Der Geist des „Teen Spirit“
Sie hat die Musikwelt verändert und die 1980er Jahre weggeblasen: die Platte „Nevermind“ von Nirvana, die vor 20 Jahren in den Handel kam. Haarspray-Rockbands und belanglose Popacts sahen sich plötzlich mit vertonter Wut, Depression und Selbstzweifeln konfrontiert. Und für die Plattenindustrie sollte „Nevermind“ zum Wendepunkt werden.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Nirvana verband harten Rock mit Punk und durchaus poppige Ansätze mit düsteren Klängen. Mit dem Grunge hielt eine neue Stilrichtung Einzug in die Charts. Drei Jahre später beendete Nirvana-Sänger Kurt Cobain mit einem Schuss in den Kopf sein Leben - und das seiner Band.
Nirvana wurde 1987 von Cobain und Krist Novoselic (Bass) in Aberdeen im US-Staat Washington gegründet. „Bleach“ hieß die erste LP (1989), ein hartes und sprödes Album zwischen Punk und Industrial Rock, erschienen auf dem Undergroudlabel Sub Pop, das gemeinsam mit Nirvana plötzlich im Zentrum der Musikwelt stehen sollte. Auftritten mit wechselnden Schlagzeugern folgte der Wechsel zur Plattenfirma Geffen. Der Konzern spekulierte vor Veröffentlichung von „Nevermind“ mit 250.000 verkauften Tonträgern - 30 Millionen sollten es bis heute werden.
Revolution an der Chartspitze
Mit Dave Grohl an den Drums und mit Butch Vig als Produzent gelang dem Trio der Durchbruch: Die Single „Smells Like Teen Spirit“ trat im Herbst 1991 ihren Siegeszug an. Als im November 1991 Nirvana „Nevermind“ in der ausverkauften Wiener Arena auch dem österreichischen Pulikum präsentierten, war absehbar, dass das Trio große Erfolge feiern würde. Dass „Nevermind“ zum vielleicht einflussreichsten Album der Dekade wird, ahnten aber nur wenige. Erst vor kurzem wurde auf YouTube das gesamte Wiener Konzert von damals online gestellt.
„Ich muss immer lachen, wenn ich an die Journalisten denke, die ‚Nevermind‘ beim Erscheinen niedergemacht haben“, sagte Novoselic später in einem Interview. „Heute sagen sie alle, dass sie das Album von Anfang an gemocht haben.“ Die davor üblichen Texte über Sex, Drogen und Rock’ n’ Roll wichen Angstthemen, Verweigerung war wichtiger als Stargehabe. Allerdings blieben die Drogen.
Aufstieg trotzt Verweigerung
Ebenfalls 1991 prägte Douglas Coupland in seinem gleichnamigen Buch den Begriff der „Generation X“, die erste Generation seit Kriegsende, bei der sich das Versprechen eines ökonomischen Aufstiegs nicht mehr einzulösen schien. Cobain und Nirvana wurden zu den „Posterboys“ dieser resignierenden Generation - eine Rolle, mit der sich Cobain immer weniger zurechtfand.
Eine Anfrage von U2, auf deren Welttournee die Vorband zu geben, schmetterten Nirvana mit vier Worten per Fax ab: „Corporate rock still sucks“, lautete die kurze Verweigerung, im großen Popbusiness mitspielen zu wollen. Der Erfolg kam dennoch. Aus der Provinzstadt Seattle wurde plötzlich das Zentrum der Rockwelt, Holzfällerhemden der Stilcode in aller Welt.
Das schwimmende Baby
Das mitunter brachiale Rockalbum „Nevermind“ mit dem ikonischen Cover - ein Baby, das einer Dollar-Note nachschwimmt - schaffte es, die Grenzen zum Mainstream einzureißen. „Smells Like Teen Spirit“ wurde - auch mit kräftiger Mithilfe von MTV - zur trotzigen Hymne einer ganzen Generation. „Come As You Are“ klang trotz seiner Wurzeln im Underground nicht weniger eingängig. Das brutale „Territorial Pissings“ war dagegen purer Punk, „Polly“ akustisch und düster, „Something In The Way“ punktete mit einem rauen Cello.
Die Erfindung des Alternative Rock
Wenige Jahre zuvor hätte die Plattenindustrie „Nevermind“ wohl als zu sperrig und nicht verkäuflich abgelehnt. Die Veröffentlichung markiert eine Wende in der Popindustrie: Nicht mehr das Glatte, sondern das Kompromisslose und Abweichende wurde zum Verkaufsschlager.
Der vorgeblich authentische Underground wurde zum neuen Mainstream, die Rebellion salonfähig. Mit den Erfolgen von Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden bekamen in der Folge fast alle, die eine Gitarre halten und böse schauen konnten, einen Plattenvertrag. Die Sparte Alternative Rock sollte in den folgenden Jahren zu den letzten Wachstumsbereichen der Musikindustrie werden. Nicht zuletzt die Kultur der Rockfestivals mit Zehntausenden Besuchern wäre ohne diesen grundlegenden Wandel nicht denkbar.
Das Ende des Grunge-Hypes
Als „zu poliert“ urteilte Cobain später die Produktion ab. Das Nachfolgealblum „In Utero“ klang dann auch deutlich kantiger. In „Rape Me“, das die Akkordfolge von „Smells Like Teen Spirit“ zitiert, sang er gegen den Erfolg an. Die Single-B-Seite „I Hate Myself and Want to Die“ sprach eine noch deutlichere Sprache.
Cobain zerbrach an der plötzlichen kommerziellen Vereinnahmung seiner Hoffnungslosigkeit. Abgerutscht in den Drogensumpf, setzte er sich am 5. April 1994 die Schrotflinte an den Kopf. Nur wenige Gruppen überlebten den Grunge-Hype. So etwa Pearl Jam, die irgendwann die Balance zwischen Unabhängigkeit und Erwartungsdruck finden konnten. Doch mit „Nevermind“ haben Nirvana eine Revolution in den Charts ausgelöst und einen Klassiker der Popgeschichte geschaffen.
Zum Jahrestag - „Nevermind“ kam am 24. September 1991 erstmals in den Handel - bringt Universal mehrere Neuauflagen heraus. So gibt es das Originalalbum remastert - als Doppel-CD mit Studio- und Liveraritäten und als Set mit vier Vinylplatten. Eine „Super Deluxe Version“ enthält vier CDs und eine DVD sowie ein Poster und ein Buch.
Links: