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Demonstranten wollen härtere Linie

Vor einem Jahr noch waren Proteste vor der israelischen Botschaft in Kairo undenkbar. Zu groß war die Angst vor den Sicherheitskräften des ägyptischen Regimes. Doch nach dem Ende der dreißigjährigen Ära von Präsident Hosni Mubarak wollen viele eine Neudefinition der Beziehung mit Israel. Seit Wochen wird in Kairo vor der israelischen Botschaft protestiert.

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Die Demonstranten verlangen die Ausweisung des israelischen Botschafters. Auch der ägyptische Missionschef soll aus Tel Aviv abberufen werden. Die Demonstranten machen ihrem Ärger über die „beschämende“ Reaktion der Militärführung auf die israelische Grenzverletzungen auf der Halbinsel Sinai Luft.

„Die Ägypter erwarten mehr von der Führung des Landes, vor allem weil wir gerade eine Revolution hinter uns haben, in der unsere Hauptforderungen Freiheit und Würde waren“, sagte der Aktivist Wissam Atta Ali. Die Sicherheitskräfte lassen die Demonstranten gewähren. Vor der Revolution wäre das unmöglich gewesen. Niemand wagte sich an das von Stacheldraht geschützte Botschaftsgebäude, aus Angst, ins Visier der gefürchteten Sicherheitsdienste zu geraten.

Tödlicher Grenzzwischenfall

Am 19. August wurden bei israelischen Angriffen auf militante Palästinenser nahe der Grenze mit Ägypten fünf ägyptische Polizisten getötet. Nach israelischen Angaben waren die Kämpfer aus dem Gazastreifen über die Sinai-Halbinsel nach Israel gelangt. Dort hatten sie einen Anschlag im israelischen Badeort Eilat mit mehreren Todesopfern verübt. Israelische Einsatzkräfte schossen wenige Stunden später auf militante Palästinenser am Grenzübergang Taba, dabei wurden fünf ägyptische Grenzsoldaten getötet. Israel hat sich mittlerweile offiziell bei Ägypten entschuldigt.

Israel hat die Verschlechterung der Sicherheitssituation auf der Halbinsel nach Mubaraks Sturz im Februar mehrfach kritisiert. Verteidigungsminister Ehud Barak drückte sein Bedauern über die Toten aus, für Kairo war diese Entschuldigung jedoch nicht ausreichend. Eine gemeinsame Untersuchung soll helfen, eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Mubarak „mit Israel kollaboriert“

Der Grenzkonflikt lenkte das Augenmerk der ägyptischen Öffentlichkeit auf den israelisch-ägyptischen Camp-David-Friedensvertrag von 1979. Vielen Ägyptern ist der Separatfrieden ein Dorn im Auge: Nach dem Ende der Ära Mubarak solle das Verhältnis mit Israel „neu überdacht werden“, meinte einer der Demonstranten, Dschihad al-Sawarki. „Die ägyptische Grenze und Souveränität wurden unter Mubarak oft angegriffen“, meinte die Aktivistin Jasmin al-Gajuschi. Aber Mubarak habe nicht nur nicht reagiert, sondern sogar mit Israel „kollaboriert“, zum Beispiel während der israelischen Angriffe auf Gaza von Dezember 2008 bis Jänner 2009, als der Grenzposten in Rafah geschlossen blieb, sagte sie.

Die ägyptische Bevölkerung wurde beim Frieden mit Israel vor vollendete Tatsachen gestellt, lautet eine weit verbreitete Kritik. „Das Parlament hat den Friedensvertrag gerade einmal fünf Stunden diskutiert, und es gab kein Referendum“, sagte Gajuschi. Israel fürchtet nach einem möglichen Wahlerfolg der nun wieder erlaubten Muslimbruderschaft eine neue Regierung in Kairo, die dem jüdischen Staat nicht wohlgesonnen sein könnte. Keine Regierung werde den Friedensvertrag beenden, solange auch Israel seine Verpflichtungen einhalte, meinte jedoch Mohammed Bassiuni, früherer ägyptischer Botschafter in Israel.

Nur 750 Grenzpolizisten

Gemäß dem Vertrag sind an der 266 Kilometer langen Grenze in der demilitarisierten Sinai-Halbinsel nur 750 Grenzpolizisten erlaubt. Nach dem Abzug Israels aus dem palästinensischen Gazastreifen im Jahr 2005 wollte Ägypten diese Zahl auf 3.500 erhöhen, das wurde jedoch von Israel aufgrund von Sicherheitsbedenken abgelehnt. Erst 2009 lenkte Israel ein. Viele Ägypter wollen den Friedensvertrag irgendwann auflösen, sagten die Aktivisten. Zumindest die Klauseln über die Sicherheit auf dem Sinai sollen überarbeitet werden. „Es läuft etwas sehr falsch, wenn die Armee in der Hauptstadt ist und die Polizei an der Grenze“, meinte einer der Demonstranten.

Christine Bro/dpa

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