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Streit über politische Verantwortung

Andreas Khol, ÖVP-Klubobmann und Nationalratspräsident unter Schwarz-Blau-Orange, hat Wolfgang Schüssel auch nach dessen politischen Rückzug den Rücken gestärkt. Der Telekom-Skandal sei in erster Linie der Skandal eines Unternehmens, sagte der nunmehrige Seniorenbund-Obmann bei einem „Runden Tisch“ des ORF Montagabend. Seine Gesprächspartner sahen das ein wenig anders - wie auch Kommentatoren der Tageszeitungen.

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Khol - selbst als „Wendearchitekt“ von Schwarz-Blau bezeichnet - sieht hinter Beschuldigungen, Schüssel trage politische Verantwortung für den Skandal, eine „Jagdgesellschaft“, welche die ehemalige Koalition „bis ins Grab“ verfolgen wolle. Schüssels Rücktritt sei souverän erfolgt - „in Österreich ist die Rücktrittskultur eher unterentwickelt“.

Befreiungsschlag nicht geglückt?

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier meinte, der Befreiungsschlag versuche einen Schlussstrich zu ziehen, das werde aber wohl nicht gelingen. Die Symbolwirkung von Schüssels Rücktritt vom Nationalrat sei egal, er sei in den Augen der Bevölkerung weiterhin der ehemalige Bundeskanzler. Persönliche Verfehlungen seien Schüssel nie vorgeworfen worden, sondern politische Entscheidungen. Und auch in der Ära Schüssel sei das Image einer „Republik der Skandale“ geschaffen worden. Das Kommunikationsdesaster der ÖVP illustriere auch, dass es die FPÖ schaffe, sich als Aufklärer zu positionieren, obwohl man damals in der Regierung war.

Khol: Zuerst juristische Aufklärung

Dass der „Ehrenmann“ Schüssel jetzt zurücktritt, habe er souverän entschieden, so Khol - bevor es noch Rücktrittsaufforderungen der „Jagdgesellschaft gegen Schwarz-Blau“ gegeben habe. Die Telekom habe das Land mit einem „organisierten System der Korruption überzogen“.

Runder Tisch mit Moderatorin Ingrid Thurnher, mit dem Präsidenten des ÖVP-Seniorenbundes, Andreas Khol, den Journalisten Anneliese Rohrer und Andreas Koller sowie dem Politikwissenschaftler Peter Filzmaier

ORF

Heftige Debatten am „Runden Tisch“ mit Ingrid Thurnher

Schüssel wolle, dass die Justiz in Ruhe arbeiten kann. Weder bei der BUWOG-Affäre noch bei den Eurofightern habe man etwas ahnen können - und auch nach jahrelanger Untersuchung gebe es keinen Strafakt und keine Verurteilungen. Khol pochte in seiner Verteidigung Schüssels darauf, zuerst die juristischen Aspekte der Affären zu klären und dann erst politische Verantwortung zu suchen.

„Kardinalfehler“ der Vergangenheit

Dem widersprachen die Journalisten in der Runde vehement: Die Kardinalfehler Schüssels machte Andreas Koller von den „Salzburger Nachrichten“ schon Jahre zurückliegend aus. Mit der FPÖ habe man das „korrupte System Haider“ in die Regierung geholt. Und der zweite Fehler sei die Homepage-Affäre des damaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser gewesen: „Da habe man gemerkt, was in der Regierung möglich ist“, so Koller.

Die ÖVP hätte die Chance, die Affären restlos aufzuklären und Parteifinanzierung transparenter zu machen. Wenn die Volkspartei weiter so mauert, werde ihr das sehr schaden. sagte Koller.

Sorge um Glaubwürdigkeit der Politik

Die ÖVP schaffe es nicht zu sagen, „da ist uns was passiert“, so die Journalistin Anneliese Rohrer. Alles werde schöngeredet. Auch beim Rücktritt Schüssels vermisste Rohrer eine Entschuldigung, etwas übersehen zu haben. Es gehe um die Glaubwürdigkeit der Menschen in die Politik, und diese habe wieder einen Schaden genommen. Schüssel habe nur wieder dementiert, dass etwas unter seiner Kanzlerschaft passiert sei.

Ähnlich äußerte sich Charles Ritterbrand von der „Neue Zürcher Zeitung“ in der ZIB2: „Politikverdruss“ und „schwache Gestalten an der Regierung“ seien die Folgen der Ära Schüssel: Es scheine so, „als ob Schwarz-Blau der Bevölkerung den Appetit an der Politik verdorben hätte“.

Nur eine Verschnaufpause?

Auch der Politologe Thomas Hofer meint gegenüber der APA, Schüssel habe Spindelegger damit geholfen, die Probleme mit der Telekom-Affäre seien dadurch aber noch nicht gelöst. Der Rücktritt sei Schüssels Karriere jedenfalls „nicht angemessen“ gewesen, so Hofer.

„Aus Sicht der ÖVP war das der ‚Last Exit‘, aus Schüssels Sicht war es schon zu spät, weil eine mehr als 30-jährige, schillernde Politkarriere zu Ende gegangen ist, wie man es sich nicht wünschen kann“, sagte der Politologe. Der frühere ÖVP-Obmann sei bereits stark in der Defensive gewesen, der ideale Zeitpunkt für den Abgang sei das heute sicher nicht gewesen.

Der heutigen Parteiführung werde es dadurch leichter gemacht, sich zu distanzieren, und der Partei wurde dadurch eine „Verschnaufpause“ verschafft. „Es löst aber nicht die Affäre, und die Attacken werden auch nicht geringer werden“, so Hofer. „Man hat nur eine Front geschlossen.“ Die Affäre werde noch weitere Kreise ziehen, zeigte sich der Politologe überzeugt.

Mehrheit glaubt an Mitwisserschaft Schüssels

Einer OGM-Umfrage für den „Kurier“ (Dienstag-Ausgabe) zufolge glauben 46 Prozent der Österreicher, dass Schüssel für die Affären unter Schwarz-Blau verantwortlich ist. 44 Prozent glauben auch, dass der Ex-Kanzler von den Vorgängen etwas gewusst hat. 30 Prozent verneinen beide Fragen, rund ein Viertel hat dazu keine Meinung. Laut OGM-Chef Wolfgang Bachmayer glauben sogar 37 Prozent der ÖVP-Wähler an eine Mitwisserschaft Schüssels.

Zu später Rücktritt?

Ein zwiespältiges Resümee ziehen auch die Kommentatoren der Tageszeitungen: „Mit seinem Rücktritt verhinderte er für sich, in den kommenden Parlamentssitzungen als willfährige Zielscheibe herhalten zu müssen“, schreibt die „Tiroler Tageszeitung“: „Denn der Fall Telekom hat nach den schon sattsam bekannten Affären seiner Kanzlerjahre das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Zudem versuchte er noch einmal die Rolle des Parteisoldaten, um dem neuen Parteichef Michael Spindelegger ein wenig zu helfen.“

Von einem „letzten Dienst an der Partei“ ist auch in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ die Rede. „Mancher in der ÖVP fragt sich, warum Schüssel nicht schon vor dem Sommer ging. Er hätte sich und der Partei viel erspart“, heißt es dort weiter.

„Schüssels größter Fehler war es, 2003 noch einmal Schwarz-Blau zu wagen, wider besseres Wissen. Wäre er über seinen Schatten gesprungen und hätte eine schwarz-grüne Koalition gebildet, sähe seine persönliche Bilanz und die der ÖVP heute besser aus“, heißt es im „Kurier“.

Kantige Politik, Ende der „Wende“

Zu einem ähnlichen Schluss kommt die „Presse“, wenn auch mit einem deutlich schmeichelhafteren Bilanz des Ex-Kanzlers. Er bleibe „unbestritten der wichtigste ÖVP-Obmann der vergangenen Jahrzehnte“. In den vergangenen beiden Jahren erst „musste der ehemalige Bundeskanzler zuschauen und offenbar erst erfahren, dass sein politisches Lebenswerk von orange-blauen No-Names, aber auch aus den eigenen Reihen ramponiert worden war“, heißt es weiter.

Das „endgültige Scheitern der Wende“, konstatiert der „Standard“: Seine Ära werde „als skurrile Episode in die politische Geschichtsschreibung eingehen“, als eine Zeit, „in der seltsame freiheitliche Figuren eine Regierung darstellen durften“ und in der „Verdachtsfälle ihren Ausgang nahmen, die sich zu ungeheuerlichen Korruptionsfällen ausbreiten“. Allerdings sei für „manche Vorhaben“ wie Pensionsreformen und Pläne zur Budgetsanierung Schüssel Anerkennung zu zollen. Wie die „Presse“ ebenfalls ausführt, sieht auch der „Standard“ aber im Vergleich zu heute eine kantige Politik der Ära Schüssel: „Was danach kam, zeichnet sich aber durch glattgebürsteten Mainstream aus, durch Ideen- und Mutlosigkeit.“

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