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„Größte Auswanderungswelle“

Portugal gehört zu den ärmsten Ländern Europas und war in der Vergangenheit immer wieder von Auswanderungswellen betroffen. Mittlerweile leben rund drei Millionen Portugiesen im Ausland. Verließen vor 50 Jahren viele jungen Menschen das Land in Richtung reicher europäischer Länder, geht die Reise jetzt weiter. Tausende suchen ihr Glück in den boomenden Ex-Kolonien Mosambik, Angola und Brasilien.

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Die starke Abwanderung nach Afrika und Südamerika ist für Portugal vor allem dahingehend neu, dass es diesmal nicht die Arbeiter und Bauern sind, die das Land auf der Suche nach einer besseren Zukunft verlassen, sondern gut ausgebildete Akademiker. „Das ist die größte Auswanderungsswelle seit den 1960er Jahren“, sagte Filipa Pinho von der portugiesischen Einwanderungsbehörde der britischen BBC. Auch wenn keine aktuellen Daten vorlägen, sprächen die Zahlen der letzten Jahre für sich. 2009 und 2010 verließen laut Pinho 60.000 Portugiesen das Land in Richtung Brasilien, und auch das Interesse an Angola wächst überdimensional.

Angolische Zentralbank und Baustellen

Reuters/Mike Hutchings

Angolas Zentralbank als Symbol für den Aufschwung

Glänzende Zukunft in Angola

Wurden 2006 nur 156 Visa für das boomende Land an der afrikanische Südwestküste ausgestellt, stieg die Zahl 2010 auf 23.787. Rund 3.000 Unternehmen in dem öl- und diamantenreichen Land gehören mittlerweile portugiesischen Unternehmern. Viele von ihnen können bei der Suche nach neuen Arbeitskräften mittlerweile aus dem Vollen schöpfen. Denn während ein Ingenieur in Lissabon im Monat rund 900 Euro verdient, locken in Angola Gehälter in vierfacher Höhe.

Afrikakarte

Google Maps, ORF.at (Montage)

Angola hat die größten Erdölvorkommen südlich der Sahara

Und ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. Nach 41 Jahren blutigem Bürgerkrieg wurde erst 2002 ein Friedensvertrag unterzeichnet. Nun wird das Land völlig neu aufgebaut. Von der Infrastruktur über die Telekommunikation bis zum Bankenwesen entstehen neue Geschäftsbereiche, und fast überall ist die Unternehmenssprache Portugiesisch. Wer es geschafft hat, wohnt in der Hauptstadt Luanda in Saus und Braus. Luxusviertel wachsen aus dem Boden, und die Dichte teurer Autos ist beeindruckend.

Tiefe Kluft zwischen Arm und Reich

Doch für viele Neuankömmlinge ist der Start weniger angenehm. Mittlerweile drängen sich fast fünf Millionen Menschen in einer Stadt, die nur für eine Million angelegt wurde. Und immer neue drängen nach. Allein zwischen 2005 und 2010 wuchs Luanda um 1,2 Millionen. Und trotz des zweistelligen Wirtschaftswachstums leben zwei Drittel der Bevölkerung immer noch in tiefer Armut. Die Lebenserwartung liegt nur bei 38 Jahren. Auf der anderen Seite grassiert die Korruption. In der Statistik von Transparency International erscheint das Land regelmäßig unter den Top Drei.

Großbaustelle Brasilien

Neben Angola steht jungen Portugiesen auch das Tor nach Brasilien weit offen. Gerade vor der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Spielen 2016 wird dort an allen Ecken und Enden gebaut. Das lockt viele Architekten und Ingenieure nach Südamerika. „Für mindestens drei Jahre wird die (portugiesische, Anm.) Regierung keine öffentlichen Aufträge mehr vergeben“, sagte der portugiesische Stararchitekt Eduardo Souto de Moura gegenüber dem Deutschlandfunk, „die meisten Architekten, die ich kenne, sind schon längst nach Brasilien ausgewandert.“ Auch Souto de Moura hat für die kommenden Jahre keinen einzigen Auftrag in Portugal in Aussicht. Auch er muss sich Arbeit im Ausland suchen.

Für jene, die trotz aller Schwierigkeiten in der Heimat bleiben, zeichnet sich ein langer Weg ab. Das Land leide unter großen strukturellen Problemen, sagte der Volkswirt Andreas Scheuerle gegenüber Börse Online. Als Ende der 80er Jahre der Eiserne Vorhang fiel, verlor Portugal schnell Boden gegenüber den neuen Ostländern, da die Löhne zwar niedrig waren, aber immer noch um ein Drittel über denen von Tschechien lagen. „Langfristig muss Portugal ein neues Geschäftsmodell entwickeln“, so Scheuerle.

Hoffnungsschimmer am Horizont

Potenzial gebe es durchaus, so Scheuerle. Einerseits sei der Tourismus noch ausbaufähig, andererseits könnte die Zusammenarbeit mit Angola und Brasilien noch ausgebaut werden. Aber auch die Produktion erlebt wieder einen leichten Aufwind. So legte der Schuhexport im letzten Jahr um 27 Prozent zu. Auch kommen mittlerweile immer mehr Produkte aus höherwertigen Industrien wie Maschinenbau und Elektrik, zitierte Börse Online Francisco Veiga, Wirtschaftsexperte der Uni Braga. Veiga ist zuversichtlich, dass sich dieser Trend fortsetzt. Aber das brauche Zeit und vor allem viel Geld.

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