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Zweifel an erfolgreichem „Schlussstrich“

Naturgemäß höchst unterschiedliche Reaktionen hat der Rückzug des ehemaligen Bundeskanzlers und ÖVP-Chefs Wolfgang Schüssel nach den Enthüllungen in der Telekom-Affäre ausgelöst. ÖVP-Obmann Michael Spindelegger zollte Schüssel Respekt für die Entscheidung. Für die Grünen ist der Rücktritt ein „längst überfälliger“ Schritt, für die FPÖ ein „indirektes Schuldeingeständnis“. Das BZÖ drängt auf einen U-Ausschuss, und mit Schüssel als Zeuge dort rechnet auch die SPÖ mit einem Wiedersehen.

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Spindelegger sieht einen „konsequenten Schritt“ des früheren ÖVP-Obmanns. Die Volkspartei und Österreich seien ihm zu großem Dank verpflichtet, hätten doch viele jener Reformen, die Schüssel - teils gegen heftige Widerstände - durchgesetzt habe, Österreich nachhaltig modernisiert und wettbewerbsfähiger gemacht. Diese Vorgangsweise benötige einiges an Mut.

„Großer Respekt“ aus der ÖVP

„Großen Respekt“ zollt auch ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf, nachdem der Ex-Kanzler ihm seinen Rückzug aus dem Nationalrat angekündigt hatte. Denn Schüssel sei einer „Schmutzkübelkampagne“ ausgesetzt gewesen. Die „Vernaderungen“ der letzten Tage und Wochen im Zuge der Telekom-Affäre bezeichnete Kopf als „ein durchsichtiges Manöver, die Reformpolitik der Regierungen unter Wolfgang Schüssel zu diskreditieren, um eine Regierungsbeteiligung der SPÖ auf alle Zeiten abzusichern“. Dass Schüssel nun gehe, sei eine für alle im ÖVP-Klub „sehr schmerzhafte Entscheidung“.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sagte, der Schritt sei zu respektieren und verwies auf die Verdienste Schüssels für den Wirtschaftsstandort Österreich: „Schüssel hatte den Mut und Ehrgeiz, notwendige Reformen anzupacken und umzusetzen.“

FPÖ sieht indirektes Schuldeingeständnis

Die SPÖ rechnet damit, Schüssel als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss wiederzusehen. Das erklärte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter. „Eine endgültige Beurteilung der persönlichen Integrität Schüssels wird maßgeblich von den Erkenntnissen der Untersuchung der politischen Verantwortung für die Skandale von Eurofighter über BUWOG bis Telekom abhängen“, so Kräuter.

Als „indirektes Schuldeingeständnis“ wertete FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky die Rücktrittsankündigung Schüssels. Vilimsky erinnerte daran, dass die „Knittelfelder Funktionärsversammlung“ 2002 ein Aufstand „gegen die Verschüsselung der damaligen FPÖ-Spitze“ gewesen sei. Drei Jahre später habe sich der „Schüsselsche Ungeist“ dann endgültig ins BZÖ verabschiedet. Die FPÖ unter Heinz-Christian Strache habe sich erfolgreich davon befreit, befand Vilimsky.

Für Grüne „längst überfälliger“ Schritt

Aus Sicht der Grünen ist Schüssels Rücktrittsankündigung ein „längst überfälliger, aber nur erster Schritt“. Bundessprecherin Eva Glawischnig sagte: „Die politische Verantwortung unter Schwarz-Blau kann er nicht ablegen. Vorwürfe insbesondere gegen Karl-Heinz Grasser gab es ja schon sehr früh, und hier hat er über Jahre hinweg weggeschaut.“ Wichtig sei nun, dass die ÖVP ihre „Blockadehaltung“ aufgebe und eine schonungslose Aufklärung ermögliche, so die Grünen-Chefin.

Die Grünen pochen auch weiterhin auf eine Sondersitzung des Nationalrats unter dem Titel „schwarz-blauer Korruptionssumpf“. Das BZÖ will den Antrag unterstützen, die FPÖ stößt sich am Namen - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Für BZÖ-Obmann Josef Bucher ist Schüssels Rückzug zu respektieren, hinterlässt aber einen schalen Beigeschmack. „Was steckt dahinter, dass der letzte ÖVP-Kanzler so blitzartig seine politische Karriere beendet?“, fragte sich der BZÖ-Chef. Behauptete Verwicklungen von Schüssel und der ÖVP in die Causa Telekom würden deshalb von der Justiz und in einem notwendigen Untersuchungsausschuss zu klären sein.

Schüssel will Aufklärung erleichtern

Schüssel will seinen Rückzug freilich nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen, er wolle jedoch die Aufklärung durch die Justiz „erleichtern“. Bis zur Pressekonferenz Montagvormittag, auf der er seine Mandatszurücklegung mit Ende der Woche bekanntgab, hatte sich Schüssel nicht zur Causa geäußert.

Druck seitens der Partei für diesen Schritt habe es „nie“ gegeben. Stattdessen begründete Schüssel seinen Rücktritt damit, dass er dazu beitragen wolle, „eine objektive, eine von jeder politischen Beeinflussung oder medialen Vorverurteilung unabhängige Aufklärung durch die Justiz zu erleichtern“. Es sei aber „sachlich ungerecht“, die ÖVP als Ganzes mit den Vorwürfen in Zusammenhang zu bringen.

Der Ex-Kanzler fügte aber auch hinzu, dass niemand ausschließen könne, dass sein Vertrauen von Einzelnen getäuscht oder missbraucht worden sei: „Niemand würde dies mehr bedauern als ich selbst.“ Darum gelte es, „umgehend und vollinhaltlich Klarheit zu schaffen“ - Video dazu in iptv.ORF.at.

Mehrheit glaubt an Mitwisserschaft Schüssels

Einer OGM-Umfrage für den „Kurier“ (Dienstag-Ausgabe) zufolge glauben 46 Prozent der Österreicher, dass Schüssel für die Affären unter Schwarz-Blau verantwortlich ist. 44 Prozent glauben auch, dass der Ex-Kanzler von den Vorgängen etwas gewusst hat. 30 Prozent verneinen beide Fragen, rund ein Viertel hat dazu keine Meinung. Laut OGM-Chef Wolfgang Bachmayer glauben sogar 37 Prozent der ÖVP-Wähler an eine Mitwisserschaft Schüssels.

Der Politologe Peter Filzmaier verweist im „Standard“ (Onlineausgabe) darauf, dass es keinerlei Beleg gebe, dass Schüssel in die Telekom-Affäre verwickelt gewesen sei. Doch aus politischer Sicht müsse er sich den Vorwurf der indirekten Mitschuld jedoch schon gefallen lassen. Filzmaier sieht Schüssels Schritt als „Versuch des Schlussstrichs und Befreiungsschlags als letzter Dienst für seine Partei, jedoch mit geringer Erfolgschance“.

Nicht mehr der ideale Zeitpunkt

Auch der Politologe Thomas Hofer meint, Schüssel habe Spindelegger damit geholfen, die Probleme mit der Telekom-Affäre seien dadurch aber noch nicht gelöst. Der Rücktritt sei Schüssels Karriere jedenfalls „nicht angemessen“ gewesen, so Hofer.

„Aus Sicht der ÖVP war das der ‚Last Exit‘, aus Schüssels Sicht war es schon zu spät, weil eine mehr als 30-jährige, schillernde Politkarriere zu Ende gegangen ist, wie man es sich nicht wünschen kann“, sagte der Politologe. Der frühere ÖVP-Obmann sei bereits stark in der Defensive gewesen, der ideale Zeitpunkt für den Abgang sei das heute sicher nicht gewesen.

Nur eine Verschnaufpause?

Der heutigen Parteiführung werde es dadurch leichter gemacht, sich zu distanzieren, und der Partei wurde dadurch eine „Verschnaufpause“ verschafft. „Es löst aber nicht die Affäre, und die Attacken werden auch nicht geringer werden“, so Hofer. „Man hat nur eine Front geschlossen.“ Die Affäre werde noch weitere Kreise ziehen, zeigte sich der Politologe überzeugt.

TV-Hinweis

ORF2 widmet Schüssels Rückzug um 22.25 Uhr einen „Runden Tisch“. Mit Moderatorin Ingrid Thurnher diskutieren der Präsident des ÖVP-Seniorenbund, Andreas Khol, die Journalisten Anneliese Rohrer und Andreas Koller sowie der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier „Die Ära Schüssel - Wendejahre im Zwielicht“.

Nun stehe die Aufklärung im Vordergrund, und so werde man sich einem Untersuchungsausschuss nicht verschließen können, glaubt Hofer. Das allein schon deshalb, um das politische Vertrauen - das „dermaßen angeknackst“ sei - wieder zu stärken. Hofer könnte sich eine Aufarbeitung vorstellen, die über einen U-Ausschuss hinausgeht, schließlich handle es sich um eine der schwersten Krisen: „Die Dimension ist größer als ein U-Ausschuss.“ Die gesamte Politik könnte überparteilich ein Signal gegenüber der Bevölkerung setzen, so der Politologe.

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