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Astronomen als unfreiwillige Beschützer

In den 13.000 Quadratmeilen (33.700 Quadratkilometer) rund um das 143-Einwohner-Dorf Green Bank im US-Bundesstaat West Virginia gibt es vor allem zwei Dinge: riesige Teleskope und sehr, sehr viel Gegend. In letzter Zeit ist noch etwas Drittes dazugekommen, nämlich „Strahlenflüchtlinge“ aus den ganzen USA.

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Das Areal ist als „Quiet Zone“ („Ruhige Zone“, offiziell „National Radio Quiet Zone“) bekannt: Auf einer Fläche, die grob einem Drittel Österreichs entspricht, gibt es nicht den Hauch drahtloser Kommunikation und damit keine WiFi- und Handystrahlung. Dafür gibt es jede zweite Woche Anfragen nach Häusern in der strahlenfreien Zone, so ein örtlicher Immobilienhändler zuletzt gegenüber der britischen BBC.

Warnschild zu Sperrzone vor Radioteleskop

AP/Brian Farkas

Green Bank, West Virginia, USA

„Offene Pforte in den Kosmos“

Die „Quiet Zone“ ist das Hauptquartier der US-Astronomie und wurde durch US-Regierungsdekret im Jahr 1958 eingerichtet - ein Akt von bemerkenswertem Weitblick: Schon damals prophezeiten die US-Astronomen, dass elektromagnetische Strahlung in der Zukunft radikal zunehmen werde, und beanspruchten das von Bergen umgebene Gebiet als störungsfreie „offene Pforte in den Kosmos“ für ihre Forschungsarbeit.

Die Gegend beheimatet neben anderen Forschungseinrichtungen und militärischer Infrastruktur vor allem das berühmte Green-Bank-Teleskop. Mit seiner Reflektorfläche von über 7.800 Quadratmetern ist es das größte voll bewegliche Teleskop der Welt und auch das wichtigste „Ohr“ bei der Suche nach außerirdischem Leben. Damit die Teleskope Strahlungsmuster von Sternen ungestört auswerten können, brauchen sie absolute elektromagnetische Ruhe.

Aus dem Faraday’schen Käfig nach West Virginia

Sogar gewöhnliche Stromleitungen müssen in der „Quiet Zone“ mindestens 1,2 Meter unter der Erde verlegt werden. Radiostationen dürfen nicht in das Gebiet einstrahlen. Angestellte der Forschungseinrichtungen überwachen konstant mit Messgeräten und Richtantennen, ob die elektromagnetische Ruhe eingehalten wird, und spüren damit sogar einzelne schlecht isolierte Heizdecken als „Übeltäter“ auf, wie das US-Magazin „Wired“ einmal schilderte.

Für laut eigener Definition „Strahlengeschädigte“ ist die Gegend damit der ideale Zufluchtsort. Diane Schou etwa sagte gegenüber der BBC, sie habe zuvor das Leben einer Gefangenen geführt, da ihr jegliche elektromagnetische Strahlung „beim Denken wehtun“ würde. An ihrem bisherigen Wohnort in Iowa habe sie abgeschirmt in einem isolierenden Faraday’schen Käfig leben müssen. Nun vermisse sie zwar ihre Heimat, könne jedoch ein halbwegs normales Leben führen.

Haus vor Green Bank Teleskop

AP/Chris Dorst

Das Green-Bank-Teleskop mit einem Durchmesser von über 100 Metern

Eingebildete oder echte Beeinträchtigung?

Ob und inwieweit WiFi- und Handystrahlung zu gesundheitlicher Beeinträchtigung führen kann, ist inzwischen seit Jahrzehnten ein ebenso hitzig wie ergebnislos diskutiertes Thema. Neben Schou, die Kritikern wohl als Beispiel für eine belächelte „eingebildete Kranke“ dienen könnte, hat sich aber beispielsweise auch die Ex-Journalistin Nichols Fox in der Gegend angesiedelt, die sich als „ehemalige Ungläubige“ bezeichnet.

Sie habe die Möglichkeit, unter Strahlung leiden zu können, immer selbst als lächerlich abgetan, sagt Fox in dem BBC-Bericht - bis sie sich konsequent von ihrem Computer ferngehalten und überrascht den Unterschied festgestellt habe. In Green Bank lebt sie nun mit den anderen immer zahlreicheren Flüchtlingen ein Leben, in dem Licht von Öllampen kommt, mit Holz geheizt wird und selbst Kühlschränke mit Gas betrieben werden.

Neue Studie gibt „Strahlenopfern“ Auftrieb

Erst im September wurde im angesehenen „International Journal of Neuroscience“ eine Studie zum Thema veröffentlicht, deren Ergebnis sich nicht einfach vom Tisch wischen lässt. Dabei wurde eine 35-Jährige, die sich von Strahlung beeinträchtigt fühlt, eingehend getestet: Sie wurde dabei auch Strahlung ausgesetzt, ohne davon informiert zu sein. Umgekehrt wurde ihr erklärt, dass sie nun Strahlung ausgesetzt sei, ohne dass das stimmte. Und sie konnte mit statistisch nicht erklärbarer Genauigkeit feststellen, wann sie tatsächlich Strahlung ausgesetzt war.

Die neuen Einwohner von Green Bank verwundert es dabei ganz und gar nicht, dass für Menschen spürbar sein soll, was sogar riesige Teleskope aus dem Konzept bringen kann. So gab es etwa schon zweimal große Aufregung wegen vermeintlicher rätselhafter Signale aus dem All. Einmal waren es „illegal eingewanderte“ Eichhörnchen, die von Biologen mit Erkennungschips versehen worden waren. Ein anderes Mal war es eine musikalische Grußkarte, die jemand am Fuß des Teleskops öffnete.

Lukas Zimmer, ORF.at

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