Das Scheitern einer Utopie
Nach den Kinoproduktionen „Die Vaterlosen“ und „Sommer in Orange“ ist die Kommune im Theater angekommen: Das Akademietheater hat am Samstag die Saison mit der Uraufführung eines gleichnamigen Stückes von Dogma-Regisseur Thomas Vinterberg eröffnet, das sich zwar klischeebeladen, aber gleichzeitig sympathisch und heiter dem Scheitern einer Utopie hingibt.
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Erek (Joachim Meyerhoff) und Anna (Regina Fritsch) haben ein großes Haus und wollen darin nicht alleine wohnen. Nur „Mitbewohner“ zu suchen haben die beiden deshalb aber auch nicht vor: Die Villa, die sie von Ereks Spießervater geerbt haben, soll zum Heim einer Kommune werden, in der sich alles Bürgerlich-Konservative von selbst ausschließt.
Jeder zahlt aliquot zum Gehalt Miete, alles gehört jedem und ein lockerer Umgang mit der Sexualität ist Teil des Deals, aber keineswegs verpflichtend. „Sexwillige, tolerante, nackte, kluge, politisch aktive Menschen“ wären der Alptraum von Ereks Vater - und genau deshalb die Idealvorstellung des Sohnes. In der Theorie so einfach und möglicherweise verlockend, erweist sich die Praxis der Kommune als viel komplizierter.

Burgtheater/Georg Soulek
Anna (Regina Fritsch), Erek (Joachim Meyerhoff) und Ole (Tilo Nest) träumen von der perfekten Kommune, voll mit „offenen Menschen, die ein gutes Karma ausstrahlen“
Ein Haufen von liebenswerten Träumern
Denn die Kommune die sich rund um Erek, Anna und ihre Tochter Freja (Elisa Plüss) zusammenfindet, ist ein Haufen von liebenswerten Träumern: Alkoholiker Ole (Tilo Nest), der herumliegende Gegenstände zum Leidwesen der Gemeinschaft gnadenlos verbrennt, die naive und nymphomanische Mona (Dorothee Hartinger), Franzose Virgil (Fabian Krüger) und das politisch total korrekte Paar Ditte (Alexandra Henkel) und Steffen (Dietmar König).
Doch mit Friede, Freude, Eierkuchen - und vor allem mit basisdemokratischer „Wir entscheiden per Mehrheitsbeschluss“-Harmonie - ist es schnell vorbei, als Erek sich nicht nur in die wesentlich jüngere Emma (Adina Vetter) verliebt, sondern sie auch gleich in die Kommune aufnehmen will. Gut findet das im Haus zwar sonst keiner, aber man ist ja auch aufgeschlossen, und im Zweifel kümmert man sich dann doch lieber um sich selbst als um die an der Situation zerbrechende Anna.

Burgtheater/Georg Soulek
Die Kommune als Gegenentwurf zur bürgerlichen Kleinfamilie
Der Sieg der bürgerlichen Kleinfamilie
Selbst als Kind in einer Kommune aufgewachsen, zeigt Vinterberg in seiner Produktion exemplarisch das Scheitern von in den 1970er-Jahren gehypten experimentellen Wohn- beziehungsweise Lebensformen. Gesiegt habe damals - so der Regisseur und Autor im Ö1-Interview - dann doch die bürgerliche Kleinfamilie.
In seiner „Kommune“ dient die liberale Basisdemokratie und scheinbare Gleichberechtigung vor allem einem Zweck: Jeder will so wenig Verantwortung tragen wie möglich. Und weil doch jemand Entscheidungen treffen muss, schiebt man die der 15-jährigen Freja zu. Damit spannt Vinterberg den Bogen weiter und landet beim Thema Scheidungskinder und Patchworkfamilie.

Burgtheater/Georg Soulek
Im Hausparlament wird per Mehrheitsbeschluss abgestimmt, außer Kommunen-„Boss“ Erek hat eigene Pläne
Alltägliche Konflikte
Vinterbergs berühmter (und in deutschsprachigen Theatern dutzendfach nachgespielter) Film „Das Fest“ sowie auch seine letztjährige Burgtheater-Produktion „Das Begräbnis“ thematisierten Kindesmissbrauch innerhalb der Familie. Vergleichsweise leichter Stoff - vielleicht auch, weil so alltäglich - sind die Konflikte zwischen den Kommunarden in der aktuellen Produktion, die der Regisseur gemeinsam mit seinem langjährigen Koautor Mogens Rukov selbst verfasst hat. Man muss nicht in einer Kommune gelebt oder nackt Klavier gespielt haben (wie Tilo Nest als Alkoholiker-Kommunarde), um sich oder seine Kindheit in der einen oder anderen Situation des Stücks wiederzuerkennen.
Hinweis
„Die Kommune“ von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov, seit Samstag im Akademietheater, Weitere Vorstellungen am 12., 19. und 25. September sowie am 3., 4. und 12. Oktober jeweils um 19.30 Uhr.
Tosender Applaus für Ensemble und Regie
Vinterberg, der zusammen mit Lars von Trier die Dogma-95-Bewegung begründete, die Regeln zur vereinfachten und reineren Produktion von Filmen etablieren sollte, bevorzugt auch im Theater eine direkte und klare Sprache. Das filmische Konzept jedoch, das noch in seiner ersten Theaterarbeit deutlich zu erkennen war, hat er dieses Mal verworfen. Im Zentrum stehen die Schauspieler, deren Spielfreude am Premierenabend für permanente (positive) Publikumsreaktionen und am Ende der Vorstellung für wohlverdienten tosenden Applaus sorgten.
Sophia Felbermair, ORF.at
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