Parteienstreit über Vorfahrt im Netz
Für störungsfreies Skypen und ruckelfreie YouTube-Videos könnten Nutzer künftig verstärkt zur Kasse gebeten werden. In den Niederlanden ließ die Regierung bereits die Netzneutralität gesetzlich festschreiben, um User vor Willkürakten der Internetprovider zu schützen. Hierzulande sind die Positionen der Parteien zur gesetzlichen Absicherung des gleichberechtigten Datenverkehrs sehr unterschiedlich.
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Einen ersten Vorstoß auf politischer Ebene unternahm Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen im Nationalrat, im März dieses Jahres. In einem Entschließungsantrag forderte der Politiker, dass das Prinzip der Netzneutralität im Telekommunikationsgesetz (TKG) festgehalten und die Regulierungsbehörde RTR mit der Durchsetzung beauftragt werden solle. Außerdem solle sich die Bundesregierung auch in der EU für eine solche Lösung stark machen.
Entschließungsantrag
Im nächsten Schritt wird der Entschließungsantrag vom parlamentarischen Ausschuss für Forschung, Innovation und Technologie (FIT) diskutiert, der Mitte Oktober wieder zusammentritt. Steinhauser hofft, dass dieser eine Expertenenquete beschließt, um die Diskussion voranzutreiben.
Steinhauser versteht unter Netzneutralität den diskriminierungsfreien Transport von Datenpaketen, egal wohin sie gehen, was sie beinhalten und welcher Anwendung sie bedürfen. „Es geht um die Sicherstellung, dass Telekommunikationsanbieter nicht eingreifen und differenzieren, welche Datenpakete wie schnell im Internet übertragen werden“, erklärt Steinhauser.
Den Telekommunikationsanbietern stünden derzeit noch alle Türen offen, Services zu bevorzugen bzw. zu benachteiligen. Dahinter „stehen handfeste ökonomische Überlegungen“, befürchtet Steinhauser, die dazu führen würden, dass die „großen Player bestimmen, ob oder welche Daten die User bekommen“. Das wiederum hat potenzielle Auswirkungen auf die Informationsfreiheit im Netz.
Ametsreiter-Sager
Zuerst aber geht es um rein ökonomische Interessen. Das unterstreichen die Aussagen von Telekom-Austria-Chef Hannes Ametsreiter zur Netzneutralität. In einem Interview mit dem „Wall Street Journal“ im Frühjahr meinte dieser, dass die Herrschaft über das Netz den Anbietern obliege. „Wir besitzen die Infrastruktur. Wir sollten auch entscheiden, wer sie benutzt.“ Und wenn Google Voice oder Skype die Einkünfte der TA bedrohen, dann sei es mehr als gerechtfertigt, hier einzugreifen. Schließlich würden dem Unternehmen Erlöseinbußen drohen, wenn Smartphone-Nutzer nur noch auf Internettelefoniedienste zurückgreifen würden.
In den Niederlanden sorgte ein ähnlicher Fall für die gesetzliche Festschreibung. Der Mobilfunkanbieter KPN kassierte für die Nutzung der Handy-App „WhatsApp“, die den kostenlosen SMS-Versand via Internet ermöglicht, extra Geld. Nutzer kritisierten, dass KPN hierfür die Inhalte der Datenpakete mittels Deep Packet Inspection (DPI) ausspionieren müsse, was wiederum datenschutzrechtliche Bedenken mit sich ziehe.
Abwarten auf EU-Ebene
Steinhauser ist mit der Situation in Österreich genauso unzufrieden wie in der EU. Die EU-Kommission hat sich in Sachen Netzneutralität zu keinem klaren Entschluss durchringen können. Sie setzt vor allem auf Transparenz und vertraut auf die Kräfte des Marktes. „Das ist sicher zu wenig und wird die Probleme nicht verhindern“, so der Abgeordnete.
Im EU-Telekompaket ist es den Mitgliedsstaaten freigestellt, wie sie mit der Netzneutralität umgehen. Bis Jahresende soll der Bericht der EU-Regulierungsbehörde GEREK fertig sein, der mehr Aufschluss über die Umsetzung der Vorschriften in den einzelnen Ländern geben soll. Für Nutzer bedeutet das: Prinzipiell können die Provider problemlos in die Netzneutralität eingreifen, solange der Kunde nur darüber informiert wird. Wer uneingeschränkte Nutzung will, wird mehr Geld hinlegen müssen.
Steinhauser ist klar, dass er mit der Netzneutralitätsdebatte in Österreich politisches Neuland betritt: „Mein primäres Ziel war es, die Debatte zu starten.“ Dass die Netzneutralität noch in der aktuell laufenden Novelle des TKG berücksichtigt werden könnte, sei unwahrscheinlich. Aber Novellen gebe es schließlich ständig. „Der Hut brennt absolut, aber ich weiß auch, dass ich harte Bretter bohren werde, in Österreich und in der EU“, meint der Abgeordnete.
Infrastrukturministerium: Kein Handlungsbedarf
Weniger dringend sieht es das zuständige Ministerium. „Aktuell gibt es nicht wirklich Handlungsbedarf in Österreich“, meint Walter Fleißner, Sprecher des Infrastrukturministeriums. Für die Holländer habe es einen konkreten Anlassfall gegeben, weshalb sie sich als erstes europäisches Land für die gesetzliche Festschreibung entschieden haben. Sollte der „freie Zugang zum Netz gefährdet sein, dann wird sich die Politik auch hierzulande intensiv damit beschäftigen“. Generell sei jedoch ein „europäischer Gleichklang“ anzustreben, so Fleißner.
Aus § 17 Abs.3 des TKG-Entwurfs
"Die Regulierungsbehörde kann mit Verordnung Betreibern, die öffentliche Kommunikationsnetze bereitstellen, Mindestanforderungen an die Dienstequalität auferlegen, insbesondere um eine Verschlechterung der Dienste und eine Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern. Dabei ist insbesondere auf den Stand der Technik und die wirtschaftlichen Gegebenheiten abzustellen.
Ein Entwurf dieser Verordnung ist samt Begründung der Europäischen Kommission sowie dem GEREK zu übermitteln. Für den Fall, dass die Europäische Kommission rechtzeitig hierzu eine Stellungnahme abgibt, ist dieser bei Erlass der Verordnung weitestgehend Rechnung zu tragen."
SPÖ: Netzneutralität mit Ausnahmen
Sonja Ablinger, Kultursprecherin der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, kritisiert, dass der Netzneutralitätsabsatz im TKG-Entwurf lediglich eine „Kann-Bestimmung“ ist. Der Regulierungsbehörde soll es freigestellt sein, eine Verordnung zu den „Mindestanforderungen an die Dienstequalität“ zu erlassen, um eine Verschlechterung oder Verlangsamung des Datenverkehrs zu verhindern. „Eine explizite Netzneutralitätsklausel ist aber etwas anderes“, meinte die Abgeordnete.
Netzneutralität steht für „das Prinzip der Gleichbehandlung“, das fraglos notwendig sei und in einer gesetzlichen Klausel festgehalten werden sollte. Zugangsanbietern müsse „die Diskriminierung von Dateninhalten durch unterschiedliche Übertragungsgeschwindigkeiten grundsätzlich verboten sein“.
Netzneutralität sei das oberste Prinzip, jedoch solle es Ausnahmen geben, wie etwa für „zeitkritische Dienste“, wo zur Gewährleistung ein Eingreifen unbedingt notwendig sei. Ablinger nennt das Beispiel IPTV, also TV-Angebote via Internet, oder Videotelefonie. Die Einhaltung des Gesetzes sollte eine entsprechende Behörde übernehmen.
ÖVP: Mehr Bandbreite statt Zensur
„Internet Service Provider (ISP) halten bereits Daten zurück, zum Beispiel mit Spam-Filtern“, argumentierte Karin Hakl, ÖVP-Abgeordnete und Fraktionssprecherin im FIT-Ausschuss. Eine gesetzliche Festschreibung würde demnach auch Filter verbieten und „alle mit Spam überfrachten“. Die gesetzliche Verankerung würde bereits an der Begriffsdefinition scheitern. Wichtiger sei, dass für genug Bandbreite gesorgt werde, weshalb auch die Versteigerung der Digitalen Dividende rasch erfolgen müsse, um mit einem Teil der Erlöse wiederum den Netzausbau voranzutreiben.
Dass das Internet heute österreichweit überall gleich schnell sei, sei eine „unzulässige Hypothese“, so Hakl. Eine Drosselung der Dienste kommt für die ÖVP-Politikerin nicht in Frage: „Es darf keine Zensur durch die Anbieter geben“, so Hakl. Höhere Preise für mehr Geschwindigkeit im Netz sei hingegen gerechtfertigt und auch gegenwärtig bereits gängige Praxis. Eine Netzneutralität derzeit im TKG festzuschreiben, sei nicht sinnvoll und „zum Glück noch nicht notwendig“, meinte die Abgeordnete.
Claudia Glechner, ORF.at
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