Themenüberblick

Debatte noch in den Kinderschuhen

Noch ist das Thema Netzneutralität nicht im Bewusstsein der breiten Bevölkerung verankert, und der Großteil schweigt dazu. Doch das wird sich mit der steigenden Abhängigkeit der Gesellschaft von Internetservices ändern, meinen Jan Krone und Tassilo Pellegrini vom Institut für Medienwirtschaft an der FH St. Pölten im Gespräch mit ORF.at.

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ORF.at: Warum soll sich ein Bürger in Österreich für Netzneutralität interessieren?

Jan Krone: Es ist auch vor der österreichischen Verfassung heikel, wenn man den Boden für kommunikationszentrierte Eingriffe in das Netz bereitet. Das heißt, dass im schlimmsten Fall Meinung untergeht, wenn sie vielleicht nicht transportiert wird, weil die Datei zu groß ist. Das ist für Massenmedien kritisch, auch für den ORF: wenn ich etwa in den USA die Zeit im Bild in der TVthek ansehen will und das durch eine Abkehr von der Netzneutralität nur gegen ein sehr hohes Entgelt möglich ist. Oder ich gar nicht in den Genuss dieser Programme komme, weil sie verzögert oder gar blockiert sind, etwa weil sie im schlimmsten Fall Inhalte transportieren, die in anderen Ländern nicht der öffentlichen Ordnung entsprechen.

ORF.at: Eigentlich hätte nur eine Festlegung der Netzneutralität auf globaler Ebene Sinn, nicht?

Krone: Das zu erwarten wäre zu viel. Auf internationaler Ebene würden dann Staaten wie China, Weißrussland, Iran aber auch Taiwan rausfallen. Insofern ist es eine Chance für die EU - vor dem Hintergrund der Kommunikations- und Redefreiheit oder auch der Reise- und Wettbewerbsfreiheit. Wenn man dafür einen gemeinsamen Rahmen durchzusetzen kann, kann das auch ein Zeichen für den Rest der Welt sein.

Jan Krone, Institut für Medienwirtschaft an der FH St. Pölten

ORF.at/Claudia Glechner

Jan Krone: „Das Bewusstsein für das Thema wird sicher steigen“

ORF.at: Inwieweit ist Netzneutralität hierzulande ein Thema Ihrer Meinung nach?

Krone: Auf einer Skala von eins bis 100 für die gesamte Gesellschaft würde ich sagen etwa 0,3. Die USA stehen bei etwa fünf bis zehn.

Tassilo Pellegrini: Wobei man sagen muss, dass die USA sehr viel unternommen haben, um die Netzneutralität zu sichern. Die Obama-Regierung hat ein klares Zugeständnis zur Beibehaltung abgegeben. Man hat erkannt, dass in wettbewerbskritischen Bereichen wie der Telekommunikation der Markt kein ausreichendes Instrument ist, um über den Wettbewerb die Neutralität sicherzustellen.

Krone: Der Telekommarkt ist noch ein relativ junger Markt. Die Überführung der staatlichen Monopolisten – wie die Telekom Austria – ist erst 1997 abgeschlossen worden und die Märkte haben sich noch nicht richtig ausentwickelt. In die Debatte, die früher sehr technisch-ökonomisch-lastig war, kommt eine sehr neue Kulturkomponente rein, die auch größere Teile der Gesellschaft anspricht. Die Techniker neigen dazu, sich zu isolieren, und zwar bewusst. Sie wissen, dass man mit der breiten Öffentlichkeit über diese Themen schwer sprechen kann, weil sie zu komplex sind. In der Telekomindustrie spricht die Technik darüber, die Marketingabteilung dort weiß es, redet aber nicht darüber. Die Massenmedien haben Netzneutralität in Österreich noch nicht thematisiert. Die Regulatoren haben es am Monitor, aber wenn das Thema nicht angesprochen wird, dann müssen auch sie sich nicht dazu äußern.

Die Awareness für das Thema wird sicher größer werden, je höher die Abhängigkeit von Internetservices in der Gesellschaft zunimmt. Und das wird mit Sicherheit so passieren.

ORF.at: Internetprovider argumentieren gerne, dass es immer mehr Datenverkehr und zu wenig Geld für einen weiteren Bandbreitenausbau gebe, wie sehen Sie das?

Krone: Bei Flächenländern ist das Problem bestimmt größer als bei Ländern, die über mehr Ballungszentren verfügen. Österreich verfügt über fünf Ballungszentren, hat eine sehr verteilte ländliche Bevölkerung, auf einer Quadratkilometerzahl, die mit Frankreich oder Deutschland nicht zu vergleichen ist. Ich kenne die Bilanzen der Telekombetreiber nicht. Ich würde aber auf das Argument nicht so viel geben.

Pellegrini: Auf der anderen Seite ist es bis zu einem gewissen Grad auch eine Ironie dieser ganzen Entwicklungen. Wir sehen gerade am Beispiel der Servicepauschale, die von den Telekoms eingeführt wurde und laut ihrer Argumentation für den Netzausbau zweckgewidmet ist, dass man auch ohne die Netzneutralität abschaffen zu müssen, von Kunden Gelder für den Netzausbau lukrieren kann.

Tassilo Pellegrini, Institut für Medienwirtschaft an der FH St. Pölten

ORF.at/Claudia Glechner

Tassilo Pellegrini wundert sich über die Ironie der Entwicklungen

ORF.at: Ein weiteres Modell ist, dass die Inhalteanbieter wie YouTube zur Kasse gebeten werden. Was halten Sie davon?

Pellegrini: Man muss folgendes Problem sehen: Als Content-Provider bezahle ich den Internetprovider, damit ich meine Inhalte einspeisen kann. Wenn ich einen Streamingserver betreibe, dann zahle ich nicht gerade wenig. Was bei der Netzneutralitätsdebatte mitschwingt, ist, dass ich für das Primärnetz bezahle, allerdings die Kostenbelastung die dann in einem Sekundärnetz (Anm. beim Endnutzer) entsteht, nicht abgedeckt werden. Das betrifft im Prinzip alle Beteiligten.

Es wird natürlich darum gerungen, wie man über Quality-of-Service-Aspekte bessere Preisdifferenzierungen machen kann, und damit argumentiert, dass dies auch ein Vorteil für den Kunden, also den Content-Provider, ist. Der kann dann auch für sich genau festlegen, welche Services er braucht und welche nicht, um nicht zu viel bezahlen zu müssen. Allerdings läuft das auf eine Mehrbezahlung aller hinaus, eine größere Kostenbelastung für den Content-Provider und damit auch eine Kostenbelastung für den Enduser.

ORF.at: Was wäre Ihre Empfehlung für Österreich?

Krone: Derzeit erscheint mir die baltische Position am gescheitesten. Lettland – ein sehr kleines Land mit 1,5 Millionen Einwohnern, 15 Internetservice-Providern und GBit-Raten – argumentiert: Wir haben das Problem nicht. Hohe Bandbreiten lassen alle Marktteilnehmer davon profitieren, sowohl den Wettbewerb als auch den Endkunden. Kommunikationsfreiheit, neue Dienste, alles dabei ...

Claudia Glechner, ORF.at

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