Unterschiedliche Mentalitäten
Europa zaudert, Amerika drängelt. In den USA wächst der Unmut über das Krisenmanagement der Euro-Länder in der Schuldenkrise. US-Präsident Barack Obama bezeichnete die Schuldenkrise jenseits des Atlantiks jüngst als Gefahr für die Weltwirtschaft. Die USA, die genug eigene Probleme mit hohen Schulden und schwachem Wachstum haben, setzen auf ein milliardenschweres Konjunkturpaket.
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Obama schickte nun seinen Finanzminister Timothy Geithner ins polnische Wroclaw, um mit den Kollegen der Euro-Länder über Wege aus der Krise zu debattieren. Geithner wählte dort nicht nur diplomatische Worte, sondern rief Regierungen und Notenbanken öffentlich auf, das „Gerede über das Zerlegen der Institutionen des Euro“ zu vermeiden.
„Was von außen gesehen sehr schädlich ist, ist nicht die Spaltung über die Debatte auf breiterer Basis, über die Strategie, sondern der fortlaufende Konflikt zwischen Regierungen und der Zentralbank“, mahnte der US-Minister. Fachleute werten das als Alarmsignal. „Die USA wollen die Europäer wachrütteln, damit Griechenland nicht den Bach runtergeht“, sagt Michael Burda, amerikanischer Professor an der Berliner Humboldt-Universität.
„Ähnliche Folgen wie nach Lehman-Pleite“
Die US-Regierung könne sich zwar nicht anmaßen, den Europäern vorzuschreiben, wie sie weitermachen sollten, sagt Burda. Aber es sei im ureigenen Interesse der Regierung in Washington, dass die Weltwirtschaft und das internationale Finanzsystem keinen weiteren Schaden nehmen. „Sie wissen, dass es zu ähnlichen Folgen kommen könnte wie nach der Lehman-Pleite, wenn man die Lage in Griechenland nicht ernst nimmt“, betont der Ökonom. Griechenland kann einen Staatsbankrott nur mit Hilfe seiner Euro-Partner abwenden. Die Regierung in Athen steht aber in der Kritik, seine Sparzusagen als Gegenleistung für Milliardenkredite nicht einzuhalten.
Deutschlands Inflationstrauma
Dass Amerikaner und Europäer anders mit Krisen umgehen, verwundert nicht. Obama will die maue Wirtschaft in der Heimat mit einem 450 Milliarden Dollar schweren Konjunkturpaket flottmachen. Euro-Gruppe-Chef Jean-Claude Juncker sieht dafür im gemeinsamen Währungsraum keinen Spielraum. Burda zufolge haben die Amerikaner seit mehr als 20 Jahren über ihre Verhältnisse gelebt. Das zeige die hohe Verschuldung der privaten Haushalte. „Sie werden das wieder hinkriegen, dafür aber mehr Inflation in Kauf nehmen.“
Genau das ist in Deutschland vollkommen verpönt. Denn die Inflation von 1914 bis 1923 war eine der schwersten in der modernen Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Auslöser war die massive Ausweitung der Geldmenge, um die zur Finanzierung des Ersten Weltkrieges aufgenommenen Staatsschulden zu entwerten. Den Höhepunkt erreichte die Hyperinflation Ende 1923 mit einem Kurs von 4,2 Billionen Mark für einen Dollar.
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble und sein Vorgänger Peer Steinbrück wurden in den jüngsten Krisenjahren nicht müde, ihren US-Partnern zu erläutern, dass diese traumatische Erfahrung noch immer tief eingegraben sei im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. „Das gehört zum deutschen politischen Genom“, sagte kürzlich ein Regierungsmitglied zu Reuters. Eine lockere Geldpolitik und exzessive Staatsausgaben zerstörten das Vertrauen der Deutschen in die wirtschaftliche Entwicklung und reizten sie zum Sparen.
Für moderate Konsolidierung
Schäuble plädiert für einen moderaten Kurs zur Konsolidierung der Staatsfinanzen, der die Konjunktur nicht abwürgt. Eine von der US-Regierung geforderte Schuldenpolitik für mehr Wachstum, die vorübergehend Inflation in Kauf nimmt, ist mit Deutschland deshalb nicht zu machen. Ein weiteres Argument gegen den US-Kurs ist die Demografie. Die deutsche Bevölkerung schrumpft - je nach Prognose - von 82 Millionen bis 2050 auf 60 bis gut 70 Millionen: Immer weniger Menschen haben also immer mehr Schulden zu tragen. Für die USA wird dagegen ein Bevölkerungsanstieg von 305 auf rund 440 Millionen erwartet.
Klaus Lauer und Matthias Sobolewski, Reuters
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