oben. Vor allem während des Wahlkampfs zur Europawahl und zur Bundestagswahl im Jahr 2009 erlebte die Partei einen raschen Zuwachs. Vor der Berlin-Wahl hatte die Piratenpartei rund 12.000 Mitglieder. Seither steigt die Zahl nach Angaben der Partei ständig.

Wenige Frauen in Partei

In Berlin kommt die Partei auf mittlerweile 1.000 Mitglieder - 15 davon traten als Kandidaten zur Abgeordnetenhauswahl an. Sehr gering ist dabei der Anteil der Frauen - eine Quote lehnen die Piraten ab. Susanne Graf, einst aktiv im Chaos Computer Club (CCC), ist nicht nur die jüngste Kandidatin auf der Liste, sondern auch die einzige Frau.

„Es ist auch nicht so, dass bei uns alle Hacker und Gamer sind“, sagte Baum. „Es gibt auch Parteimitglieder, die keinen Computer zu Hause haben.“ Zu Forderungen der Partei gehört unter anderem der „fahrscheinlose“ öffentliche Nahverkehr. Eine Überwachung von öffentlichen Plätzen und die Beobachtung von Demonstrationen durch die Polizei lehnen die Piraten ab.

Männliche, gebildete Protestwähler

Die Wähler der Partei sind überwiegend jung und gebildet. Nach einer Wähleranalyse für das ZDF wurde die Partei vor allem von unter 30-Jährigen gewählt, relativ stark vertreten war auch die Altersspanne zwischen 30 und 44. Besonders beliebt ist die Partei demnach bei jungen Männern. Der Bildungsstand der Piratenpartei-Wähler ist relativ hoch, überdurchschnittlich viele haben Abitur. Ihre Wähler kamen vor allem aus dem Lager der Grünen und der Linken, außerdem aus dem Spektrum der sonstigen Parteien.

Einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen zufolge verdankten die Piraten ihr sensationelles Abschneiden vor allem der Unzufriedenheit der Wähler mit den etablierten Parteien. Nur zehn Prozent hätten die Piraten wegen ihrer Inhalte gewählt.

Unterschiedliche Ausrichtungen

Bei der Erweiterung des Programms tat sich die Bundespartei im vergangenen Jahr ausgesprochen schwer. Auf einem Programmparteitag im November 2010 in Chemnitz unterlag der damalige Bundesvorsitzende Jens Seipenbusch einer Mehrheit der Mitglieder, die eine Perspektive für ein gesichertes Grundeinkommen für alle ins Programm aufnahm. Das „bestätigt diejenigen, die die Piraten als linksliberale Partei sehen“, hatte damals der Berliner Pirat Christopher Lauer gesagt.

Viele Piraten aber scheuen es, sich in das klassische Parteienspektrum einzuordnen, wobei es eine Art Nord-Süd-Gefälle gibt: Die Piraten in Süddeutschland wollen sich mehrheitlich auf die Kernthemen rund um die Internetfreiheit konzentrieren. In Berlin wie in anderen Bundesländern im Norden diskutieren die Piraten auch über ihre Haltung zu aktuellen Fragen von der Sozial- bis zur Außenpolitik.

Kommunikation über Soziales Netzwerk

Da die Partei kein Delegiertensystem kennt, sind alle an einem Parteitag teilnehmenden Mitglieder stimmberechtigt - was zu entsprechend langwierigen Diskussionen führt. Für die interne Debatte und Organisation nutzen die Piraten die Software LiquidFeedback, die eine Art Soziales Netzwerk für die Parteiarbeit ist und auch in anderen Parteien auf Interesse stößt. Bei den bisher vier Landtagswahlen 2011 kam die Partei auf Werte zwischen 1,4 (Sachsen-Anhalt) und 2,1 Prozent (Baden-Württemberg). Bei der Bundestagswahl 2009 waren es 2,0 Prozent.

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